Berlin: „Sleepless“

Péter Eötvös

Uraufführung am 28.11.2021

Geglückte Repertoireerweiterung

Man hätte meinen können, die Staatsoper würde, pünktlich zum ersten Advent, das Publikum mit einer modernen Abwandlung der Weihnachtsgeschichte beglücken, denn wie heißt es doch bei Lukas: „Und es machte sich auch auf Joseph…mit Maria, seinem vertrauten Weibe, und die war schwanger“, und etwas später, „aber sie fanden keinen Raum in der Herberge“. Im neuen Testament geht es dann versöhnlich und schließlich jubelnd weiter mit dem Kind in der Krippe, den anbetenden Hirten und der Verheißung auf die Vergebung der Sünden. Anders bei der Uraufführung von Peter Eötvös‘ neuester, von der Staatsoper und der Oper in Genf in Auftrag gegebener Opera Ballad „Sleepless“, in der der unterkunftsuchende werdende Vater nacheinander einen Bootshausbesitzer, die Mutter der Schwangeren und eine Wohnungsbesitzerin, die das Paar nicht aufnehmen wollten, ermordet und schließlich von der Lynchjustiz übenden Bevölkerung aufgehängt wird. Seine Liebste, die inzwischen entbunden hat, heiratet zum Wohl des Kindes einen Fremden, geht, nachdem ihr Sohn sie verlassen hat, ins Wasser, um für immer mit dem Unvergessenen vereint zu sein.

Das Libretto in englischer Sprache stammt von Mari Mezei nach der „Trilogie“ von Jon Fosse in der Übersetzung von Judith Sollosy.

Die Geschichte spielt in Norwegen, einem Land, dem sich der Komponist auch deswegen verbunden fühlt, weil er eine norwegische Schwiegertochter hat, und norwegische Volksmusik klingt an im Wiegenlied, das mehrmals erklingt, und im Lied auf der Hardangerfiedel, mit der Asle sein Geld verdient, ehe er sie aus Not verkaufen muss. Nie erreicht wird von dem Paar das Ziel seiner Träume, „wo der Fjord glitzert und der Lachs aus dem Meer springt.“ Balladenartig ist der Stoff, ja sogar einer Moritat würdig. Ganz tief versenkt ist das Orchester, und das nicht nur, weil viele Instrumente dreifach besetzt sind, eine „norwegische“ Klangmischung aus Dreiklängen zu vernehmen ist, der Traumzustand, in dem sich die Personen befinden, jeweils durch übermäßige Dreiklänge verdeutlicht wird. Die zwölf Bilder der Oper hat der Komponist mit unterschiedlichen Farben ausgestattet, wie er in einem aufschlussreichen Gespräch im reichen Prorammheft zum Stück berichtet

Ein Privileg von zur Uraufführung gelangenden Stücken ist es, falls ihr Schöpfer noch lebt, dass sie so auf die Bühne kommen, wie es der Librettist oder Komponist sich vorgestellt haben. Glücklich kann sich Peter Eötvös, der selbst am Dirigentenpult im tief versenkten Orchestergraben stand und noch für zwei Vorstellungen stehen wird, schätzen, dass sich mit dem Regisseur Kornél Mundruczó und der Bühnenbildnerin Monika Pormale zwei offensichtlich sehr sensible, dem Werk zugetane Künstler seiner angenommen haben.

Die Bühne mit dem Riesenfisch auf dem Trockenen, der nach Drehen der Bühne sein grätenreiches Inneres zeigt, das Behausung der Mutter, Bar oder das Haus der Hebamme sein kann, liebevolle, das Publikum zum Schmunzeln bringende Details wie die beweglichen Möwen auf dem Fischkörper sind Beweis für den Reichtum an Phantasie, die in das Werk investiert wurden. Die Kiemen werden zu Haustüren, das Fischmaul lässt sich aufklappen und ist dann die Auslage eines Juweliers. Zwar wird auch an diesem Abend auf der Bühne gepinkelt und kopuliert wie in letzter Zeit so oft, aber es wirkt nicht dem Werk aufgezwungen, sondern erwächst aus der Handlung und dient zur Kennzeichnung des Milieus. Und auch der üppige Einsatz von Trockeneis zum Schluss macht Sinn. Trotz seiner dreifachen Untat das Publikum berühren kann die Darstellung des Asle durch den Tenor Linard Vrielink, darstellerisch in seinem ständigen Gehetzt- und auf der Fluchtsein eine Idealbesetzung ist wie auch mit der allen Intentionen des Sängers gehorchenden Stimme. An seiner Seite ist als Alida die norwegische Sängerin Victoria Randem, die ihre Wurzeln in Nicaragua hat, so dass manch ein Zuschauer annehmen könnte, das junge Paar erlitte Verfolgung, weil die junge Frau eine Schwarze ist. Vielleicht ist die Besetzung der Partie gerade in der Absicht geschehen, dieses als eine Möglichkeit der Interpretation zuzulassen.

Der Sopran erfreut durch seine Frische, sein apartes Timbre und gut eingesetztes Vibrato. Katharina Kammerloher muss sich als Mother und Midwife gleich zweimal ermorden lassen, was ihrer guten darstellerischen und vokalen Leistung keinerlei Abbruch tut. Bedrohlich in seiner überwältigenden Optik wie durch den Einsatz seines gewaltigen Basses ist Jan Martinik als Innkeeper, geheimnisvoll umwittert Tómas Tómasson als Man in Black mit hochpräsentem Bassbariton schöner Farbe. Sarah Defrise als Girl erweist sich nicht nur als keine Höhe scheuende Sängerin, sondern muss fast akrobatische Leistungen vollbringen. Balsamisch klingt der Boatman von Roman Trekel, auch weil er eine der wenigen positiven Erscheinungen im Verlauf der düsteren Handlung ist. Verlässlich klingt Arttu Kataja als Asleik und macht nachvollziehbar, warum Alida ihm ihr Schicksal und das ihres Kindes anvertraut. Hanna Schwarz macht viel aus der kleinen Partie der Old Woman, Siyabonga Maqungo setzt viel Körperlichkeit und einen aparten Tenor für den Jeweler ein.

Das Publikum feierte mit viel Applaus und Bravi sowie standing ovations alle Mitwirkenden, ganz besonders natürlich den Komponisten und Dirigenten, der der Staatsoper zu einem Juwel im Spielplan verholfen hat.

Fotos Gianmarco Bresadola

29.11.2021 Ingrid Wanja