Berlin: „Samson et Dalila“, Camille Saint-Saëns (erste Besprechung)

Den fassungslosen Gesichtsausdruck von Regisseur Damián Sziron nach dem Buhorkan bei seinem Erscheinen auf der Bühne von Saint-Saëns Samson et Dalila in der Berliner Staatsoper wird niemand so schnell vergessen haben, denn im Unterschied zu den das Publikum mit Aktualisierung, Politisierung, Verhohnepiepelung plagenden Spielleitern hatte er doch, wenigstens seiner und der eines großen Teils der Besucher Meinung nach, alles richtig gemacht. Dabei hätte ihn bereits der Lacher, der das Liebesidyll des zweiten, stummen Liebespaares, der Doubles von Samson und Dalila, mit alternativem Schicksal einschließlich Kindersegens begleitete, misstrauisch machen müssen.

(c) Matthias Baus

Das nicht gerade mit einer spannenden Handlung gesegnete, eher einem Oratorium als einer Oper gleichende Stück hatte er nach Art eines Hollywood-Monumental-Films aufgemotzt, nicht mal den späteren billigen Sandalen-Filmen aus Italien oder Südosteuropa ähnelnd, sondern durchaus mit einem Cleopatra oder Ben Hur gleichenden Aufwand. Da gab es neben dem kärglichen, lediglich aus drei Hauptrollen bestehenden Ensemble noch ein junges jüdisches Mädchen, dessen Totenwaschung und schließliche  Grablegung dargestellt wurde, und einen Hund, der allerdings nun in der Wiederaufnahme nicht mehr auftauchte. Vielleichthatte auch da wieder wie im Ring mit den Kaninchen PETA seine tierschützende Hand im Spiel.  

Der argentinische Regisseur kann sich damit trösten, dass auch André Hellers wunderschöner Rosenkavalier von einem klitzekleinen Teil des Publikums ausgebuht wurde, während die meisten Besucher sicherlich der Staatsoper dafür dankbar sind, wenn nicht nur Radikalinskis, die die Welt dadurch verbessern wollen, dass sie Opern entstellen, am Haus tätig sein dürfen. Wich Damián Szifron vom Libretto ab oder besser, ging er über dasselbe hinaus, dann war das durchaus nachvollziehbar, selbst die Ermordung des Oberpriesters durch Dalila ganz am Schluss und wahrscheinlich von den meisten Zuschauern, da gerade die Tempelsäulen zusammenbrachen, gar nicht bemerkt.

(c) Matthias Baus

Auch das Bühnenbild von Ètienne Pluss, die Kostüme von Gesine Völlm und die Lichtregie von Olaf Freese waren so gewaltig wie geschmackvoll und immer, ja, das kann auch ein Lob sein, beeindruckend.

Herausragend und in keiner Weise in der Premiere zurückstehend, ja sie eher noch übertreffend war die Sängerbesetzung. Hatte man die Premieren-Besetzung als überaus kultiviert, ebenmäßig timbriert in allen Lagen und als beispielhaft empfunden, so war Anita Rachvelishvili als Dalila mit einem von Erotik geradezu berstendem Timbre begabt, geschmeidig, warm und lodernd die Mezzostimme, niemals scharf und in keinem Register an dunklen Farben verlierend. Auch optisch war sie ganz und gar orientalische Schönheit. Hochattraktiv war auch Brian Jagde als Samson, wenigstens, solange ihm Haupthaar und Augenlicht vergönnt waren. In den beiden ersten Akten konnte man die Stimmkraft des Tenors bewundern, im dritten Akt fand er auch zu differenzierendem, mezza voce und Piano nutzendem Gesang und machte das Hörerglück vollkommen.

(c) Matthias Baus

Bassautorität verkörperte Egils Silins als Oberpriester, milder, aber nicht weniger lobenswert war die dunkle Stimme von Grigory Shkarupa als Abimelech, Paul Gay (Alter Hebräer), Magnus Dietrich (Erster Phiister), Friedrich Hamel (Zweiter Philister) und Jin Hak Mok (Bote) vervollständigten auf hohem Niveau das Ensemble. Vorzüglich war der Chor in all seinen vielfältigen Aufhaben (Martin Wright), trotz üppigster Besetzung mit vielen zusätzlichen Musikern im Orchestergaben erwies sich der Klangkörper unter Thomas Guggeis als sensibler Sängerbegleiter und beeindruckend in seiner Fähigkeit, musikalische Strukturen aufzufächern, auf Höhepunkte stufenlos elegant hinzusteuern und sie auszukosten, die kostbare Partitur schimmern zu lassen. Man konnte einen durch und durch gelungenen Abend genießen, und es gibt noch weitere Vorstellungen.

Ingrid Wanja, 16. Januar 2023 


Samson et Dalila
Camille Saint-Saëns

Staatsoper Berlin

13. Aufführung nach der Premiere am 24. November 2019

Inszenierung: Damián Szifron
Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Orchester der Berliner Staatsoper

Hier geht es zur zweiten Kritik