Berlin: „Der Rosenkavalier“

Premiere am 9.2.2020

Zu schön für Berlin?

So wie die Gesamtgesellschaft ist auch das Berliner Opernpublikum in zwei feindliche Lager gespalten, was nicht heißt, dass es nicht dazwischen die große schweigende Mehrheit gibt, die verständnislos Buhgeschrei für an purer Schönheit orientierte, Libretto und Musik respektierende Inszenierungen registriert, wie sie den Bravojubel für eine geballte Ladung an Gräulichem und Abscheulichem, dazu noch fernab von den Intentionen der Schöpfer eines Werkes, zur Kenntnis nimmt. Ersteres passierte wieder einmal an der Berliner Staatsoper, wo André Heller ein wahres Fest für alle Sinne präsentierte mit der Inszenierung von Strauss‘ Der Rosenkavalier.

Für alle Sinne, wo man doch nur Musik hört und eine Bühne und Sänger sieht? Heller hatte an alles gedacht, für ein silbernes Cover für das Programmheft gesorgt, das sich wie edles Metall anfühlte, im Innern des Büchleins das Rezept für den vom Ochs geforderten Heiltrank Hippokras veröffentlicht, so dass der Leser quasi den Duft von Ingwer wahrnehmen, den von trockenem Rotwein schmecken zu können glaubt. Aber er hatte wohl vorsorglich auch an eventuelle Gegner einer wunderschönen, werkgetreuen Produktion gedacht, wenn er Feministinnen mit einer kampfbereiten weiblichen Belegschaft im Hause Faninal beschwichtigen wollte, die die Lerchenauschen grün und blau prügelt, oder an Gegner von Kinderarbeit und Blackfacing, wenn aus dem niedlichen Sarottimohr ein erwachsener Nichtschwarzer wurde. Hat alles nichts genutzt, das Regieteam wird ausgebuht!

Vielleicht wegen der schönen Portraits von Hofmannsthal und Strauss auf dem Zwischenvorhang ohne den Hinweis, dass der Komponist zeitweise Präsident der Reichsmusikkammer war, vielleicht wegen der zusätzlichen It-Girls im Hause Faninal in todschicken Gewändern verschiedener Stile und der auch sonst einfach umwerfend eleganten Kostüme besonders die für die Marschallin (Arthur Arbesser), vielleicht weil eine Projektion des Besetzungszettels einer fiktiven Wohltätigkeitsveranstaltung im Jahre 1917 für Kriegswaisen von einer Fürstin von Thurn und Taxis zu sehen war, das Jahr, in das die Regie auch das Stück verlegt hatte, ohne ihm damit Gewalt anzutun, ihm stattdessen den Hauch nahen bitteren Untergangs verleihend? Man weiß es nicht, vielleicht beruhte der Protest auch lediglich darauf, dass man gefälligst in der Oper sich nicht zu vergnügen, nicht zu genießen hat, sondern auf das Elend in der Welt hinzuweisen und entsprechend in eine trüb-aggressive Stimmung zu versetzen ist.

Die Malerin Xenia Hausner, von der eine Ausstellung im benachbarten Palais Populaire gezeigt wird, hat bewiesen, dass sie nicht nur bühnentaugliche, sondern dazu noch sehr schöne Kulissen schaffen kann mit einem im japanischen Stil gehaltenen Schlafgemach für die Marschallin, einem Stadtpalais für Faninal mit Kunstwerken wie Klimt und Zeitgenossen, statt des sonstigen Beisl ein Palmenhaus für das Rendezvous des Ochs mit der schönen Kammerzofe.

André Heller, mit bisher nur zwei Opernregie-Erfahrungen mit Schönbergs „Erwartung“ und Poulencs „La voix humaine“, hat gezeigt, beraten auch von Wolfgang Schilly, dass er Sänger führen kann, unter anderem mit einer berührenden letzten Szene mit dem Hin- und Hergerissensein Octavians zwischen Sophie und Marschallin und ebenso mit einer sinnvollen Führung des Chors. Er hat sich an die Forderungen Hofmannsthals, im hochwertigen Programmbuch veröffentlicht, gehalten. Bühne und Musik, Auge und Ohr gerieten einmal nicht in den Konflikt, wem sie Glauben schenken sollten, der im Graben von Zubin Mehta entfesselten akustischen Opulenz und zugleich Durchsichtigkeit, dem Zauber raffinierter Harmonik, der feinen Ausmalung charaktersierender Motive oder der Bühne. Dem Dirigenten und seinem mit ihm am Schluss auf der Bühne versammelten Orchester wurde tosender Beifall zuteil.

Hoch zufrieden konnte man auch mit der Besetzung sein. Camilla Nylund war eine elegante Marschallin, die wunderbar textverständlich sang, so dass kein Wort von „Die Zeit…“ verloren ging, die schlanke, etwas kühle Stimme hat nicht die warme Mütterlichkeit, die Marschallinnen auch haben können, aber so setzte sie der bunten Wiener Opulenz der Szene fast etwas Preußisches entgegen.

Auch die Sophie von Nadine Sierra war nicht zart zirpend, sondern mit einer sehr präsenten Mittellage neben der natürlich sicheren Höhe ausgestattet. Souverän gestaltete Michéle Losier als Octavian die Verkleidung und die Kostümierung innerhalb der Verkleidung und steuerte dazu einen angemessen androgyn klingenden Mezzosopran bei. Im Mittelpunkt des Abends stand der Ochs von zwar nicht Wiener, aber immerhin Österreicher Günther Groissböck, der durchaus noch Aristokratisches neben dem derben Landjunker aufzuweisen hatte, genüsslich mit hochpräsentem, dabei schlankem Bass die ungekürzte Mägde-Erzählung zum besten gab und bei aller Drastik nie ins Klamottige verfiel. Neureich protzte Roman Trekel als Faninal im goldenen Anzug und sang dazu hochkultiviert, ins Charakterfach abgewandert ist Anna Samuil mit der Leitmetzerin, auch aus dem Ensemble kam Katharina Kammerlohe r, die eine wendige Annina gab, sekundiert von Karl Michael Ebner als Valzacchi. Mehr vokalen Glanz hatte man sich von Atalla Ayan als Sänger versprochen.

Mit dieser Produktion hat die Staatsoper einen Rosenkavalier gewonnen, mit dem sie gleichermaßen repräsentieren wie unterhalten kann, ja- und auch darüber nachdenken lassen kann, ob der junge Rofano nicht doch bald wieder zur Marschallin zurückkehren wird. Falls sie ihn dann noch will.

Fotos Ruth Walz

10.2.2020 Ingrid Wanja