Dresden: „Cabaret“

am 15.4.2018

Trügerisches Gold

Semper Zwei als zweite Spielstätte des Dresdner Opernhauses bietet ein vielfältiges Programm von Kurzopern, Musicals und Musiktheater für Kinder und Jugendliche. Derzeit markiert die Serie von John Kanders Cabaret einen Höhepunkt der Saison, mit dem Erwerb der Aufführungsrechte für dieses berühmte, 1966 am Broadway uraufgeführte Musical hat die Leitung einen Kassenschlager gesichert, was die sämtlich ausverkauften Aufführungen bestätigen. Die von Max Renne erstellte Fassung für neun Musiker erweist sich als sehr tauglich und wird von ihm selbst am Flügel sicher geleitet.

Natürlich darf man bei dieser Produktion optisch nicht an die legendäre Verfilmung mit Liza Minelli denken, auch nicht an deren opulente Ausstattung. Semper Zwei ist kein Filmstudio, sondern ein Raum, der nach einer reduzierten Form verlangt. Dem tragen Regisseur Manfred Weiß und sein Ausstatter-Duo Okarina Peter/Timo Dentler Rechnung. Sie entschieden sich für einen Einheitsszenerie mit einem stufenförmigen Podest und sparsamer Andeutung der einzelnen Schauplätze – eine Deckenlampe für die Szenen der Vermieterin Fräulein Schneider, eine Lampiongirlande für ihre geplante Verlobungsfeier mit dem jüdischen Gemüsehändler, Herrn Schultz, eine Schreibmaschine für die Episoden mit dem jungen amerikanischen Schriftsteller Cliff Bradshaw, der sich bei Fräulein Schneider einquartiert und dort Frl. Kost kennen lernt, die als Show-Girl im Berliner Kit Kat Club arbeitet, einem zwielichtig schillernden Etablissement. Für dessen Glamour steht ein golden glitzernder Vorhang, mit dem der gesamte Theaterraum eingesäumt ist und die Zuschauer quasi zu Besuchern des Nachtclubs macht. In knappen sexy Kostümen mit Rüschen, Fransen, Pailletten, Strapsen und Flitter sorgen die Kit Kat Girls und Boys als schrille Paradiesvögel in der flotten Choreografie von Natalie Holtom für die Unterhaltung der Gäste. Star des Unternehmens ist Sally Bowles, für die in Dresden Julia Gámez Martín als Gast verpflichtet wurde. Ausgerechnet sie ist der Schwachpunkt der Besetzung – zu harmlos und bieder in der Ausstrahlung. Und gesanglich braucht sie bis zum ersten Song nach der Pause („Maybe this time?“), um an Biss und aggressiver Schärfe zu gewinnen. Hier – wie auch später in „You have to understand“ – wartet sie endlich mit jazzigem Feeling und der nötigen harten Attacke auf.

Spektakulär angekündigt vor ihren Auftritten wird sie vom Conférencier, der zu Beginn im Spot die Gäste im Club mit dem berühmten „Willkommen, Bienvenue, Welcome“ begrüßt und sie am Ende in die Nacht entlässt. Aaron Pegram ist das Ereignis der Aufführung mit prägnanter Diktion und faszinierend wandlungsfähigem Tenor – schneidend, hintergründig, schillernd. Beachtlich, wie er in seiner Shownummer mit der Affendame („Säht ihr sie mit meinen Augen“) die Stimme weich und zärtlich formt. In seiner abgründigen Aura und dem skurrilen Auftreten, bald auch im violetten Glitzerfummel mit Perlenketten, erinnert er an eine Figur aus den Halbwelt-Gemälden von Otto Dix.

Die raue Berliner Wirklichkeit Ende der zwanziger Jahre manifestiert sich zunächst in einem scheinbar harmlosen Heimatlied, „Der morgige Tag ist mein“, das von einem Knaben (verhalten: Leander Wolfram Markus) intoniert wird und auffällig oft das Wort Vaterland nennt. Als aber die Verlobungsfeier von Frl. Schneider und Herrn Schultz von dem Nationalsozialisten Ernst Ludwig (Rüdiger Hauffe) gestört wird, stimmt auch Frl. Kost dieses Lied an (und Manja Stein lässt in diesem Kurzauftritt einen weit spezifischeren Ton hören als der Star). Bald gehören Nazi-Uniformen und Hakenkreuzbinden zum alltäglichen Bild im Kit Kat Club, klirren die Fensterscheiben in Herrn Schultz’ Laden – die Verlobung fällt aus. Den Zwiespalt zwischen Zuneigung und Existenzangst gestaltet Sabine Brohm als Frl. Schneider eindringlich und anrührend. Für die Gesangstitel lässt sie ihre Opernstimme außen vor und findet zu einem passenden Chanson-Ton. Eher bringt Martin-Jan Nijhof mit tragfähig-sonorem Bassbariton als Herr Schultz den Opernstil ein. Auch das junge Paar – Sally und Cliff (Simeon Esper mit angenehmem, stilistisch am Musical orientiertem Tenor) – müssen sich ob der politischen Umstände trennen. Er geht zurück nach Amerika und sie wieder in den Club, wo der goldene Flitter seinen Glanz verloren hat, der Raum von Rauchschwaden geschwängert ist und von draußen das Gebrüll der Menge hereindringt

Bernd Hoppe 17.4.2018

Bilder (c) Semperoper