besuchte Aufführung am 8.6.2016
Kaum Mythologisches im Wirtshaus
Wir befinden uns in einem bayerischen Wirtshaus – Biertische, Krachlederne und Dirndl. Regisseur Christof Loy hat die Oper “Daphne” von Richard Strauss in die Niederungen bajuwarischer Wirtshausbräuche gezogen. Da blieb kaum Mythologisches übrig. Dass die Inszenierung (eine Übernahme vom Theater Basel) trotzdem funktioniert und weitgehend schlüssig rüberkommt, ist der differenzierten Personführung Loys und der psychologisch motivierten Sicht auf die Titelfigur zu danken.
Das Bühnenbild (von Annette Kurz) besteht aus einer Holzbretterwand mit einer Tür. Was hinter der Tür alles abgeht, will man vielleicht gar nicht so genau wissen – denn davor ist schon genug los. Daphne ist in der dörflichen Gemeinschaft eine Außenseiterin, deren ganze Liebe der Natur dient. Zärtlich und fürsorglich umhegt sie ihre Topfpflanzen; mit Männern hat sie nichts im Sinn. Sie macht einen verstörten Eindruck, ist vielleicht sogar Opfer eines früheren Missbrauchs. Ganz anders sind da die anderen beiden Bedienungskräfte (Raffaela Linti und Dorottya Láng) im Wirtshaus (im Libretto die Mägde), die es ordentlich krachen lassen und einem der Burschen sogar die Hose runterziehen. Wenn das dionysische Fest immer orgiastischer wird, führt Daphnes Mutter Gaea eine Horde fast nackter, geiler Jünglinge wie Hunde an der Leine.
Sie selbst hängt an der Schnapsflasche und sorgt kupplerisch dafür, dass das “Fest der Paarungen” seinen Namen verdient. Kein Wunder, dass Daphne da in ihre Traumwelt flüchtet und sich sogar von Leukippos, ihrem Freund aus Kindertagen, abwendet. Denn auch der fängt plötzlich an, sie zu bedrängen. Der Gott Apollo, der wie ein Jäger mit Armbrust auf dem Fest erscheint, ist da augenscheinlich aus anderem Holz. Daphne ist jedenfalls von ihm zunächst fasziniert. So sehr, dass sie von ihm zum Mord an Leukippos manipuliert wird. Im Libretto ist es eigentlich Apollo, der seinen Nebenbuhler tötet. Eine Verwandlung in einen Baum findet nicht statt. Hier wird Daphne, nachdem sie sich einen Lorbeerzweig ins Haar gesteckt hat, von Schergen in Nazi-Uniform abgeführt, um dann aus dem Off ihre Vocalise zu singen. Dass es nun unbedingt wieder Nazi-Look sein musste, wirkte ziemlich aufgesetzt, auch wenn die Tatsache, dass “Daphne” 1938 uraufgeführt wurde, der Vater des Gedankens gewesen sein mag. Trotz kleiner Einwände gegen manches plakative Detail, ist Loy doch eine einfühlsame Seelenschilderung Daphnes und Apollos gelungen. Die Szenen zwischen beiden sind von zartem, intimem Charakter geprägt. Weil „Daphne“ hier von der Mythologie entkoppelt und „geerdet“ wurde, entsteht das Bild von einer, durch welche Umstände auch immer, dem Wahnsinn verfallenden Hauptperson und einem reuevollen Apollo. Wenn die Natur sich mit Blitz und Donner von ihrer bedrohlichen Seite zeigt, wird die Bretterwand hochgezogen und grelle, ins Publikum gerichtete Scheinwerfer beleuchten die Szene.
Über die musikalische Seite kann man nur ins Schwärmen geraten. Die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz, die die Partie schon in Basel gesungen hat, erwies sich als Traumbesetzung für die Daphne. Ihr warmer Sopran glitt mühelos durch alle Lagen ohne jeden Anflug von Schärfe. Mit aufblühender Höhe, perfekter Linienführung und persönlichkeitsstarker Präsenz gelang ihr ein eindringliches Debüt in Hamburg. Auch Eric Cutler konnte als Apollo mit kraftvoll und heldisch geführtem Tenor begeistern. Die Stimme hatte Volumen und Ausdruckskraft. Peter Lodahl kam da als Leukippos etwas schmalspuriger daher, konnte die Partie aber sicher erfüllen. Hanna Schwarz, verdiente und legendäre Altistin, war als Gaea zu erleben, die sie fast wie eine Schwester der Herodias anlegte. Mit ausladender Stimme und viel Persönlichkeit gab sie der Partie nachdrückliches Profil. Wilhelm Schwinghammer wirkte als Peneios daneben etwas blass.
Michael Boder am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg ließ die opulente, farbenreiche Musik von Strauss in allen Schattierungen funkeln. Die dramatischen Zuspitzungen, der sinnliche Fluss der Musik und der schwelgerische Klang waren einfach überwältigend. Schade und eigentlich unbegreiflich, dass „Daphne“ doch relativ selten in den Spielplänen auftaucht.
Wolfgang Denker, 9.6.2016
Fotos von Brinkhoff / Mögenburg