Hamburg: „Così fan tutte“

Premiere am 08.09.2018

Bonbonfarbenes Absurdistan

Der Regisseur Herbert Fritsch ist bekannt dafür, dass er in seinen Inszenierungen mitunter wenig Respekt für das jeweilige Werk zeigt und es durchaus auch mal mit Klamauk und Albernheiten anreichert. Wer sich nun mit gemischten Gefühlen in die Eröffnungspremiere der neuen Spielzeit in der Hamburgischen Staatsoper begeben hat, wurde angenehm überrascht. „Cosi fan tutte“ von Wolfgang Amadeus Mozart kann auch in der Lesart von Herbert Fritsch durchaus gefallen. Man darf eben nur keine ausgefeilte Charakterisierung der Personen und kein psychologische Ausleuchtung ihrer Gefühlskonflikte erwarten. Das heißt – ausgeleuchtet wird schon kräftig. Denn die in quietschbunten Bonbonfarben gehaltene Einheitsbühne (ebenfalls von Herbert Fritsch) mit ihren spiegelnden Wänden und allerlei bunten „Bausteinen“ in allen Formen und Farben wird in immer neue Lichtstimmungen getaucht. Dieses Szenenbild ist zwar nicht spezifisch für „Cosi fan tutte“ (man könnte auch einen „Barbiere“ so ausstatten), aber es setzt doch ein Signal: Hier wird auf Teufel komm raus Komödie gespielt, fernab von jedem Realitätsbezug. Wir befinden uns in einem nirgendwo zu verortenden Land Absurdistan. Und das hat dann in Hinsicht auf die grotesk konstruierte Handlung von „Cosi fan tutte“ doch eine Berechtigung.

Fritsch gönnt seinen Sängerinnen und Sängern einige markante Aktion, in manchen Szenen aber auch nur sehr wenige. Arien werden oft direkt ins Publikum gesungen, bei Duetten stehen die Beteiligten nur still und halten Händchen. Allerdings lässt er alle oft unisono zum Takt der Musik in den Knien wippen. Man muss darin keinen tieferen Sinn suchen, sondern es als Spaß an der Groteske werten. Don Alfonso ist hier kein weiser, zynischer Philosoph, sondern eher eine Knallcharge. In seiner roten Uniform sieht er aus wie ein Hotelportier. Allerdings taucht er ständig und überraschend in jeder Szene auf, was seine Funktion als Drahtzieher dieser Liebeswette nachhaltig verdeutlicht. Dorabella und Fiordiligi stehen oft wie unnahbare Püppchen oder wie Kleiderständer herum. Sie unterscheiden sich kaum in ihren Reaktionen, sondern eigentlich nur in der Farbe ihrer Kleider: Blau (Treue) bei der zunächst standhafteren Fiordiligi, Rot (Feuer) für die eher entflammbare Dorabella. Wenn Ferrando und Guglielmo sich verkleiden, verwandeln sie sich mit ihren fellartigen Gewändern und den langen Zottelhaaren in eine Mischung aus Yeti und Neandertaler. Und die wuselige, fast kahlköpfige Despina ist mit ihrem roten, gebauschten Kleidchen und den staksigen Beinen eine Art Kobold – fast wie der Puck im „Sommernachtstraum“. Victoria Behr zeichnet für diese Kostüme verantwortlich.

Es sind nur wenige Zutaten (etwa das Stottern von Ferrando oder die kleinen Cembalo-Einschübe), in denen Fritsch über das Ziel hinausschießt. Ansonsten spult er die Oper in geordneten, komödiantischen Bahnen ab, was ihm uneingeschränkten Publikumszuspruch sichert.

Den gibt es auch für die musikalische Seite. Sébastien Rouland am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg sorgt für eine klare, in ihren Tempi und Proportionen ausgewogene Wiedergabe. Gleich die munter sprudelnde Ouvertüre nimmt für sich ein. Das hochgefahrene Orchester zeigt sich in bester und differenzierter Klangkultur. In gewohnter Pracht tönt der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor.

Mit Maria Bengtsson steht eine attraktive Besetzung für die Fiordiligi zur Verfügung. Auch die heikle Felsenarie bewältigt sie, zumindest in der frei strömenden Höhe, sehr souverän. Das Rondo im 2. Akt gelingt ihr grandios. Idra Aldrian hat die Dorabella sehr kurzfristig übernommen und sich darstellerisch und stimmlich mit schlankem Mezzo gut in die Inszenierung eingefunden. Sylvia Schwartz ist die Despina. Sie bleibt vor allem als „Type“ in Erinnerung, kann ihrem etwas spitzen Sopran aber nicht immer die Schärfe nehmen. Dovlet Nurgeldiyev verströmt als Ferrando bei seiner gefühlvollen Arie „Un aura amorosa“ reinsten Wohllaut und besticht mit feinem Piano. Kartal Karagedik kann als Guglielmo mit sympathischerer Ausstrahlung und noblem Kavalierbariton für sich einnehmen. Pietro Spagnoli ist ein präsenter Darsteller, ein temperamentvolles „Bühnentier“. Sein Bariton ist allerdings sehr hell timbriert, da hätte man sich auch dunklere Farben gewünscht.

Seinem Hang zu komödiantischer Übertreibung lässt Fritsch in letzter Sekunde mit seiner „Choreographie“ beim Schlussapplaus dann doch noch freien Lauf.

Wolfgang Denker, 09.09.2018

Fotos von Hans Jörg Michel