Als angekündigt wurde, dass Peter Konwitschny in Dortmund einen kompletten „Ring des Nibelungen“ inszenieren würde, hatten viele Opernfans eine neue „Götterdämmerung“ erwartet. Konwitschny entschied sich aber zu einer Neuauflage seiner legendären Stuttgarter Inszenierung aus dem Jahr 2000, die dort zuletzt 2013 gespielt worden war. Erfreulicher Weise konnte sogar das Originalbühnenbild aus Stuttgart übernommen werden: Der 2015 verstorbene Bert Neumann hat ein langgestrecktes, sich drehendes Haus mit Holzsäulen als Gibichungenhalle entworfen, die verschiedene Spielbereiche besitzt, welche mit Planen geöffnet oder geschlossen werden.

Diese Rekonstruktion einer berühmten Regie-Arbeit erinnert ein bisschen an die großen Remakes des Jahres 2017: Damals wurden in Lyon Heiner Müller Bayreuther 1993er „Tristan“ und die Dresdner Sprungturm-„Elektra“ von Ruth Berghaus aus dem Jahr 1986 sowie in Prag Wolfgang Wagners Bayreuther „Lohengrin“ aus dem Jahr 1967 zu neuem szenischen Leben erweckt.
Die anderen Teile des Dortmunder „Rings“ waren bisher eher solide und gut gearbeitete Inszenierungen, die aber nicht den Ideenreichtum besaßen, mit denen Regisseur Peter Konwitschny in den 1990ern und 2000er Jahren geglänzt hatte: „Das Rheingold“ war eine Zeitreise von der Steinzeit ins Atomzeitalter, „Die Walküre“ spielte in drei Wohnzimmern, „Siegfried“ in Containern. Die „Götterdämmerung“ strotzt aber vor einer Vielzahl von ebenso originellen und gleichzeitig werkdienlichen Regieeinfällen aus dem Bereich der Verfremdung und Ironie.
So tritt Siegfried in den ersten Szenen im klassischen Bärenfell auf, wird dann aber von den Gibichungen mit einem Anzug zivilisiert. Waltraute fliegt mit Flügelhelm aus dem Schnürboden ein, hier aber ohne den Ascheregen, den es in Stuttgart gab. Alberich ist ein gnomenhafter Untoter mit Nosferatu-Fingern. Im 2. Akt spielt der Kuchen, den Gutrune für das Hochzeitsfest backt, eine zentrale Rolle. Die Rheintöchter verkleiden sich schließlich als Nornen, die im Vorspiel wie Obdachlose auf der Bühne gelungert hatten. Diskussionswürdig ist das Finale, wenn Konwitschny die Meinung vertritt, dass diese Szene nicht inszenierbar sei und er lediglich die Regieanweisungen auf den Vorhang projiziert. Ist das genial oder Arbeitsverweigerung?
Die Inszenierung, die von der Stuttgarter Regieassistentin Sylvia Freitag einstudiert wurde, ist auch nach 25 Jahren kein bisschen gealtert und spannendes und packendes Musiktheater. Bedauerlich ist, dass diese Inszenierung in Dortmund lediglich dreimal gezeigt wird, bevor sie dann für immer im Fundus der Operngeschichte verschwinden wird. Auf die Premiere folgen lediglich Vorstellungen im Rahmen zwei vollständiger Ring-Zyklen.
Der scheidende Dortmunder Generalmusikdirektor Gabriel Feltz bietet mit den Dortmunder Philharmonikern keine revolutionäre Neudeutung, bietet aber eine Aufführung mit guten Spannungsbögen, starken klanglichen Höhepunkten, und zudem findet er für jede Szene ein organisches Tempo. In den großen Zwischenspielen können die Musiker groß aufspielen, die Blechbläser geraten aber gelegentlich an die Grenzen ihrer Kondition.
Eine beeindruckende Brünnhilde ist Stephanie Müther. Sie besitzt einen kräftigen dramatischen Sopran, der aber gleichzeitig über eine jugendliche Frische verfügt. Zudem meistert sie die anspruchsvolle Rolle ohne jede Anstrengung. Etwas überrascht ist man von der schüchternen Darstellung der Gutrune durch Barbara Senator. Durch ihre Auftritte als Arabella in Essen und Bonn kennt man sie als starke Interpretin. Dass sie sich in Dortmund nun so zurückhält, dürfte der Rolle geschuldet sein. Eine selbstbewusste Waltraute ist Anna Lapkoskaja, die auch die zweite Norne singt.

Als Siegfried artikuliert Daniel Frank sehr genau und gefällt zudem mit seiner schönen Stimme. Die ganz großen triumphalen Gesangsmomente fehlen bei ihm aber. Großartig ist Joachim Goltz als Gunther: Mit eleganter und noblem Bariton setzt er immer wieder kluge Akzente. In der Rolle des Alberichs hat Morgan Moody einen kurzen aber eindrucksvollen Auftritt.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Kölner Ensemble und dem Antritt einer Professur in Süd-Korea, ist der Dortmunder Hagen Samuel Youns Bühnencomeback. Man hört ihm an, dass er eher Bariton als Bass ist, weshalb er in der Höhe stärker auftrumpft als in der Tiefe. Ärgerlich ist aber, wie grobschlächtig und undifferenziert er viele Passagen seiner Rolle mehr grölt als singt.
Den Wagner-Fans in Nordrhein-Westfalen kann ein Besuch dieses „Ring des Nibelungen“ nur empfohlen werden. Dieser Konwitschny-Ring ist gut erzählt und die Figuren sind glaubhaft porträtiert. Damit präsentiert Konwitschny eine Inszenierung, die besser gelungen ist, als die Produktion von Dietrich Hilsdorf, die zur Zeit an der Deutschen Oper am Rhein wieder aufgenommen wird. Zudem kann man, wenn man einige Regiearbeiten Paul-Georg Dittrich gesehen hat, vermuten, dass sein neuer Kölner „Ring“ mit Dortmund nicht mithalten kann.
Rudolf Hermes 25. Mai 2025
Götterdämmerung
Richard Wagner
Oper Dortmund
Premiere am 18. Mai 2025
Inszenierung: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Gabriel Feltz
Dortmunder Philharmoniker