Stream vom 28. Januar 2021
Ein Sängerfest
Etwas verspätet seien doch noch einige Anmerkungen zur von der Staatsoper Hamburg gestreamten Premiere der „opéra comique“ Manon von Jules Massenet auf das Libretto von Henri Meilhac und Philippe Gille getattet. Darüber waren alle Rezensenten einer Meinung – betreffend die Solisten war es ein „Sängerfest“ , wobei bei allen das gut verständliche Französisch auch in den gesprochenen Szenen gelobt werden muß – wegen dieser Sprechszenen heißt sie „opéra comique“
Das galt vor allem für Elsa Dreisig in der Titelpartie, die die wechselnden Stimmungen sängerisch perfekt ausdrücken konnte – sie ist ja fast in jedem Akt ein anderer Charakter. Das reichte vom naiven Auftrittslied im ersten Akt „Je suis encore tout étourdie“ über die Koloraturen der Cours-La-Reine Szene mit bis hin zu exakt getroffenen Spitzentönen auf „Profitons de la jeunesse“ oder der sinnlichen Verführungskunst im St.-Sulpice-Kloster. Ebenso eindringlich gelangen die p-Stellen, der lyrische Abschied von der „petite table“, die Reue im letzten Akt oder der nur noch gehauchte Abschied vom Leben bei den Schlußworten der„l´histoire de Manon Lescaut“ Ioan Hotea als ihr geliebter Chevalier des Grieux verfügte über das für französische Oper notwendige Tenor-Timbre bei gelungener Flexibilität, um sentimentales Liebesglück oder abgründige Verzweiflung stimmlich auszudrücken. Als Beispiel sei genannt die Vision des einfachen Lebens mit Manon auf dem Land „Je ferme les yeux“ oder der Stimmungswechsel im Kloster St. Sulpice. Auch Björn Bürger als Manon´s Bruder Lescaut verfügte über Bariton-Qualitäten zwischen lyrischen und und zynischen Ausdrucksmöglichkeiten, obwohl er dazu noch fast immer bekifft über die Bühne torkeln mußte. Mit würdigem profundem Baß sang Dimitry Ivashchenko den Vater Grieux Auch Manon´s Freundinnen wurden rollengerecht gesungen ebenso die beiden Rivalen von des Grieux.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg brachte unter der Leitung von Sébastien Roland die verschiedenen musikalischen Facetten von Massenet´s Partitur zwischen sonoren Streicherklängen, Tanzrhythmen oder schnellen Spielkartenmotiven als Genuß für den Zuhörer zum Ausdruck, wobei etwa manche Streicherpartien doch von der corona-bedingten kleinen Besetzung weniger schwelgerisch als gewohnt klangen. Hervorgehoben seien die Soli einzelner Instrumente. Der Chor der Hamburgischen Staatsoper einstudiert von Eberhard Friedrich sang aus den Rängen des natürlich leeren Opernhauses heraus. Aus dieser Position war dann doch die Abstimmung mit dem Dirigenten im Orchestergraben manchmal etwas schwierig, hervorzuheben war der Damenchor als Betschwestern im Kloster S. Sulpice.
Die Inszenierung von David Bösch, das Bühnenbild von Patrick Bannwart und die Kostüme von Falko Herold ebenso wie Aktualisierung der Handlung ins heuteempfand ich als die Musik unangemessen vergröbernd. Man fragt sich, warum der Wirt im ersten Akt mit einem Schlachtermesser herumlief, warum Manon im Cours-la-Reine-Akt als Marilyn Monroe-Verschnitt auftrat oder im Hotel Transsylvanien weniger Glücksspiel als Spiel mit Pistolen gezeigt wurde. Dies stand auch in keinem Zusammenhang zum corona-bedingten Abstand der Mitwirkenden zu einander. Natürlich durften Videos entworfen von Bühnenbildner und Kostümbildner nicht fehlen – sie zeigten neben Großaufnahmen von Manon vor allem mehrere oder eine Katze, die dann zum Schluß verblutete.
So war dies den vor allem eine Aufführung für den musikbegeisterten Zuhörer, was bei einer richtigen Aufführung sicher heftigen und langen Applaus hervorgerufen hätte.
Sigi Brockmann, 30. Januar 2021