Stuttgart: „Nixon in China“, John Adams

(c) Matthias Baus

An der an diesem Abend ausverkauften Staatsoper Stuttgart ist John Adams‘ auf einem Textbuch von Alice Goodman fußender, im Jahre 1987 an der Houston Grand Opera uraufgeführter Oper Nixon in China wieder aufgenommen worden. Die Inszenierung besorgte Marco Storman. Frauke Löffel und Sara Schwartz zeichneten für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich. Die szenische Leitung der Wiederaufnahme lag in den Händen von Maurice Lenhard. Hier haben wir es mit einem ansprechenden Stück ehemaliger Tagespolitik zu tun. Demgemäß kann man sagen, dass die Nachrichten bei Nixon in China in die Oper gehen.

Seinen Ausgangspunkt nimmt das Werk bei der auch vom Regisseur nachhaltig thematisierten Medienwirksamkeit von Nixons Staatsbesuch in China. Schon bei der Ankunft sinnt Nixon vor allem über die Nachrichtenbilder, die sein Besuch erzeugt. Bei philosophischen Gesprächen mit Mao, einem alkoholgesättigten Staatsbankett, der Absolvierung des fast musicalhaften Rahmenprogramms und dem Besuch einer kulturrevolutionären Modelloper überlagern sich Realität, Polit-Inszenierung und Erinnerung und verbinden sich zu einem Ort – oder einem Zustand – außerhalb der Zeit (Programmbuch S. 6). Storman hat nicht eine historisch-realistische Abbildung des Staatsbesuches im Sinn. Das Bühnenbild erteilt einer Abbildung des wirklichen China eine deutliche Absage. Vielmehr versinnbildlicht es eine Installation, in die sich auch so manches andere Stück eingefügt hätte. Ein Flughafen und ein Düsenjäger sind am Anfang nicht zu erblicken. Nixon senkt sich in einem überdimensionalen Käfig vom Schnürboden herab. Die Kostüme wirken ebenfalls neutral. Die Kleider von Nixon, seiner Frau und Kissinger kann man noch als amerikanisch gehalten bezeichnen, auf der anderen Seite wirken die Gewandungen der Chinesen nicht gerade fernöstlich. Mao wird von der Regie als in einem hellen Anzug erscheinender Sektenprediger gedeutet, der viel liest und gerne philosophiert. Einen ersten Höhepunkt von Stormans Regiearbeit stellt Maos Gespräch mit Nixon im ersten Akt dar. Letzterer ist der Ansicht, in dieser heißen Debatte den Sieg davonzutragen. Indes bleibt Nixon verborgen, dass Mao die Vorzeichen schon lange derart variiert hat, dass er dem chinesischen Staatschef nun hoffnungslos unterlegen ist. Schon diese Szene hat der Regisseur äußerst gekonnt in Szene gesetzt. Auch sonst wartet er mit einer ausgefeilten, stringenten Personenregie auf, die den Abend zu einer sehr kurzweiligen Angelegenheit machte.

(c) Matthias Baus

Insgesamt thematisiert Storman in seiner Inszenierung die Überlagerung unterschiedlicher Stücke und verschiedener politischer Systeme und Erzählebenen sowie das Gegeneinander von chinesischen Traditionen und christlichen Inhalten. In erster Linie gelingt dem Regisseur im Opern-Bild des zweiten Aktes eine starke Thematisierung des Spiels von Realitäts- und Wahrnehmungsebenen. Es sind starke, eindringliche Impressionen, mit denen er hier aufwartet. Diese Bilder können sich indes durchaus auch mal widersprechen, was einen weiteren wichtigen Aspekt von Stormans Konzept bildet. Was bedeuten diese Bilder? Wie schnell kann man auf sie hereinfallen? Das zu Beginn der Oper von oben herab fliegende amerikanische Time-Magazin sowie einige rote Mao-Bibeln, die auch das Interesse der amerikanischen Gäste erregen, sind hier ins Feld zu führen. Stehen sie wirklich für die anvisierte Eintracht? Diese zentralen Fragen stellt Storman mit Nachdruck in den Raum. Er geht aber noch weiter.  Frau Goodman intendierte, eine große heroische Oper zu schreiben. Sämtliche Figuren versuchen sich als Helden aufzuspielen. Wer sind die Helden des 20. Jahrhunderts? Was macht sie aus? Den ganzen Staatsbesuch Nixons kann man als eine einzige, groß angelegte Heldenkonstruktion bezeichnen. Diesen Heldenbildern begegnet der Regisseur mit ausgeprägtem Misstrauen. Er beabsichtigt eine totale Dekonstruktion derartiger Heldenmythen und interpretiert den amerikanischen Präsidenten lediglich durch das Entertainment-Element. Nixon kommt es zuvorderst darauf an, mittels einer Selbstinszenierung Wirkung zu entfalten. Auf den Fernsehbildschirmen seines Heimatkontinents zu erscheinen, hat für ihn zentrale Relevanz. Dass Mao der Anführer einer Sekte ist, wurde oben bereits erwähnt.

(c) Matthias Baus

Er erfährt seine regieliche Definition über Räume. Mit Nixon debattiert er auf psychologischer Ebene. Gekonnt legt Storman die Strukturen offen, wie sich Macht manifestiert. Es ist ein spannender Gegensatz zwischen zwei Staatsoberhäuptern, den die Regie eindringlich beleuchtet. An der Tatsache, dass es sich bei Mao um einen ausgemachten Verbrecher handelt, kann es keinen wirklichen Zweifel geben. Dieser Aspekt manifestiert sich spätestens an der Stelle, an der der chinesische Machthaber an einer Reihe von mit Namensschildern ausgestatteten Delinquenten vorbeigeht, die dann der Reihe nach tot umfallen.

Mit seinem Staatsbesuch in China ist es Nixon gelungen, Amerika die westliche Welt zu erschließen. Dieser Punkt dürfte für seine Wiederwahl essentiell gewesen sein. In seiner Reise nach Peking hat man eine Wurzel dessen zu erblicken, wie heute Politik gemacht wird. Insoweit erhält die Aufführung einen recht aktuellen Anstrich, der von Storman groß herausgestellt wird. Der Kampf zwischen zwei Kulturen kann heutzutage in mancherlei Hinsicht noch genauso zeitgemäß sein wie damals. Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Systemen liegen immer im Bereich des Möglichen. Und auch der Faktor Macht spielt hier eine wesentliche Rolle. Es geht darum, wie die handelnden Personen schon längst von ihm infiltriert sind und wie Bilder von Macht innere Meinungen gerieren. Hier handelt es sich um Rollenspiele. Auffällig ist indes, dass sich die Protagonisten irgendwann von ihren Rollen abwenden und von diesen dann auch nichts mehr wissen wollen. Ferner wird offenkundig, wie dem am Anfang sich ausgesprochen selbstsicher gebenden Nixon nach und nach seine Sicherheit genommen wird. Seine anfängliche Stärke wird zur Schwäche. Das erweist sich insbesondere in dem kammerspielartig in Szene gesetzten dritten Akt. Der Orchestergraben ist nun überdeckt und die Bühne reicht bis an das Parkett heran. Der Dirigent und die Souffleuse sind im linken Teil des Raumes platziert und kommen von dort ihrer jeweiligen Arbeit nach. Das Orchester erklingt aus dem Off. Die sechs Protagonisten versuchen Klarheit darüber zu erlangen, wo sie in ihrem Leben gestrandet sind, und ergehen sich in Erinnerungen. Der Aufbau einer gemeinsamen Zukunft ist jetzt unwesentlich geworden. Die Frauen wenden sich von ihren Männern ab und entwickeln einen gehörigen Schuss Eigeninitiative. Nixon hält es zu guter Letzt auf der Bühne nicht mehr länger aus und sucht sein Heil in der Flucht in das Publikum, wo er bis zum Schluss verweilt. Hier handelt es sich um ein ansprechendes Brecht’ sches Element. Der Chor singt ebenfalls häufig aus dem Parkett und dem 1. Rang, woraus ein ganz eigener Klangeindruck resultiert. Insgesamt kann man diese Produktion als vollauf gelungen bezeichnen.

(c) Matthias Baus

Auch die Musik hinterlässt einen gewaltigen Eindruck. Insbesondere huldigt Adams der Minimal-Music, wartet andererseits indes auch mit weiteren Faktoren auf. So erklingen zum Beispiel Musical-Klänge. Eine Stelle gemahnt stark an Leonard Bernsteins West Side Story. Konventionelle Oper lässt der Komponist ebenfalls in sein Werk mit einfließen.  So vernimmt man Anklänge an Wagner und Schönberg. Darüber hinaus huldigt Adams Jazz-Elementen. Daraus resultiert ein gefälliges Klanggemisch, das André de Ridder zusammen mit dem bestens disponierten Staatsorchester Stuttgart trefflich auslotete. De Ridder hatte bereits die Premiere 2019 dirigiert. Seitdem hat er sein Dirigat noch verfeinert. Der von ihm und den Musikern erzeugte Klangteppich war vielschichtig und äußerst gefällig. Perfekt wurden Zitate aus der Musikgeschichte herausgestellt. Die Übergänge wurden einmal mehr hervorragend gestaltet. Wunderbar gelangen am Schluss die Streicherkantilenen. Prägnanter als bei der Premierenserie 2019 erklangen die von der Minimal-Music geprägten Passagen.

An der Staatsoper Stuttgart hatte an diesem Abend der Krankheitsteufel zugeschlagen. Matthias Klink musste die Vorstellung absagen. Die Rolle des Mao Tse- tung teilten sich die Regieassistentin Sophia Binder, die die Rolle spielte, und der englische Gast-Tenor Peter Hoare, der den chinesischen Staatschef von der Seite mit recht maskigem Tenor sang. Michael Mayes gab mit profund klingendem Bariton und eindringlichem Spiel den Richard Nixon. Solide sang Katherine Manley die Pat Nixon. Sicher bis in die stratosphärischen Höhen der Chiang Ch‘ ing (Madame Mao Tse-Tung) hinauf führte Alina Adamski ihren beachtlichen Sopran. Sonor gab Lluis Calvert i Pey den Chou En-lai. Ein voll und rund intonierender Henry Kissinger war Shigeo Ishino. Einen ordentlichen Eindruck hinterließen Ida Ränzlöv, Deborah Saffery und Leia Lensing als die drei Sekretärinnen von Mao Tse-tung. Auf beachtlichem Niveau präsentierte sich der von Bernhard Moncado und Manuel Pujol einstudierte Staatsopernchor Stuttgart.

Fazit: Ein ungemein guter Opernabend, der die Fahrt nach Stuttgart wieder einmal voll gelohnt hat!

Ludwig Steinbach, 9.  Januar 2024


Nixon in China
John Adams

Staatsoper Stuttgart

Premiere: 7. April 2019
Besuchte Aufführung: 7. Januar 2024

André de Ridder
Staatsorchester Stuttgart