Hamburg: „Falstaff“

Premiere am 19.01.2020

Ohne Charme

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieser Falstaff wird nicht lange in Erinnerung bleiben, auch wenn der Regisseur Calixto Bieito heißt. Bieito galt lange als „Enfant terrible“ der Opernszene, weil seine Inszenierungen oft provokant waren. Nach „Otello“ und dem Verdi-Requiem ist dieser Falstaff die dritte Produktion in Hamburg mit Bieito. Aber hier sind Bieitos Einfälle nur dünn gesät.

Bevor das Orchester einsetzt, sitzt der dicke Sir John Falstaff vor einem Wirtshaus und schlürft eine Auster nach der anderen – eine gefühlte Ewigkeit lang. Das Wirtshaus kann man dank ständigem Einsatz der Drehbühne von allen Seiten bewundern. Mal ist es eine kahle Wand, mal der Innenraum des Gasthofs (warum dort leuchtende Shell-Muscheln prangen, bleibt ein Rätsel). Oben befindet sich ein Schlafzimmer, in welchem Fenton und Nannetta bei erster Gelegenheit übereinander herfallen (Bühne von Susanne Gschwender). Dieser Wechsel der Optik scheint eine differenzierte Personenführung größtenteils zu ersetzen. Oft stehen die Frauen (Alice, Meg, Quickly und Nannetta) nur aufgereiht an der Rampe oder lehnen sich an die Hauswand, dann sind es – nicht viel anders – die Männer. Ein bisschen Aktion gibt es dennoch, etwa wenn Dr. Cajus (Jürgen Sacher) auf den Kopf gestellt wird, bis ihm die Geldmünzen aus der Kleidung fallen, wenn Falstaff bei seinem Rendezvous mit Alice Ford ihr unverblümt an die Wäsche geht oder wenn Ford und eine irrwitzig große Schar von Nachbarn das Haus stürmen und nach Falstaff suchen.

Der hat sich zur Tarnung allerdings einen Lampenschirm auf den Kopf gesetzt. Am Ende wird er mit einem Kübel Kot übergossen und verschwindet nicht in der Gelben Tonne, wie man hätte vermuten können. Dort versteckt sich dafür der halbnackte Fenton. Seinen Monolog über die Schlechtigkeit der Welt hält Falstaff auf der Toilette, während er mit Klopapier hantiert. Diese Örtlichkeit wird später auch von Nannetta heimgesucht, die über das positive Ergebnis ihres Schwangerschaftstest entsetzt ist. Dass Falstaff seine Kumpane Bardolfo und Pistola (Daniel Kluge und Tigran Martirossian) mit einer Sektfontäne duscht, ist hinnehmbar. Dass Alice Ford es bei ihren Mitstreiterinnen dann ebenso tut, ist einfallslos. Und deren ständiges wippendes Gezappel im Takt der Musik nervt einfach nur.

Dass zwischendurch ein Transparent mit der Aufschrift „Fette Steuern für die Fetten“ ausgerollt wird, ist deplaziert und an Plattheit nicht zu übertreffen. Nein, dieser Falstaff ist kein großer Wurf, dazu hätte man in der Charakterisierung subtiler vorgehen müssen. Vor allem die Figur des Falstaff, der eigentlich ein philosophisches Schlitzohr ist und auch sympathische Seiten zeigen sollte, bleibt eigentlich ohne Charme.

Das liegt nicht an Ambrogio Maestri, der ein erfahrener Falstaff ist und der Figur in seinem gelben T-Shirt (Kostüme von Anja Rabes) trotz allem viel Profil geben kann. Sein Gesang ist stets präsent und ausdrucksvoll. Auch die Damenriege mit Maija Kovalevska als gewitzter Alice Ford, Ida Aldrian als Meg Page und Nadezhda Karyazina als allzu sehr auf jugendlich getrimmte Mrs. Quickly überzeugen. Stimmlich und darstellerisch bezaubernd sind Elbenita Kajtazi und Oleksiy Palchykov als Liebespaar Nannetta und Fenton, die schon gleich am Anfang im Partnerlook erscheinen. Auch Markus Bruck macht als Ford mit sonorem Bariton eine gute Figur.

Für das gute Gelingen der musikalischen Seite sorgen auch der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor und das von Axel Kober umsichtig geleitete Philharmonische Staatsorchester. Für die Regie gab es teilweise massive Buh-Rufe bei der Premiere.

Wolfgang Denker, 21.01.2020

Fotos von Monika Rittershaus