Hamburg: „Madama Butterfly“

Premiere der Wiederaufnahme am 15.3.

Ein triumphaler Abend: Applausstürme bei dieser dritten und letzten Vorstellung aus 2012 für das Ensemble und den Dirigenten, als sie vor den Vorhang traten, und spontane standing ovations für Ermonela Jaho, die die Titelrolle gesungen, nein, verkörpert, gelebt hatte.

Die Inszenierung aus 2012 stammt von Vincent Boussard (Bühnenbild von Vincent Lemaire, Kostüme von Christian Lacroix). Der französische Regisseur setzte auf eine rein psychoanalytische Interpretation des Schicksals der Cio-Cio-San, was bedeutet, dass er diese Butterfly nicht als naives Mädchen sieht, sondern als junge Frau, die – obwohl verliebt – in der Heirat mit Pinkerton auch die Chance sieht, aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen. Als sie ihre Fehleinschätzung während Pinkertons langer Absenz erkennen muss, spinnt sie sich in einer irrealen Welt ein, in die Suzuki und der Konsul schon gar nicht vordringen können. Das Kind ist somit folgerichtig eine Puppe, die von Suzuki in einem Schrank mit vielen anderen Puppen verstaut wird. Nach Butterflys Selbstmord öffnet sich die Schranktür: Die Puppe ist allein geblieben, und als sie herausstürzt, zerbricht sie. Eine Auslegung, die mit einer phantastischen Singschauspielerin wie Jaho funktionieren kann. Das Bühnenbild stellte eine Wendeltreppe in den Mittelpunkt, wobei die Bühnenebene von unten durch eine Öffnung zu erreichen war (nie war Sharpless‘ „Uff“ bei seinem Auftritt logischer…). Große Bedeutung kommt der Beleuchtung von Guido Levi zu mit ihren malerische Wände mit Blumen erhellenden Projektionen. Im 2. und 3. (richtigerweise pausenlos gespielten) Akt gesellt sich nur ein Lederfauteuil zur Ausstattung, auf dem Butterfly, nunmehr in Leggins, wiederholt in embryonaler Stellung Zuflucht sucht. Modeschöpfer Lacroix hatte sich ja bei den prachtvollen Entwürfen für die Kimonos bei der Hochzeitszeremonie austoben können (da schiebt man den Einwand, Butterflys Familie sei in Ungnade gefallen und daher arm, gern zur Seite…).

Wie bereits erwähnt war Ermonela Jaho die perfekte Interpretin dieser „kleinen Frau Schmetterling“ (so lautete der Titel der seinerzeitigen deutschen Übersetzung). Spätestens im Liebesduett, wenn sie Pinkerton fragt, ob Schmetterlinge im Westen tatsächlich aufgespießt ausgestellt werden, erkennen wir ihre übergroße Sensibilität, wenn sie sich panisch erschreckt in eine Ecke flüchtet. Ihr Verharren in einer eigenen Welt führt geradewegs in den Abgrund und damit den Selbstmord. Das Schöne an dieser Leistung ist aber nicht nur die schauspielerische Seite, sondern auch die stimmliche, denn wunderbar blühen die Höhen ihres nie forcierten lyrischen Soprans auf, die Momente der Erschütterung werden regelmäßig auch zu vokalen Höhepunkten. Über ein gewisses Defizit in manchen tiefliegenden Phrasen will ich hier nicht beckmessern. Als Pinkerton war ihr Pavel Cernoch ein eleganter Partner, dessen an Farben nicht eben überreicher Tenor besser zu seiner dramatischen Reue im 3. als zur Sinnlichkeit des Liebesduetts im 1. Akt passte. (Die Regie zeichnet ihn als dem Alkohol zutiefst verbunden, denn von seiner Whiskyflasche trennt er sich im 1. Akt nur schwer). Ausgezeichnet war Franco Vassallo (in der ganzen Serie anstelle von Ambrogio Maestri), der bei bester Diktion einen etwas behäbigen Sharpless gab, dem erst im 2. Akt die Situation völlig bewusst wurde. Eine hellwache, mitfühlende Suzuki war Kristina Stanek, der allerdings eine überzeugende Mezzotiefe fehlte. Stimmlich und szenisch ausgezeichnet der Goro mit seinen kommerziellen Interessen von Peter Hoare. Unter den Comprimari seien noch Tigran Martirossian als donnernder Zio Bonzo, die in Marilyn-Outfit als Kate Pinkerton auftretende Kady Evanyshyn und, leider ein Ausfall, Peter Galliard als Yamadori genannt.

Zu loben ist die Leistung des Chors des Hauses unter Christian Günther und vor allem die des Philharmonischen Staatsorchesters, das den Vorgaben seines Dirigenten Matteo Beltrami „auf der Sesselkante“ folgte, wie man zu sagen pflegt. Daraus ergab sich eine orchestrale Wiedergabe von einer Intensität, die für mich der doch recht intellektuellen Regie das exquisite, tränentreibende Element gegenübersetzte.

Vom triumphalen Erfolg war schon die Rede.

Eva Pleus 30.3.22