Berlin: „Turandot“

Premiere am 18.6.2022 / zweite Aufführung im Anhang

Verpuppt

Nur gewinnen konnte Puccinis unvollendete letzte Oper Turandot durch eine Neuinszenierung in der Berliner Staatsoper, denn was man in den letzten beiden Berliner Produktionen zu sehen bekam, gab kaum einen Anlass zur Freude. Sah das happy end in der Staatsoper in der Regie von Doris Dörrie eine aus Turandot, Kalaf und Altoum bestehende Kleinfamilie in der Ikea-Küche, aus deren Kühlschrank die Prinzessin zwei Bierflaschen für die am Tisch lümmelnden Herren holte, so wurde in der Deutschen Oper die ältere Generation noch schnell von den Nachkommen gemeuchelt, ehe das glückliche Paar zueinander fand. Es konnte also nur besser werden. Die frohe Hoffnung allerdings wurde empfindlich getrübt durch den zwischenzeitlichen Ausbruch der Cancel-Culture-Bewegung, die für ein im fernen Asien spielendes Stück allerlei Fallstricke bereithält.

„An ein moralisches Regelwerk für die Kunst glaube ich nicht“, war da eine Aussage von Seiten des Regisseurs Philipp Stölzl, die wieder optimistisch stimmen konnte, der sehr wohl erkannt hatte, dass „ein orientalisches Minenfeld“ mit dem durch viele Autorenhände gewanderten Stück auf ihn lauerte. Als die „Geschichte einer toxischen Obsession“ sieht er das plötzliche Verfallensein des Prinzen Kalaf gegenüber der chinesischen Schönheit wie die männermordende Abneigung gegenüber der Liebe bei der Prinzessin Turandot. Und da weder das eine noch das andere einen glaubwürdigen Plot bereitstellt, lautet die Entscheidung:“ Ich versuche das Brüchige, expressionistisch Wahnhafte des Werkes zu umarmen.“ Das Besondere und Sympathische an der Herangehensweise von Philipp Stölzl an das Werk ist die Tatsache, dass er seine Ideen aus dem Werk, besonders aus der Musik heraus sich entwickeln lässt, während man allzu oft erleben muss, dass die Ideen eines Regisseurs in ein Werk hineingetragen, ihm aufoktroyiert werden. Dabei geht sein Respekt gegenüber insbesondere der Musik so weit, dass er zugunsten des Alfano-Schlusses auf einen ihm angemessener erscheinenden Schluss verzichtet. „Alfanos Musik ist zu stark, als dass man sie weglassen kann.“

Zwar nicht das Libretto, wohl aber die Musik gestattet dann auch den ungewöhnlichen Schluss, der Turandot zum veleno greifen und ihrem Leben ein Ende setzen lässt, so dass der arme, verblendete Kalaf am Ende recht bedeppert dreinschaut. Zuvor hatte er seine Liebe zwischen einer riesigen Marionette und der Turandot in Fleisch und Blut, schnell aber ganz ohne Haare, teilen müssen, während die begehrte Puppe nach und nach sämtliche Glieder, auch ihr Gesicht verlor, zum Ausgleich dafür aber schließlich über nicht weniger als sechs Arme verfügte. Stölzl nimmt das Libretto, wenn es um Grausamkeiten aller Arten geht, sehr ernst und setzt alles in Bilder um, was manchmal, so wenn zu „Nessun dorma“ gemeuchelt wird, nicht im Sinne der Sänger sein dürfte. Zwar hat die Puppe, wenn noch komplett, ein asiatisches Aussehen, ansonsten aber könnte jeder totalitäre Staat gemeint sein. Stölzl, der sein eigener Bühnenbildner ist, bestückt den Rundhorizont mit Gefängnisleuchten, in der Mitte der Bühne befindet sich eine kreisrunde Vertiefung, die mal mit Totenschädeln gefüllt ist oder in die mal die jeweils anfallenden Leichen gekippt werden. Der Sinn einer riesigen Glühbirne, die neben der Puppe von der Decke hängt, erschließt sich nicht. Die Kostüme stammen von Ursula Kudrna, für Turandot ein Reifrock, die Guten sind ganz in Weiß gekleidet, was die Liù mit langem Blondhaar zu einem Weihnachtsegel macht, die Geknechteten in Grau, die Peiniger in Rot. Der weitgehende Verzicht auf Chinoiserien hat natürlich auch eine gewisse Eintönigkeit zur Folge, die die Szene mit den drei Maschere so lang wie sonst nie erscheinen lässt.

Zubin Meta ist ein ausgesprochener Liebling des Berliner Publikums, sodass er bereits mit Ovationen vor Beginn der Vorstellung begrüßt wurde, der sich zur Pause und erst recht am Schluss zu wahren Ovationen steigerte, und das zu Recht, denn was die Bühne dem Auge versagte, wurde dem Ohr in reichem Maße in farbiger Pracht zuteil. Auch der Chor, einstudiert von Martin Wright, konnte aufbrausende Wut, zarte Beschwörung des Mondes wie verzweifelten Ausbruch gleichermaßen souverän zum Ausdruck bringen. Für die Titelpartie war ursprünglich Anna Netrebko vorgesehen gewesen, gemeinsam mit ihrem Ehemann Yusif Eyvazov. Der Russin blieb nun die Glatzköpfigkeit erspart, der Tenor blieb dem Besetzungsbüro erhalten. Er ist ein gestandener Kalaf mit durchschlagskräftiger Stimme und enormem Squillo, aber leider im Dauerforte unterwegs und für seine berühmte Arie sowie für „Non piangere, Liù“ fehlt ihm jede Poesie. Turandot war nun Elena Pankratova mit strapazierfähigem, höhensicherem, unermüdbarem Sopran, der nie scharf, nie unangenehm angestrengt wirkte. Nicht alle Möglichkeiten ausreizen, was Pianissimi und Agogik betrifft, mochte Aida Garifullina als Liù, aber sie überzeugte mit einem sehr schönen lyrischen Sopran. Siegfried Jerusalem gab überzeugend den amts- und altersmüden Altoum, René Pape war als Timur auch im Italienischen textverständlich wie im deutschen Fach, phrasierte dem Text und weniger der musikalischen Linie gehorchend und war sehr berührend in der Totenklage um Liù. Einen markanten Mandarin sang David Oštrek, die Ministri waren besser in den Tenorpartien (Andres Moreno Garcia und Syabonga Maqungo) als mit dem Bariton Gyula Orendt besetzt.

Das ist eine gut durchdachte, schlüssige Produktion, die die Schaulust des Publikums nicht befriedigen dürfte, und dramatische Soprane werden sich überlegen, ob sie ein Engagement annehmen sollten.

Ingrid Wanja / 18.6.2022

Fotos Matthias Baus