Berlin: „Rusalka“, Antonín Dvořák

18 000 Euro Strafe zahlen muss der Leverkusener Fußballbundesligaklub wegen eines Transparents auf der Fantribüne mit der überkühnen Behauptung, es gebe nur zwei Geschlechter. Keinerlei Furcht davor, eine gleiche Unbill zu erleiden, muss die Berliner Staatsoper haben, denn ihre Rusalka-Inszenierung, die erste nach 1968, als Ingeborg Wenglor die Titelpartie sang, ist auf der Höhe der Zeit. Da geht es nicht um das Problem, dass ohne sprachliche Mitteilung keine Beziehung auf Dauer möglich ist, und auch nicht darum, dass, wer einmal seine Wurzeln zu den Seinen hat abreißen lassen, sich nie mehr richtig verwurzeln kann, sondern um ein offensichtlich queeres Wesen, das von einer sich als allein für „normal“ haltenden Gesellschaft gnadenlos verstümmelt und auf alle mögliche Weisen malträtiert wird.

Aus Polen, genau genommen aus Bydgoszcz, früher Bromberg, kam in den letzten Jahren eine der poetischsten Inszenierungen des Märchens von der verliebten Nixe und bediente sich als Bühnenbild der berühmten, noch aus Vorkriegszeiten stammenden Brücke und der darunter fließenden Weichsel, ließ ab und zu die alte Straßenbahn über dieselbe fahren und Bürger in historischen Kostümen darüber promenieren. Über allem strahlte ein überdimensionaler Mond.

© Gianmarco Bresadola

Aus Ungarn kommt der Regisseur Kornél Mundruczó, für den Rusalka „Fragen nach Identität und Körperlichkeit aufwirft“. Fragen nach der Möglichkeit einer Vereinbarung der auch von der Regie anerkannten „opulent schillernden Partitur“ damit stellt sich allerdings der Rezensent, wenn Märchen, Natur und deren Wesen, der sich im Wasser spiegelnde Mond ausgespart werden zugunsten eines dreistöckigen Berliner Hauses mit Blick auf den Fernsehturm, Keller für die aus Nixen- wie Menschenwelt verstoßene Rusalka, ein recht schmuddeliges Erdgeschoss für eine WG aus Wasserwesen und Hexe auf der anderen Seite des Flurs, schließlich Obergeschoss mit Terrasse, in dem nicht nur der Prinz, sondern das gesamte restliche Personal zu Hause sind. Bereits in der WG der Wasserwesen ist Rusalka nicht wohlgelitten, was nicht weiter wundert, da sie dauernd das Bad besetzt hält. In Umkehrung des Librettos hat sie überaus attraktive Beine im ersten Akt, im letzten dafür eine grässliche, eines Fafners würdige Wurmgestalt, und warum sie die Hexe darum anflehen muss, ihr die langen Haare zum Kurzhaarschnitt zu verkürzen, sie auch sonst ins Unvorteilhafte verwandeln zu lassen, bleibt völlig im Dunkeln, auch warum sie im letzten Akt Glatze trägt. Der Sängerin der Titelpartie wird durchweg fast Übermenschliches abgefordert, vor allem mit dem gleichzeitigen Umherkriechen im riesigen Kostüm und anspruchsvollem Singen in einer nicht gerade geläufigen Sprache. Tapfer hatte Christiane Karg, die neue Rusalka, sich bereits nach Abschluss der Proben geäußert: „Persönlich hat mich die Arbeit weiter gebracht“. Und der Mond – wo bleibt er? Er ist mutiert zu einer Diskokugel in der Wohnküche und rotiert zu Rusalkas Lied an ihn, was wohl auch mit den angekündigten Stroboskopeffekten gemeint ist.

© Gianmarco Bresadola

So scheußlich wie die Wohnküche sind auch die Kostüme, von denen einige unter die von Karl Lagerfeld als Zeichen für ein nicht im Griff befindliches Leben definierten zu verorten sind. Bühnen- und Kostümbildnerin Monika Pormale ist ihretwegen kein Vorwurf zu machen, denn sie entsprechen offensichtlich dem Regiekonzept. Diesem wiederum ist nicht der Vorwurf zu machen, dass es ein Märchen in die Jetztzeit versetzt, sondern dass dieses Vorhaben wegen der vielen Widersprüche, Unwahrscheinlich-, ja Lächerlichkeiten und der Unvereinbarkeit mit der Musik als misslungen zu betrachten ist.

Wieder einmal konnte der Opernbesucher, dessen Augen durch die Hässlichkeit und die der Musik widersprechende Schäbigkeit der Optik beleidigt worden waren, Trost aus dem schöpfen, was aus dem Orchestergraben und von der Bühne her erklang. Robin Ticciati, Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, zauberte im tief versenkten Orchester behut- und einfühlsam eine zauberhafte Märchenwelt, viel Rücksicht auf die Sänger nehmend und die Farbigkeit der Partitur auskostend.

© Gianmarco Bresadola

Eine in jeder Hinsicht perfekte, allerdings auch vokal kühle Rusalka gab Christiane Karg, der es schwerfallen dürfte, die Musik voller Innigkeit, voller Zauber und Süße in Einklang mit den Zumutungen der Regie zu bringen. Unter den beschriebenen Voraussetzungen ist ihre Leistung eine hoch zu achtende. Ganz und gar nicht den Erwartungen an eine Fremde Fürstin entsprach Anna Samuil mit einer dem Sopranfach angehörenden Stimme ohne das für die Rolle notwendige verführerische Timbre. Anna Kissjudit orgelte die Hexe Ježibaba beeindruckend, wenn auch etwas monoton. Clara Nadeshdin war der klarstimmige weibliche Küchenjunge, junge, gesunde Stimmen hatten aus dem Opernstudio die Elfen Regina Koncz, Rebecka Wallroth und Ekaterina Chayka-Rubinstein. Wohl schon dem lyrischen Fach entwachsen ist der Tenor Pavel Černoch, der einen optisch attraktiven Prinzen mit typisch slawischem Tenor mit einer robusten Mittellage gab. Pures Entzücken konnte der Wassermann von Mika Kares erregen, vor allem einem abgrundtief schwarzen, dabei facettenreichen und geschmeidigen Bass zu verdanken. Er könnte wohl auch in einer typischen Basso-Profondo-Partie gefallen, und ihm gelang es trotz der Regie, auch Interesse an der Optik, d.h. Darstellung seiner Partie zu wecken.

Leider alles in allem ein Abend, an dem gute bis hervorragende musikalische Leistungen an eine schlimme Optik verschwendet wurden.

Ingrid Wanja, 4. Februar 2024


Rusalka
Antonín Dvořák

Staatsoper Berlin

Besuchte Premiere am 4. Februar 2024

Inszenierung: Kornél Mundruczó
Musikalische Leitung: Robin Ticciati
Orchester der Staatsoper Berlin