Hamburg: „Norma“, Vincenzo Bellini

Yona Kim inszenierte Vincenzo Bellinis „Norma“, einer der bedeutendsten Belcanto-Opern schlechthin, bereits 2020 an der Staatsoper Hamburg. Bei der Wiederaufnahme im April/Mai war an sich Saioa Hernández in der Titelrolle vorgesehen. Da sie absagen musste, lud man die junge Usbekin Barno Ismatullaeva ein, die nicht zuletzt im Sommer 2022 als Cho-Cho-San in „Madama Butterfly“ bei den Bregenzer Festspielen großes Aufsehen bei Publikum und Presse verursachte, aber auch schon in ihrem Stammhaus Hannover mit hochklassigen Interpretationen der Rachel, Mimi, Michaela, Desdemona und anderer wichtiger Hauptrollen glänzen konnte. Einen größeren Gefallen als mit dieser „Einspringerin“ konnte sich die Staatsoper Hamburg kaum tun. Ismatullaevas gesangliche und darstellerische Interpretation der Druidenfürstin Norma sprengte alle Erwartungen. Schon bei der Premiere war das Hamburger Publikum, welches nicht gerade für südländische Temperamentsausbrüche bekannt ist, aus dem Häuschen. Und Barno war auch noch in der Dernière der Serie an diesem 6. Mai ein großes Erlaubnis, eine Protagonistin im wahrsten Sinne des Wortes, die in dieser Aufführung auch alle anderen mitzureißen schien.

Barno Ismatullaeva / © Sandra Them

Janina Zell schreibt im Programmheft, dass die Norma szenisch wie stimmlich ein „Martyrium für Sopranistinnen“ sei und die legendäre Maria Callas (wer erinnert sich nicht an ihr ebenso legendäres „Casta Diva“ an der Pariser Oper?!) am Ende ihrer 92. „Norma“-Aufführung vor Erschöpfung zusammen gebrochen sein soll. Es ist offenbar diese zweifache Herausforderung, die die Norma an jede Interpretin stellt, nämlich höchste Belcanto-Gesangskunst in Einklang, ja in eine Symbiose zu bringen mit der von allen erwarteten ikonenhaften Persönlichkeit der Druidenpriesterin, um die sich im Stück im wahrsten Sinne des Wortes alles dreht.

Und Barno Ismatullaeva hat an diesem Abend – und wohl auch an den anderen – mit ihrem bezaubernden lyrisch-dramatischen Gesang, höhensicher mit allen vokalen Nuancen und Ausrucksfacetten, dunkel und charaktervoll abschattiert bei den tragischen Momenten der Partie, die ganze Bandbreite der herausfordernden Rolle gemeistert. Ihr „Casta Diva“ vorn auf dem Souffleurkasten im Sitzen (!) und ihr „Son io!“ gegen Ende ließen niemanden im Publikum unberührt, und die Arie erhielt langanhaltenden Applaus mit Brava-Rufen. Ihre darstellerische Wandlungsfähigkeit von der mütterlichen Zuneigung zu ihren kleinen Kindern im Versteck und ihrer Bestimmtheit in der Kontrolle der kampfeswilligen Gallier spielt Ismatullaeva auch mimisch mit großer Authentizität und macht somit ihre komplexe Gefühlswelt allen auf der Bühne und im Publikum deutlich. Man geht und fühlt einfach mit!

Hier bahnt sich offenbar eine noch junge asiatische Sängerin mit ganz authentischen wie natürlichen eigenen Mitteln einen Weg in die abendländische Kunstform Oper, als wäre sie in ihren Längengraden aufgewachsen. Dazu kommt ein äußerst natürliches Naturell, dass ihr die Sympathien des Publikums nur so zufliegen lässt. Noch beim Schlussapplaus vermochte sie den Dirigenten und alle Mitwirkenden besonders zu animieren. Diese Sängergestalterin wird noch weit kommen, und die Staatsoper Hamburg täte wohl gut daran, sie nach dem Erfolg mit dieser „Norma“-Serie einmal für eine Premiere anzusetzen.

© Hans Jörg Michel

Barno Ismatullaeva hatte aber auch sehr gute Kollegen und Kolleginnen an diesem Abend, was ebenfalls zur eigenen Leistung erforderlich und somit förderlich ist. Karine Deshayes singt eine Adalgisa mit einem klangvollen und vielseitigen Mezzo in gutem vokalem Kontrast zu Ismatullaevas Sopran. Sie versteht die vielen Gefühlswallungen, durch die sie als Normas Freundin und gleichzeitig Buhlin um derselben Mann im Verlauf des Stückes gehen muss, dramatisch nachvollziehbar und durchaus einnehmend darzustellen. Die Dialoge zwischen den beiden gehören zu den Höhepunkten des Abends und sind auch von großer emotionaler Intensität.

Najmiddin Mavlyanov hat als Pollione bei diesen beiden Damen ein schweren Stand und wirkt auch nicht so committed wie sie. Trotz seines kraftvollen, etwas barocken Tenors fehlt ihm die letzte schauspielerische Intensität, um auch sein problematisches Schicksal ähnlich intensiv wie die beiden Damen über die Rampe zu bringen. Tigran Martirossian ist ein sängerisch zwar hinreichender Oroveso, wird aber von der Regie in eine undankbare Bürokratenrolle gepresst und kann somit darstellerisch kaum punkten. Seungwoo Simo Yang als Flavio und Renate Spingler als frustrierte Clotilde sind sängerisch angemessen besetzt, können darstellerisch aber kaum Eindruck machen.

Wobei wir bei der Regie von Yona Kim im Bühnenbild von Christian Schmidt und bei den Kostümen von Falk Bauer wären, die auf diesem Gebiet der Regie ja nicht immer besonders glänzte, wenn man nur ihren in großer Eile auf die Mannheimer Bühne „gestellten“, recht oberflächlichen „Ring des Nibelungen“ zum Abschied von GMD Soddy 2022 zurück denkt. Natürlich kann sie als Vertreterin des Regietheaters die „Norma“ nicht in ihren mythischen Zusammenhängen lassen, die Vincenzo Bellini mit dem Text von Felice Romani einst intendiert hatte und wozu seine Komposition mit dem Belcanto-Gesang in besonderem Maße auch passt. Allein, Kim wollte das Stück gleich „aus der fernen vorchristlichen Zeit weg katapultieren“ und in modellhafte Bilder und Szenen überführen, um es für die heutigen Zuschauer lesbar zu machen. Da wird natürlich schon wieder über den Kopf des Zuschauers hinweg bestimmt, was mit so einem Hauptwerk der klassischen Opernkunst geschehen kann oder zu geschehen hat, ohne dass dem Publikum irgendeine Mitsprache einer von ihm erwarteten Interpretation zukäme.

© Hans Jörg Michel

Allein die Idee des Regisseurs ist maßgeblich, das Stück in einer komplett anderen Ästhetik aufzuführen und dabei offenbar immer mehr aus der Sicht der besetzten Gallier, während man von den Römern außer Pollione und Flavio ja nichts zu sehen bekommt. Man kann die „Norma“ mit der typischen Problematik von Besetzten durch Besatzer assoziieren, was unmittelbar an kriegerische Auseinandersetzungen unserer Tage denken lässt, obwohl die Produktion schon 2020 heraus kam. Dass aber in Kims Lesart die Besetzten mit äußerster Brutalität unter sich selbst und gegen ein paar gefangene Römer vorgehen, die sie ständig mit Benzin zum Feuertod übergießen, verschafft Kims Werk-Interpretation doch eine erhebliche Schieflage. Erst recht, wenn man sie mit den Intentionen der Schöpfer vergleicht, und natürlich Bellinis Musik, sowie dem Gesang, zu denen das Ganze bei Kim allzu oft überhaupt nicht passt.

Dabei wird natürlich auf das Prinzip Hässlichkeit gesetzt, denn anders kann man den blechernen und wie eine Leichtbaugarage wirkenden Container kaum charakterisieren, in dem Norma kommt – obwohl sie von Anfang an bereits unter den Galliern ist – und der mit generell viel zu häufigen Vorhängen immer wieder verschwindet und zurück kommt, natürlich bestückt mit den post-stereotypen Wartezimmer-Stühlen samt Tisch. Von Wald kann keine Rede sein, obwohl der immer wieder zitiert wird, aber das ist ja längst kein Thema mehr. Stattdessen werden die Wände des Containers von den Galliern mit schwarzer Farbe beschmiert. Die schon geschnittenen Misteln werden lieblos von einem Chorsänger in eine Blechschale geworfen. Und statt dass Norma eine goldene Sichel schwingt – passt hier natürlich nicht! – halten etliche Chordamen beständig Käsemesser in die Höhe, was aber auch nicht passt, aber wohl beständige Brutalität aus Frustration über die zu lange dauernde Okkupation symbolisieren soll. Wenn es auch inhaltlich-thematisch nachvollziehbar ist, so wirkt dieses Regiekonzept Kims doch arg über einen Kamm gebürstet und fällt so leider oft mit dem, was musikalisch geboten wird, auseinander. Starke Momente gibt es aber gegen Ende der Aufführung, als der Chor auf einmal zu Anklägern Normas in roten Roben mutiert und sie unisono dem theatralisch eindrucksvoll angedeuteten Feuertod überantwortet.

Giampaolo Bisanti weiß mit dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg die richtigen dramatischen und lyrischen Akzente zu setzen und stellt durch seine Musizierweise sicher, dass der Belcanto zu seiner Bedeutung kommt. Zudem konnte der von Eberhard Friedrich, dem Bayreuther Chordirektor, einstudierte Chor der Staatsoper Hamburg, den ganzen Abend über sein ausgezeichnetes Niveau unter Beweis stellen. Das war in seiner Gesamtheit angesichts der tristen Optik wieder etwas versöhnlich…           

Klaus Billand, 14. Mai 2023


Norma

Vincenzo Bellini

Staatsoper Hamburg

Besuchte Vorstellung: 6. Mai 2023

Inszenierung: Yona Kim

Musikalische Leitung: Giampaolo Bisanti

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg