Hamburg: „Titanic“

Im Jahre 1912 kam es zu einem der dramatischsten Unglücke des 20. Jahrhunderts, dem Untergang der RMS Titanic auf seiner Jungfernfahrt, nachdem das Schiff mit einem Eisberg kollidierte. Das Musical basiert auf den Schicksalen der Menschen an Bord und versucht diese möglichst detailgetreu wiederzugeben. Es ist also weit weg von der allseits bekannten Hollywood-Liebesgeschichte, stattdessen wird der Zuschauer mitgenommen auf die Reise, stets in dem Bewusstsein, was am Ende passieren wird. Mit diesem Wissen des Zuschauers im Hintergrund „spielen“ Komponist Maury Yeston und Autor Peter Stone sehr geschickt, so dass ein emotionaler und bewegender Theaterabend mit einer der vielleicht schönsten Musicalkompositionen der letzten 25 Jahre entsteht. Die Broadway Inszenierung wurde 1997 mit insgesamt 5 Tony Awards ausgezeichnet, u. a. als bestes Musical, für die beste Musik und das beste Buch. In Deutschland feierte das Musical seine deutschsprachige Uraufführung Ende 2002 in der Neuen Flora, Hamburg. Nun bringt BB Promotion erstmals die hochgelobte englischsprachige Tournee-Produktion nach Deutschland in die nur rund 3 km von dort entfernt liegende Hamburger Staatsoper.

Regisseur Thom Southerland legt bei seiner Inszenierung großen Wert auf die Vorstellung der Personen, wie es das Buch vorsieht und verzichtet auf unnötiges Beiwerk. Bereits in dem Moment wo der Zuschauer den Saal betritt, erblickt er den Schiffskonstrukteur Thomas Andrews (wunderbar besetzt mit Greg Castiglioni) bei der Arbeit, im Hintergrund aufgeregtes Stimmengewirr kurz vor dem ersten Auslaufen der Titanic. Das Musical beginnt dann mit dem Eintreffen der ersten Passagiere, streng unterteilt nach erster, zweiter und dritter Klasse und dem Beladen des Schiffes. Hierbei wird der vordere Zuschauerraum geschickt eingesetzt um die Größe des Schiffes bildlich darzustellen. Im ersten Akt nimmt sich das Stück viel Zeit die vielen Passagiere, die das Schiff größtenteils mit großen Wünschen und Hoffnungen betreten, etwas genauer vorzustellen. Da wären beispielsweise die drei irischen Kates, die in Amerika ein neues und besseres Leben beginnen wollen oder der Heizer Barrett (Niall Sheehy), der auf der Titanic anheuert und bereits frühzeitig die Gefahren der ständig höheren Knotenzahl erkennt, hieran aber auf Grund der strikten Klassenordnung an Bord nichts ändern kann.

Der Inhaber der White-Star-Flotte J. Bruce Ismay (Simon Green), ebenfalls an Bord, wenn auch später mit dem ersten Rettungsboot verschwunden, ist stets darauf bedacht, einen neuen Weltrekord für die Überquerung des Atlantik aufzustellen. Hierfür schreckt er auch nicht davor zurück Kapitän Edward Smith (Philip Rham) mehrmals unter Druck zu setzen. Ganz anders dagegen, das rührige Seniorenpaar Ida und Isidor Straus (Judith Street und Dudley Rodgers), Isidor weigert sich trotz seiner hohen Position als ehemaliger Abgeordneter und als mehrfacher Millionär später das Rettungsboot zu betreten, bevor nicht alle Frauen und Kinder von Bord sind und seine Frau will ihn nicht alleine zurück lassen, so dass beide sehenden Auges und bei vollem Bewusstsein lieber den gemeinsamen Tod wählen um den Platz im Rettungsboot anderen zu überlassen. Alle Personen und kleineren Geschichten nun hier aufzuführen würde sicherlich den Rahmen sprengen, auch die durchweg hervorragende Besetzung mit insgesamt 25 Darstellern soll hier nur noch stellvertretend durch den Erste-Klasse-Stewerd Henry Etches, wunderbar dargeboten von Matthew McKenna gewürdigt werden. Ein Highlight des Musicals sind sicherlich die vielen Chorstücke, die sehr kräftig daherkommen, bei „Godspeed Titanic“ beispielsweise ergeben sich einige Gänsehautmomente. Nach dem eindrucksvoll inszenierten Zusammenstoß mit dem Eisberg zum Ende des ersten Aktes, widmet sich der deutlich kürzere zweite Akt dem unvermeidlichen Verlauf hin zur Katastrophe. Beeindruckend hierbei vor allem „The Blame“ bei dem sich Mr. Ismay, Mr. Andrews und Kapitän Smith gegenseitig die Schuld am Unglück geben.

Das Bühnenbild ist recht einfach gehalten mit einem großen Rahmen aus Metall, in dem durch eine verschiebbare Treppe weitestgehend das Geschehen am Schiff auf mehreren Ebenen dargestellt wird. Umso detailreicher dagegen die vielen Kostüme von David Woodhead, die schön der damaligen Zeit angepasst sind und vor allem die Mehrklassengesellschaft gut darstellen. Unterstützt wird das Bühnenbild durch ein gelungenes Lichtdesign von Howard Hudson wo der Bühnenraum beispielsweise im unteren Getrieberaum durch einen in rot schimmerndem Rauch dargestellt wird. Musikalisch kann man in Hamburg zwar nicht ganz mit der diesbezüglich wohl besten Aufführung bei den Bad Hersfelder Festspielen in den letzten Wochen mithalten, allerdings weiß auch das Orchester unter der musikalischen Leitung von Mark Aspinall zu gefallen.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen einem großen Symphonieorchester und einem technisch verstärkten kleineren Orchester, doch auch im zweiten Fall ist der Ton in der Hamburger Staatsoper erfreulich gut ausgesteuert, so dass auch hier dem Genuss des Abends nichts im Wege steht. Zum Ende gibt es daher zu Recht großen Applaus des Publikums und überraschend schnelle Standing Ovations des gesamten Saales, bei dem auch das ein oder andere Tränchen floss. Nicht zuletzt auch durch die Würdigung aller Opfer des Untergangs auf einer großen Gedenktafel als Schlussbild dieses wunderbaren Musicalabends. Leider ist das Stück nur noch bis zum 19. August 2018 in Hamburg zu sehen, als einzige Station dieser gelungenen Tourproduktion in Deutschland. Absolute Besuchsempfehlung.

Markus Lamers, 11.08.2018
Fotos: © Scott Rylander