Berlin: „Die Sache Makropulos““

2. Premierenbericht

Es war der Abend der Staatskapelle Berlin unter Simon Rattle, der seine Affinität zu Janácek auch bei dieser Neuproduktion von Vec Makropulos eindrucksvoll unterstrich. Die Premiere am 13. 2. 2022 endete mit einhelligem Jubel für alle Mitwirkenden, auch für das Regieteam unter Claus Guth. Dessen Inszenierung beginnt verstörend mit eingespielten, lang ausgedehnten Geräuschen von heulendem Wind, wie sie auch zwischen den drei Akten der Oper zu hören sind – ein seltsamer, im Timing nicht stimmiger Einfall. Ähnlich zwiespältig ist die Mitwirkung von zehn Tänzerinnen und Tänzern, die als Personal in der Anwaltskanzlei, im Theater und im Hotel in der Choreografie von Sommer Ulrickson in Slapstick-Manier agieren, sich in einem automatisierten Bewegungsduktus ergehen, oft in Zeitlupe verharren und stehende Bilder wie in einem angehaltenen Film abgeben. Nicht selten zeigen sie irrwitzige Verrenkungen, sei es im Fahrstuhl oder in einer Künstlergarderobe. Die Bühne von Étienne Pluss wandert hin und her, wechselt von einem Schauplatz zum anderen – der Kanzlei mit hochgestapelten Karteikästen, der Backstage-Szenerie des Theaters mit Garderobieren und wartenden Verehren der Sängerin sowie einem Hotel-Flur. Besonders geheimnisvolle Wirkung hat der mittlere Raum in diffusem Licht (Sebastian Alphons) mit reichlich Nebel und einer rätselhaften Öffnung im Boden. Hier hat die Protagonistin des Stückes, Emilia Marty, ihren Rückzugsort und Verwandlungsplatz. Dort wird sie von einer blonden Stummfilmschönheit im eleganten weißen Hosenanzug und Mantel mit Pelzkragen (Kostüme: Ursula Kudrna) zur Titelsängerin in Puccinis Madama Butterfly im Kimono und schließlich zum menschlichen Wrack im Unterkleid und fast haarlosem Schädel.

Verwirrend ist der häufige Einsatz von Doubles – der blonden Schönheit, die sich am Stock an der Rampe auf einem Leuchtstreifen mühsam vorwärts bewegt, und der Butterfly, die gleichfalls die letzte Kraft aufbieten muss, um voran zu kommen. Dazu gesellt sich ein Kind im Kostüm einer Menina, wie man sie aus den Bildern von Velázques aus dem Madrider Prado kennt. Diese Figur nutzt der Regisseur, um in einer Rückblende zu zeigen, wie Emilia als Kind das Elixier eingeflößt wurde.

In der Titelrolle wurde Marlis Petersen für eine staunenswerte Leistung gefeiert. Sie begann freilich recht verhalten und wirkte im Klang zunächst farblos, zumal vor ihr Natalia Skrycka in der kleinen Partie der Krista mit ihrem jugendlich-kraftvollen Mezzo hatte aufhorchen lassen. Aber mit einer klugen Einteilung der Reserven gelang Petersen eine enorme Steigerung, die im Schlussmonolog gipfelte, wo die Stimme herrlich aufblühte, zu transzendent verklärten Stimmungen fand und sich souverän gegen die orchestrale Flut behauptete. Darstellerisch gibt sie nicht die mondäne Operndiva, ist von Beginn an eine Gebrochene, der immer wieder die Kräfte schwinden, die am Ende zu hysterischen Ausbrüchen neigt und mit der Flasche betrunken umher torkelt. Vielleicht ist die Stimme für diese Partie noch zu jung und zu monochrom, aber in der Anlage sind alle Voraussetzungen für eine künftige Modellinterpretation hörbar. Mit ihr hat Ludovit Ludha als Albert Gregor mit seinem kraftvollen, nur in der exponierten Höhe limitierten Tenor schöne Momente im 2. Akt. Bo Skovhus gibt den Baron Prus im weißen Anzug als Grandseigneur mit reifem, doch stets prägnantem Bariton, Jan Jezek den Grafen Hauk-Sendorf als tragikomische Figur. Die Besetzung ergänzen Jan Martinik als Dr. Kolenaty mit markantem Bass, Peter Hoare mit charaktervollem Tenor als Anwaltsgehilfe Vítek und Anna Kissjudit als Kammerzofe mit auffallend reich timbriertem Mezzo.

Mit geschärftem, gelegentlich sogar schneidendem, aber auch schwelgerisch aufblühendem Klang musiziert die Staatskapelle. Sie trägt die Protagonistin und lässt sie in ihrem letzten Monolog über sich hinaus wachsen. Am Ende fällt durch eine geöffnete hohe Tür das Licht herein, wirbelnde bunte Herbstblätter illustrieren die melancholische Abschiedsstimmung. Zitternd und schwankend schleppt sich Emilia hinaus.

Bernd Hoppe, 15.2.22