Dresden: Sir András Schiff bietet beeindruckendes Rezital

Der Capell-Virtuos der Saison stellt sich dem Publikum der Staatskapelle Dresden vor

Der Capell-Virtuos der Sächsischen Staatskapelle der Saison 2020/21 Sir András Schiff ist nicht nur einer der herausragenden Pianisten unserer Zeit, sondern auch ein streitbarer Mann. Nicht nur, dass der 1953 in Budapest geborene und inzwischen vorwiegend in Italien lebende Künstler, im Jahre 2000 seine Teilnahme an der Feldkircher Schubertiade wegen der Beteiligung der FPÖ an der öster-reichischen Bundesregierung absagte und in Ungarn wegen der Politik Viktor Orbáns nicht mehr kon-zertiert. András Schiff formuliert seine Meinung deutlich und pointiert, sowohl im politischen als auch im künstlerischen Kontext. Er kann darüber hinaus durchaus Konzertbesucher-Gruppen „die Beurteilungskompetenz“ absprechen, sich mit Musikerkollegen anlegen, das Regietheater verteufeln und die besondere Eignung der doch allgemein anerkannten Flügel des Marktführers „Steinway & Sons“ für eine Wiedergabe der Musik Franz Schuberts in Frage stellen. Nach Schiffs Auffassung, rep-räsentieren die Flügel des Wiener Instrumentenbauers Bösendorfer des weicheren melancholische-ren Tonbildes wegen, die zentraleuropäischen Musiktraditionen am deutlichsten.

Aus diesem Grunde musiziert Schiff trotz des logistischen Aufwandes auf seinen Konzertreisen mit seinem „Bösendorfer Konzertflügel Modell 280VC Vienna Concert“.

András Schiff ist ein begeisterter Kammermusiker, obwohl er auch als Dirigent und Konzertsolist wirkt. Er selbst bezeichnete sich als „Stänker der Gründlichkeit“.

Sein Rezital eröffnete András Schiff mit einer kurzen Erinnerung an seinen langjährigen Freund Peter Schreier und ehrte den im vergangenen Jahr Verstorbenen mit Johann Sebastian Bachs „Capriccio über die Abreise des sehr geschätzten Bruders“ B-Dur (BWV 992).

Das ausgeschriebene Programm begann mit der g-Moll-Klaviersonate Hoboken-Verzeichnis XVI:44 von Joseph Haydn (1732-1809). Diese Sonate entstand vermutlich zwischen 1768 und 1773, als Haydn Erster Kapellmeister der ungarischen Magnaten Familie Esterhazy war. Die Musikkenner-Fürsten Paul Anton und später vor allem Nikolaus I. gaben dem Mittdreißiger Raum für seine künstle-rische Entwicklung unter anderem durch ständigen Zugang zum eigenen kleinen Orchester, sowie ausführliche Gespräche über die Hauskonzerte. Die zweisätzige Sonate gehört zu den ersten Klavier-werken, die Haydn nicht mehr als etwas anspruchslose „Divertimenti“ einordnete.

Bereits mit dem Moderato-Kopfsatz beeindruckte Schiff durch die zurückhaltende Trauer, die Melan-cholie und die feinen melodischen Linien seines Spiels. Im Allegretto bestätigt er die Haydnische Vor-liebe für harmonische Überraschungen und nutzt die Vorgaben des Komponisten, diese mit Humor zu intonieren.

Im Mittelteil seines Dresdner Rezitals stellte der Capell-Virtuos den Werken des Lehrers Haydn eine Komposition seines Schülers Ludwig van Beethovens (1770-1827), die Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 -Waldstein-, gegenüber.

Mit der Entwicklung neuer Techniken hatte Beethoven mit seiner 1804 dem Grafen Waldstein gewidmeten Sonate eine Wende in der Entwicklung der Klaviermusik eingelei-tet und ein neues Verständnis geschaffen, was Klavierspiel letztlich leisten kann. Entstanden ist die heute gültige Fassung der Sonate nicht in einem einzigen Zug. Beethoven nahm mehrfach Änderun-gen vor. So hat er den ursprünglichen Mittelsatz, der vermutlich von Josephine Brunswick inspiriert gewesen war, als selbstständiges „Andante favori“ ausgegliedert und durch das recht kurze „Introdu-zione, Adagio molto“ ersetzt.

Begeisternd meistert der Pianist die schwierigen Orchestereffekte mit seiner unwahrscheinlichen Virtuosität. András Schiff beeindruckte mit seinem glasklaren, an Varianten reichem Anschlag und nahm sich genau die Zeit, um den Akkorden die Möglichkeit zur Nachwirkung zu geben. Da wurden Nebenstimmen und Schattierungen hörbar, die ansonsten, insbesondere in den Ecksätzen, oft unter-gehen. Jede Note schien deutlich markiert und die Relationen der Ecksätze zum Mittelsatz stimmten an jeder Stelle.

Mit Franz Schuberts Klaviersonate G-Dur, D 894 konnte der Capell-Virtuos die Besonderheiten seines Bösendorfer Konzertflügels im letzten Teil des Rezitals nachdrücklich zur Geltung bringen.

Obwohl die musikwissenschaftliche Forschung im Lied-Schaffen Schuberts bedeutsamsten Beitrag zur europäischen Musikgeschichte sieht, hat er doch in seinem kurzen Leben Außerordentliches in allen musikalischen Gattungen seiner Zeit komponiert. Die Sonate in G-Dur, die oft als „Fantasie“ benannt wird, hat Franz Schubert (1797-1828) im Jahre 1826 im Alter von 29 Jahren als sein perfektestes Kla-vierwerk fertig gestellt, auch wenn sie im Kammermusik-Betrieb oft im Schatten seiner letzten drei Klaviersonaten D958 bis 960 steht.

Mit seiner Klarheit und Transparenz des Spiels, dem kaum spürbaren Wechsel der Stimmungen bot uns Schiff ein außergewöhnliches Hörerlebnis. Mit dem Schubert-adäquaten warmen Klang des Bö-sendorfers konnte Schiff eine erstaunliche Klangfarbenvielfalt und fast unwirkliche Differenzierungen im oberen Pianissimo-Bereich der Komposition Schuberts schaffen.

Mit stehenden Ovationen wurde der Sir András Schiff vom etwas ausgedünnten Publikum begeistert gefeiert. Der Pianist bedankte sich bei den Besuchern mit zwei Zugaben.

Thomas Thielemann 15.9.2020

Bilder (c) Matthias Creutziger