Dresden: „Die Banditen“

Opéra Bouffe von Jaques Offenbach

Premiere: 28.2.2020

Eigentlich bedürfen Jacques Offenbachs Operetten mit ihrer schmissigen Musik und Brisanz keiner „Bearbeitung“ durch die Regie, auch nicht seine, 1869 in Paris uraufgeführte Opéra-bouffe „Die Banditen“ („Les Brigands“), die nicht ganz so populär ist wie „Orpheus in der Unterwelt“. Sie sind nach wie vor in ihrer Politik- und Gesellschaftskritik aktuell. Das Publikum versteht ihre Sprache, auch wenn die Handlung in den „finsteren Wald“ zu den Räubern verlegt wurde. Der von der neuen Intendantin engagierte junge Regisseur hat große Worte: „Gute Operetten zeigen immer den schmalen Grat zwischen Exzess und Trauma – meist fernab unserer Alltagswelt, mit exotischem Flair …“, aber hat er das auch umgesetzt?

Zunächst ist die Bühne in Dunst gehüllt. Das Räuberlager (alle Akteure, Chor und Ballett) formieren sich. „Wir fangen an“, ertönt es auf der Bühne, „Falsacappas megageile Banditenshow“, wie auf einer „Holz-“(Papp-)Kiste zu lesen ist, kann beginnen, und der Vorhang schließt sich zunächst – und wird wieder geöffnet. Man spielt „Theater auf dem Theater“ (hatten wir das nicht gerade bei Richard Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ in der Semperoper?) – offenbar der neueste „Schrei“. Es scheint überhaupt bei dem, von der neuen Intendantin Kathrin Kondaurow engagierten, jungen Regisseur Valentin Schwarz und Bühnenbildner Andrea Cozzi nach fest(gefahren)en Regeln wie seinerzeit bei den Nürnberger Meistersingern zu gehen. Bei den Kostümen (Otto Krause) gibt es zwar (etwas) mehr als nur Kaufhaus-Look, aber eher in Richtung Indianer-Biwak bei den Karl-May-Festtagen im nahe gelegenen Radebeul.

Es gibt überhaupt viel Dampf auf der Bühne, so oder so. Bis zur Pause ist immer wieder viel „Gewusel“ zu sehen, wie ein „Wimmelbild“, alles bunt gemischt und „gewürzt“ mit eindeutigen Zweideutigkeiten, realistisch simplem „Akt“ im ersten Akt, Schwule und Lesben, (zu) oft Gesten unterhalb der Gürtellinie für den unbedarften Geschmack, die sich abnützen, je öfter sie eingesetzt werden, Pistolen-Knallerei, witzige Bemerkungen ins hier und jetzt gezogen, wie „Sicher wie das Gründe Gewölbe“, Dresdens Schatzkammer, in die brutal und plump eingebrochen wurde, oder „eine zweite politische Wende“ usw. Wie schätzt der Regisseur eigentlich das Publikum ein? Um letzterem „den Wind aus den Segeln“ zu nehmen, stand ein Darsteller als „Publikumsvertreter“ in der ersten Reihe auf und ging unter Protest murmelnd (manchem vielleicht aus der Seele gesprochen) zur Tür hinaus. Von der Bühne war zu hören: “Will noch jemand gehen?“, aber das disziplinierte Premieren-Publikum blieb, um abzuwarten, ob es nicht doch noch besser würde. Es wurde aber nicht, und es ist zu befürchten, dass sich das Stück in dieser Inszenierung bald erschöpft hat.

Ab und an waren von der Bühne relativ leise gesungene Couplets und übermäßig laufstark eingeworfene Worte der von Schwarz „modernisierten“ Übersetzung des Librettos, in die er solche Begriffe wie „Kiffen“ usw. einflocht, zu vernehmen. Die Dialoge blieben allerdings blass. Der (verkopfte, unpassend „wissenschaftlich fundierte“) Text war kaum verständlich. „Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum“, dachte man, als es endlich Pause wurde – „viel Lärm um nichts“ – oder zumindest nicht viel, wenn nicht gar Langeweile.

Das schon viel strapazierte stufenförmig-runde Metallstab-Turm-Gebilde, etwas verdreht (nicht nur äußerlich) und die farbigen Neonröhren (die schon wieder „out“ sind) durften natürlich auch nicht fehlen. Die Beleuchtungsgalerie über der Bühne spielt auch mit, von dort beobachten die Akteure zuweilen als „Zuschauer“ das Geschehen. Wie zurzeit vielerorts, kommt auch hier die in der Vergangenheit weitgehend ignorierte Bühnentechnik mit Drehbühne und Schnürboden wieder zum Einsatz. Ein Gesandter wird im Netz gefangen und nach oben gezogen, wo er ausharren muss und ihm trotz Wedeln mit einem weißen Tuch zum Zeichen der Neutralität keiner hilft, auch die, durch die Zuschauer-Reihen anrückende Polizei nicht, die „immerzu zu spät“ kommt (dabei ist die Dresdner Polizei noch schneller als die in anderen Regionen).

Das passabel und unter Andreas Schüller (seit 2013/2014 bis zum Ende dieser Spielzeit Chefdirigent) spritzig spielende Orchester der Staatsoperette, das wenigstens Offenbachs unsterblicher Musik zu ihrem Recht verhilft und dafür am Ende eindeutig und mit Abstand den meisten Applaus erhält, wird hochgefahren und später wieder abgesenkt. Man kann zeigen, dass auch diese Technik im neuen Haus funktioniert, und das war sogar ein neuer Gag!

Chor (Einstudierung: Thomas Runge) und Ballett (Choreographie: Radek Stopka) des Hauses haben viel zu tun, und man kann sie und die Akteure nur bewundern, wie sie das alles mitmachten, unter ihnen Laila Salome Fischer als Fragoletto mit ansprechendem Mezzosopran, Annika Gerhards, die ihre nicht allzu große Stimme als Fiorella dennoch vernehmlich erklingen ließ, Hauke Möller, der in diesem Rahmen als Räuberhauptmann Falsacappa doch ein gewisses Profil zeigen kann, und Andreas Sauerzapf, dessen (Nicht-)„Wienerisch“ gut gemeint war. Dass die hauseigenen Sängerinnen und Sänger und Gäste unter einer geschickten Regie ganz anders zur Geltung kommen können, bewies seinerzeit die „Eröffnungs-Gala“ des Hauses.

Ingeborg Schöpf, die Grand Dame des Hauses brillierte einmal mehr, hier als alternde Herzogin, ausstaffiert wie die Queen, sehr distinguiert und im Rollstuhl sitzend. Sie hat alles, was man von einer Operetten-Diva erwartet, glanzvolle Stimme, Spieltalent und Charme. Mit dem hierzulande sehr beliebten profilierten Kabarettisten Tom Pauls als Finanzminister beim Herzog von Mantua, hoffte man offenbar, das Publikum zu gewinnen, aber ihm schien das Ganze nicht den richtigen „Spaß“ zu machen. Er rezitierte „sein“ Gedicht und sang sein Couplet mit Qualität, konnte sich aber kaum als Persönlichkeit zwischen „Schatzmeister“ bzw. „Investor“ entfalten, und der bei ihm sonst mitreißende „Funke“ wollte nicht überspringen.

Worum es eigentlich geht, erfährt man in dieser Inszenierung nicht, wenn man nicht schon die Operette kennt. Man ist viel zu abgelenkt von kleinen und großen Gags, die keine wirklich sind und auch nicht „zünden“. Zum Schluss werden die Räuber hingerichtet und zu Engeln. Dazu legt man ihnen Jesus‘ letzte Worte am Kreuz in den Mund und schenkt ihnen auch noch einen Choral aus dem „Weihnachtsoratorium“ von J. S. Bach, für Christen frustrierend, für Atheisten unverständlich – was soll‘s. Es ist so ziemlich alles hineingepackt, was Aufsehen erregen und provozieren könnte, wenn es nicht schon so oft verwendet worden wäre.

Das Publikum ist dessen langsam müde. Wo bleibt da die Dynamik eines jungen Regisseurs? Wenn er von der Bühne provokant fragen lässt: „Wollt ihr die totale Operette“, möchte man antworten: „Ja, aber nicht so!

Nur eines hat er erreicht, man spricht und schreibt viel zu viel darüber. Ein massiver Buh-Orkan, wahrscheinlich der erste in diesem Haus, war ihm sicher. Dagegen kamen auch die notorischen Premieren-Berfürworter nicht an. Das Dresdner Publikum, auch das der Operette, „lässt sich nicht spotten“ (um bei der Bibel zu bleiben).

Im Sommer will Schwarz den „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth neu inszenieren. „Wenn das mal gut geht“.

Bilder: © Pawel Sosnowski

Ingrid Gerk, 4.3.2020

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