Stuttgart: „Der Freischütz“

Besuchte Aufführung: 7.10.2018 , Premiere: 12.10.1980

Votiv-Malerei in der „Guten Stube“

Sie ist schon immer wieder die Fahrt nach Stuttgart wert, Achim Freyer s bereits 38 Jahre alte Inszenierung von Webers „Freischütz“. Hier haben wir es mit einer Produktion zu tun, die in jeder Beziehung nachhaltig begeisterte und einen gewaltigen Eindruck hinterließ. Die Einstudierung der Wiederaufnahme war bei der Regieassistentin Carmen C. Kruse in besten Händen. Ihr war es zu verdanken, dass Freyers Regiearbeit auch nach so langer Zeit noch frisch und lebendig wirkte wie am ersten Tag. Sie hat schon ganze Arbeit geleistet. Das ist nicht zu bestreiten.

Mitglieder des Staatsopernchores, Daniel Behle (Max)

Freyers Interpretation ist immer noch so ansprechend wie im Jahre 1980, als die damals hoch umstrittene Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper aus der Taufe gehoben wurde. Er interpretiert die Handlung als Abbild einer Welt, „die sich im Chaos der Unvereinbarkeiten, des Dunkeln, des Fremden und des Unbewältigten ihre eigenen Schutzwände in Form einer ‚Guten Stube’ errichtet hat“. Diese „Gute Stube“ bildet das Einheitsbühnenbild, das ebenfalls von Freyer stammt und das ständigen Variationen unterliegt. Auf den Wänden erblickt man zahlreiche Motive der Votiv-Malerei, die augenscheinlich ein Steckenpferd von Freyer darstellt. Dadurch bekommt der Bühnenraum einen ausgesprochen ästhetischen, farbenfrohen Charakter. In diese Richtung gehen auch die übertrieben stark geschminkten Protagonisten, deren gelungene Kostüme auch von Freyer stammen. Die Sänger wirken manchmal wie Puppen. Dazu gesellen sich eine sehr stilisierte Bewegungssprache und gleichartige Gesten. Im ersten Akt gibt es obendrein noch ein wenig Kasperletheater, in dem ein Puppenengel und ein Puppenteufel in spielerischem Kontakt miteinander agieren. Bei seinem Trinklied darf Kaspar das Kasperletheater auch einmal betreten.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Inszenierungen des Werkes hat Freyer dem Ganzen die von Weber nicht in Musik gesetzte, von seinem Librettisten Kind indes vehement verteidigte Dialogszene zwischen dem Eremiten und Agathe vorangestellt. Das kann man machen, wird der alte Einsiedler auf diese Weise am Ende doch nicht zum Deus ex Machina, was dramaturgisch verfehlt wäre. Im Hintergrund erblickt man das allsehende Auge Gottes, was bereits zu Beginn auf den guten Ausgang des Stückes hinweist. Ganz so in Jubel, Trubel und Heiterkeit lässt der Regisseur das Werk dann aber doch nicht enden, da er dem Happy end misstraut. Agathe, Ännchen und Max sind mit der Idee des Probejahres, das auf Intervention des Eremiten künftig an die Stelle des Probeschusses treten soll, augenscheinlich nicht besonders glücklich.

Aber auch heitere Aspekte weist Freyers unterhaltsame Produktion zur Genüge auf. Insbesondere der Jägerchor mit seinem herrlich komischen Dirigenten sowie der zu Beginn des dritten Aktes zusammen mit der Jagdgesellschaft über die Bühne laufende Hund wirkten recht lustig. Zum Schmunzeln gab auch das zum Beginn desselben Aktes auf dem Vorhang befestigte Papp-Füchslein Anlass, das von Kaspar mit der sechsten Freikugel so ganz nebenbei erlegt wurde. Schauder erregte das gespenstisch in Szene gesetzte Bild der Wolfsschlucht mit seinen zahlreichen unheimlichen Tieren und Gestalten sowie den vier Feuerrädern, die während des Gießens der Freikugeln über die Bühne rollten. Offenkundig wurde, dass sich Freyer mit seiner Deutung stets ganz nah am Libretto hielt. Seine damals von einem Großteil von Publikum und Presse abgelehnte Inszenierung mutet heute eher konventionell an. Sie ist aber immer noch ausgesprochen intensiv, was nicht zuletzt an der stringenten Personenführung liegt.

Mitglieder des Staatsopernchores

Auf hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Daniel Behle, der vor zwei Wochen an der Bayerischen Staatsoper noch den David gesungen hatte, bewies mit geschmeidig geführtem, gut sitzendem und viel lyrischen Schmelz aufweisenden Tenor, dass er auch für den Max eine gute Besetzung ist. Einen dunkel timbrierten, elegant dahinfliessenden und recht emotional eingesetzten jugendlich-dramatischen Sopran brachte Laura Wilde in die Partie der Agathe ein. Ein darstellerisch äußerst temperamentvolles, taffes und gesanglich mit frischem, trefflich verankertem Sopran durchaus überzeugendes Ännchen war Josefin Feiler. Mit hellem, kraftvollem und ausdrucksstarkem Bass sang Friedemann Röhlig den Kaspar. Sonor und gut auf Linie singend gab David Steffens dem Eremiten ein prächtiges Profil. Mit wunderbarem sonorem Bassklang wertete Michael Nagl die kleine Rolle des Kuno auf. Aus den Ensembles der Schlussszene war der kräftige, über ein sicheres hohes ‚gis’ verfügende Bariton von Michael Ebbecke s Ottokar deutlich herauszuhören. Als Kilian gefiel Elliott Carlton Hines. Der schwarze Jäger Samiel wurde von Kristian Metzner sehr markant gesprochen. Mächtig legte sich der von Manuel Pujol einstudierte Chor und Kinderchor ins Zeug.

Am Pult animierte Georg Fritzsch das blendend disponierte Staatsorchester Stuttgart zu einem intensiven, differenzierten und nuancenreichen Spiel mit hohem Ausdrucksgehalt. Das Dirigat war emphatisch und feurig, aber auch die lyrischen Momente wurden von Dirigent und Musikern einfühlsam zelebriert. Die Transparenz war vorbildlich.

Fazit: Hier haben wir es mit einem echten szenischen Klassiker zu tun, der jedem Opernfreund dringendst ans Herz gelegt wird.

Ludwig Steinbach, 8.10.2018

Die Bilder stammen von Martin Sigmund.