Berlin, Ballett: „Two Chapters Love“, Sharon Eyal

Sharon Eyal hat unter den Berliner Ballettfreunden, vor allem den Anhängern des Contemporary Danse, eine große Fangemeinde. Alle Vorstellungen des neuen Abends beim Staatsballett sind ausverkauft. Die israelische Choreografin bestreitet dessen zweiten Teil mit ihrem Stück 2 Chapters Love – eine der beiden Uraufführungen des Programms. Es handelt sich um die Überarbeitung der für ihre Tanzkompanie L-E-V 2017 entstandenen Kreation Love Chapter 2 als Bestandteil des Love Cycle. 26 Tänzerinnen und Tänzer in hautfarbenen Trikots, angeführt von der mirakulös biegsamen Vortänzerin Danielle Muir, bilden im diffusen Halbdunkel (Licht: Alon Cohen) eine dicht zusammen gedrängte Gruppe. Alle tragen sie ein Diadem aus Strass, was ihnen ein orientalisches oder indisches Kolorit verleiht.

(c) Carlos Quezada

Dieses bezieht auch Eyal in ihre Choreografie ein, so dass man manch bekannte Figur zu erkennen glaubt. Während ihr repetiertes Vokabular bei manchem Zuschauer auch Ermüdungserscheinungen hervorrufen könnte, sind die Körperskulpturen von großem Raffinement. Phänomenal ist die Synchronität des Ensembles, das sich in Trance steigert, angefeuert von Ori Lichtiks anfangs monoton hämmernder und dann Ohren betäubend aufgedrehter Musik vom Tonträger. Dieser Pegel war nicht nur unzumutbar, sondern vor allem gänzlich unnötig. Das vorwiegend jugendliche Publikum, gewöhnt an Clubkultur à la Berghain, störte das freilich nicht, denn die Ovationen am Ende nahmen ein ähnliches Ausmaß an.

Eröffnet wird der Abend mit Stars Like Moths der spanischen Choreografin Sol Léon, die lange beim Nederlands Dans Theater wirkte und dort mit ihrem Partner Paul Lightfoot mehr als 60 Arbeiten schuf. Auch in Berlin wirkten beide gemeinsam – am Entwurf des Bühnenbildes, das einen geisterhaften Ballettsaal darstellt. So wie der Titel des Stückes rätselhaft ist, erschließt sich auch dessen Sinn nur schwer. Zu Beginn, noch bei erleuchtetem Saal, schreitet Polina Semionova im schwarzen Jackett (Kostüme: Sol Léon) aus einer Proszeniumsloge an die Rampe, wo sie von einem aus der Tiefe herauf steigenden Tänzer (Matthew Knight) mit Melonenstücken gefüttert wird und zum Song „Don’t Cry Baby“ das Gesicht zu Grimassen verzerrt.

(c) Carlos Quezada

Skurril ist das gesamte Stück, das die elf Tänzerinnern und Tänzer (darunter bekannte Größen wie Ksenia Ovsyanick und Alexei Orlenco) marionettenhafte Bewegungen absolvieren, unverständliche Wortfetzen artikulieren und debile Gesten vollführen lässt. Die musikalische Folie dazu ist eine Collage aus verschiedenen Stilen, darunter ein Ausschnitt aus Vivaldis Stabat Mater mit dem Countertenor Andreas Scholl. Immerhin gibt es auch ein neoklassisches Duo, finden sich vier Tänzer zu lebhafter und virtuoser Aktion zusammen. Auch hier sind die Interpreten für ihren körperlichen Einsatz und das hohe tänzerische Niveau zu loben. Aber das Meiste bleibt verrätselt, wie das Schlussbild, wenn die Semionova mit weißem Staub überstreut wird und noch einmal Melonenstücke angeboten bekommt, diese aber nun verweigert. Großer Beifall schon hier…

Bernd Hoppe 20. Dezember 2023


Two chapters Love
Staatsballett Berlin
in der Staatsoper

3. Aufführung am 18. Dezember 2023
Premiere am 9. Dezember 2023

Choreografien: Sol Léon/ Sharon Eyal