Mailand: „Siegfried“, Richard Wagner

© Brescia & Amisano / Teatro alla Scala

Mit dem 3. Teil von Richard Wagners monumentalem Werk wurde der von David McVicar verantworteten Neuproduktion der Tetralogie ein neues Glied hinzugefügt. Nachdem sich der Zwischenvorhang mit der Darstellung eines Drachens in Form einer Kinderzeichnung gehoben hat, setzt der Regisseur und (gemeinsam mit Hannah Postlethwaite) auch Bühnenbildner seine Auslegung des „Rings“ als zwischen Mythos und Märchen liegend überzeugend fort. Im 1. Akt ist eine richtige Schmiede zu sehen, die in einer Höhle errichtet wurde, wo Siegfried Notung mit gekonntem handwerklichem Geschick schmieden kann. Der Wanderer betritt sie wie aus dem Nichts kommend, um den verängstigten Mime auf die Probe zu stellen. Während er seine Fragen stellt, entsteht ein sehr berührender Moment, wenn er Sieglindes Kleidung in zärtlicher Wehmut in die Hand nimmt.

Faszinierend die Bühne im 2. Akt, in deren Zentrum drei riesige, gebeugte, anthrazitfarbene Figuren stehen, an denen sich Äste von Sträuchern emporranken. Diese Statuen könnten die Nornen verkörpern, die dünnen Zweige deren Seile. Sie machen dann Platz für Fafners Auftritt, einem mächtigen, von mehreren Personen geschobenen, beweglichen Monster mit Totenkopf – erst nach Siegfrieds Hieb wird er in menschlicher Form aus dem Bühnenboden erscheinen und in seiner Aufmachung an „Rheingold“ erinnern. Sehr treffend zuvor die Szene Alberich-Wanderer, wo Ersterer wie ein Vagabund mit einem vollgepackten Wägelchen auftritt und sich im Laufe der Auseinandersetzung eine Pappkrone aufsetzt (seine phantasievolle Gewandung und alle anderen Kostüme – der rothaarige Mime in einer Art beigem Overall mit Umhang, Siegfried sportlich in Hose und Lederjacke, Brünnhilde in schlichtem Blau – stammen von Emma Kingsbury). Der Waldvogel trägt Irokesenhaarschnitt und wird von einer Figur begleitet, die eine Stange mit einem darauf sitzenden Vogel trägt – einer der wenigen kaum überzeugenden Einfälle.

© Brescia & Amisano / Teatro alla Scala

Die Szene des Wanderers mit Erda ist, wie die Urmutter selbst, ganz in Grau gehalten, einschließlich einer das Universum andeutenden Kugel. Im letzten Bild schließlich liegt Brünnhilde wieder in der sie schützenden Riesenhand; der Felsengipfel hinter ihr zeigt das Profil eines Frauenkopfes.

Soweit die sehr genau arbeitende Regie, doch nun zur musikalischen Wiedergabe. Auch diesmal teilten sich Simone Young und Alexander Soddy das durch die Absage Christian Thielemanns vakant gewordene Dirigat. Nach drei Abenden mit der australischen Dirigentin war nun Soddy an der Reihe und bestätigte neuerlich sein Talent für das deutsche Repertoire. Dass seine Leitung tadellos sein würde, war zu erwarten, aber als Publikum konnte man sich speziell am Farbenreichtum des vom Orchester des Hauses erzielten Klangs erfreuen, an den in den Fluss der Musik eingebetteten Leitmotiven. Klaus Florian Vogt hat sich nun also auch die Titelrolle erarbeitet, und man muss Respekt haben vor seiner Musikalität und der ausgezeichneten Diktion. Siegfried ist er allerdings keiner, denn im 1. Akt fiel es schwer, seine Stimme von der Mimes zu unterscheiden, und die Schmiedelieder verpufften. Der zum Teil lyrischere 2. Akt lag ihm besser, und im Schlussduett profitierte er davon, dass Camilla Nylund als Brünnhilde nicht ihren allerbesten Abend hatte. Neben schönen, weit ausschwingenden Spitzentönen war auch ein häufig auftretendes Vibrato nicht zu überhören. Die beiden spielten aber überzeugend und gaben ein schönes Paar ab. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke überzeugte mit seinem bewährt skurrilen, auch grotesken, ausgezeichnet gesungenen Mime.

© Brescia & Amisano / Teatro alla Scala

Die schönste Leistung des Abends kam von Michael Volle, dessen Wanderer im Zeichen einer fortschreitenden Resignation stand, die von diesem außerordentlichen Künstler stimmlich betörend und mit unübertrefflicher Wortdeutlichkeit umgesetzt wurde. Die leicht knarrende Stimme von Olafur Sigurdarson passte zu seiner emotionsgeladenen Interpretation des Alberich. Ain Anger gab dem Fafner überzeugendes Profil (wobei die Verstärkung seiner Phrasen hinter der Bühne nicht nötig gewesen wäre). Für die indisponierte Christa Mayer sprang die 28-jährige Ungarin Anna Kissjudit ein, eine echte, für die Erda ideale, Altstimme, von der man noch hören wird. Lieblich die Stimme von Francesca Aspromonte für den Waldvogel, der allerdings nur von Siegfried verstanden werden konnte, vom Publikum eher nicht.

Im vollen, wenn auch nicht ganz ausverkauften Haus gab es reichen, kompakten Applaus für alle und speziell für Volle und Soddy.

Eva Pleus, 20. Juni 2025


Siegfried
Richard Wagner

Teatro alla Scala, Mailand

Aufführung am 16. Juni 2025
Premiere am 6. Juni 2025

Regie: David McVicar
Musikalische Leitung: Alexander Soddy
Orchestra del Teatro alla Scala