Stuttgart: „Der Räuber Hotzenplotz“, Sebastian Schwab

Seit kurzer Zeit ist an der Staatsoper Stuttgart erneut Sebastian Schwabs neues Singspiel Der Räuber Hotzenplotz zu erleben. Die erfolgreiche Uraufführung ging bereits am 4. März dieses Jahres über die Stuttgarter Bühne. Auch die hier zu besprechende Vormittagsvorstellung war eine beachtliche Angelegenheit. Hier haben wir es mit einem Werk zu tun, dass für Erwachsene und Kinder gleichermaßen geeignet ist.

(c) Lichtgut/Leif-Hendrik Piechowski

Ottfried Preußler hätte dieses Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiern können. Aus diesem Anlass gab die Junge Oper der Württembergischen Staatstheater dem Komponisten Sebastian Schwab  den Auftrag, ein neues Stück Musiktheater zu schreiben, dem Preußlers wohl berühmtestes Kinderbuch Der Räuber Hotzenplotz zugrunde liegt. So gesellte sich zu drei Filmen und mehreren Theaterstücken über dieses Sujet auch noch ein Singspiel dazu. Und dieses hat sicher seine Meriten. Was man an diesem Morgen zu hören bekam, war durchaus ansprechend. Schwab ist in Zusammenarbeit mit Elena Tzavara, Anne X. Weber und Susanne Lütje, die das Libretto und die Liedtexte schufen, ein großer Wurf gelungen. Das Singspiel bewegt sich ganz nah an Preußlers Kinderbuch und gibt dessen Handlung zum größten Teil unverfälscht wieder. Nur an einer Stelle ist eine Abweichung vom Original zu konstatieren: Der große und böse Zauberer Petrosilius Zwackelmann, ein eifriger Liebhaber von Kartoffelgerichten, darf hier überleben. Nachdem Kasperl die Fee Amaryllis aus ihrem Unkendasein befreit hat, fasst Zwackelmann den Entschluss, aus dem Stück auszusteigen und die Kantine aufzusuchen, wo an diesem Tag Nudeln mit Tomatensauce auf der Speisekarte stehen. Bratkartoffeln kann er nicht mehr sehen. Hier handelte es sich um eine akzeptable, durchaus kindgerechte Umdeutung. Schwab und sein Team nahmen Preußlers Buch ernst und haben es gekonnt in ein ausgesprochen heiteres Singspiel für Jung und Alt verwandelt.

c) Lichtgut/Leif-Hendrik Piechowski

Die Musik hinterließ einen positiven Eindruck. Zuerst einmal erwähnenswert ist der rege Wechsel zwischen gesungenen und gesprochenen Passagen. Zudem wartet Schwab häufig mit melodramatischen Elementen auf. Ein Großteil seiner Partitur erinnert an Volksmusik. Auch Musical-Klänge sind zu vernehmen. Eine wesentliche Inspirationsquelle für Schwab stellt offenbar Leonard Bernstein dar. Darüber hinaus weist das Werk eine prägnante Rhythmik auf. Diese kann man in erster Linie mit der Figur des Hotzenplotz in Verbindung bringen. Die eben geschilderten Punkte beanspruchen vor allem für den ersten Akt Geltung. Im zweiten Akt offenbart sich dann der Einfluss der italienischen Oper. Da präsentiert der Komponist auf einmal ausgesprochen lyrische, weiche sowie getragene Stellen. Von Zeit zu Zeit wird die Musik auch recht dramatisch. Wagner und Verdi reichen sich hier einvernehmlich die Hände. Hier haben wir es mit einem gefälligen Potpourri verschiedenster Musikstile zu tun. Und zu den herkömmlichen Orchesterstimmen treten so außergewöhnliche Instrumente wie Akkordeon, Cimbalom, Harmonium und allerlei Schlagwerk hinzu. Daraus resultiert ein vielschichtiges und differenziertes Klangbild, das bei Dirigent Florian Ziemen in guten Händen war. Er und das bestens disponierte Staatsorchester Stuttgart brachten Schwabs Partitur abwechslungsreich und intensiv zum Klingen.

Elena Tzavara hat zusätzlich noch die Regie übernommen. Zusammen mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Elisabeth Vogetseder hat sie sich der Geschichte mit viel Liebe angenommen und sie beherzt umgesetzt. Dabei setzt sie weniger auf die psychologische Entwicklung von Charakteren als vielmehr auf holzschnittartige Figurenzeichnungen. Sämtliche Personen und Konflikte entstammen dem Kasperletheater, so auch der Spruch Seid ihr schon alle da?, der von den zahlreich anwesenden Kindern mit einem lautstarken Ja beantwortet wurde. Oftmals findet eine Kontaktaufnahme mit dem Publikum, also den Kindern, statt. Dadurch hebt die Regisseurin geschickt die sogenannte vierte Wand auf. Eine Trennung zwischen Zuschauerraum und Bühne findet nicht mehr statt. Diese Vorgehensweise stellt ein altbewährtes Theatermittel dar, ebenso wie die Einbeziehung des Parketts, in dem Kasperl und Seppel zu Beginn saßen und durch das sich ersterer im zweiten Akt seinen Weg zur Hohen Heide suchte, in das Spiel. Noch vor Beginn der Vorstellung wandelte der Räuber Hotzenplotz durch die Ränge und mischte sich unter die Zuschauer. Und nach Ende des ersten Aktes war der Zauberer Zwackelmann im Parkett zu sehen, wie er sich wieder seinen Weg hinter die Bühne suchte und dabei mit einigen Kindern ein paar freundliche Worte wechselte. Das ist angewandter Brecht.

c) Lichtgut/Leif-Hendrik Piechowski

Die gesamte Inszenierung stellt praktisch ein Theater auf dem Theater dar, das durch einige kleine Bühnen mit Vorhängen symbolisiert wird. Letztere werden von Statisten immer wieder in die verschiedensten Stellungen gebracht. Ihre Farben sind unterschiedlich, was die unterschiedlichen Personen und Handlungsorte symbolisieren soll. So steht die Farbe Gelb für den Räuber Hotzenplotz, die Farbe Rosa für die Großmutter, die Farbe Schwarz für den Zauberer Zwackelmann sowie die Farbe Grün für den Wald. Ansonsten werden die variierenden Orte nur angedeutet. Es bleibt den Zuschauern viel Raum für eigene Assoziationen. Frau Tzavara gestattet dem Publikum bereitwillig, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um zu ergründen, wie das Theater funktioniert. Gekonnt werden hier sämtliche Theatereffekte herangezogen. Hervorragend gelungen sind die mannigfaltigen Zaubertricks. Die Personenregie ist mehr konventionell, nichtsdestotrotz aber  recht intensiv. Besonders einprägsam sind in dieser Beziehung der statt mit einer Zipfelmütze mit einer Narrenkappe ausgestattete Kasperl sowie der Zauberer Petrosilius Zwackelmann. Selbstverständlich erfährt auch der Räuber Hotzenplotz, der immer wieder einem Orchestermusiker seine Büchse zur Aufbewahrung übergibt, eine sehr persönliche Zeichnung, die ihn sogar ein wenig sympathisch macht. Insgesamt haben wir es hier mit einer eindrucksvollen, durchaus kindgerechten Produktion zu tun.

Bis auf eine Ausnahme waren die Sänger dieselben wie bei der Premiere in der letzten Spielzeit. Für den immer noch erkrankten Elliott Carlton Hines sang Jasper Leever mit kräftigem Bass-Bariton einen trefflichen Kasperl, den er auch ansprechend spielte. In der Titelpartie des Räuber Hotzenplotz war der über beträchtliche Bass-Reserven und eine immense Spiellust verfügende Franz Hawlata ein Hochgenuss. Darstellerisch ebenfalls sehr gut, stimmlich indes mit einem lediglich variablen Stimmsitz ausgestattet, gab Heinz Göhrig den Zauberer Zwackelmann. Mit maskig klingenden Tenören warteten Dominic Große und Torsten Hofmann in den Rollen von Seppel und Wachtmeister Dimpfelmoser auf. Mit prachtvollem Mezzosopran sang Maria Theresa Ullrich die Großmutter. Als Fee Amaryllis überzeugte mit tadellosem Sopran Clare Tunney.

Ludwig Steinbach, 16. Dezember 2023


„Der Räuber Hotzenplotz“
Sebastian Schwab
Staatsoper Stuttgart

Premiere: 4. Februar 2023
Besuchte Aufführung: 16. Dezember 2023

Inszenierung: Elena Tzavara
Musikalische Leitung: Florian Ziemen
Staatsorchester Stuttgart