Dresden: „Im weissen Rössl“

Aufführung am 01. September 2018 – Wiederaufnahmepremiere am 11. März 2017

Unbeschwerte Unterhaltung mit langer Verzögerung

Im Frühjahr 2016 war ich in der letzten Aufführung im „alten Haus“ der Staatsoperette Dresden in Leuben und hatte versprochen im Neubau im Kraftwerk Mitte wieder dabei zu sein. Also machte ich mich mit fast 60 Freunden auf, um am 4.11.2017 das „Weisse Rössl“ in der neuen Umgebung zu erleben. Das heißt, ich wollte mich aufmachen, denn kurz vorher ereilte mich die Nachricht, dass ein äußerst unvorsichtiger Mechaniker den gesamten Trakt der nagelneuen Staatsoperette unter Wasser gesetzt hatte. Viele Monate Spielausfall, viele viele Euros Kosten für einen falschen Handgriff. Und so musste sich der Besuch um ein ganzes Jahr verschieben, aber pünktlich zur Spielzeiteröffnung 2018/2019 stand wieder „Im weissen Rössl“ auf dem Programm – und diesmal ging alles gut. Ein Novum in der Theaterlandschaft Deutschlands war der Neubau, bzw. der Umbau des Kraftwerks Mitte im Herzen Dresdens u.a. zur neuen Staatsoperette Dresden. Was 2001 begann, wurde schließlich 2016 mit der glanzvollen Eröffnung der Staatsoperette Dresden gefeiert und ein ganz großes Dankeschön sei an den damaligen und heutigen Intendanten Wolfgang Schaller ausgesprochen, der mit all seinem Herzblut und vielen Freunden und den gesamten Mitarbeitern für „sein“ Theater erfolgreich gekämpft hat. Da konnte ihn auch ein kleiner Wassereinbruch nicht schrecken. Das neue Haus ist beeindruckend, großzügig geschnitten mit viel Platz auf, neben und hinter der Bühne. Jetzt endlich kann man Operette so spielen, wie man es immer schon wollte und jetzt endlich können sich auch die Künstler entfalten und sich nicht Garderoben und ähnliches teilen müssen. Es scheint als ab ein großes Aufatmen durch die Dresdner Operettenszene gegangen ist. Man darf auch einmal erwähnen, dass die gesamte Belegschaft des Theaters von 2009 bis 2021 auf etwa 8% ihres Gehaltes verzichtet hat und mit den dadurch eingesparten 13 Millionen Euro maßgeblich zum Erfolg des Baues beigetragen hat. Auch das dürfte etwas Einmaliges in der Theaterlandschaft sein. Die Identifikation der Belegschaft mit „ihrer Operette“ sucht seinesgleichen und nur so ist es zu erklären, dass ein solcher Bau in der heutigen Zeit noch realisiert werden konnte. Ich kann hier nur meinen imaginären Hut vor so viel Theaterleidenschaft und auch Verzichtsbereitschaft ziehen. Doch nun noch kurz zum Haus. Man erlaube mir ein paar Zahlen, denn eine solche Leistung ist auch einer entsprechenden Wertschätzung würdig. Der Theatersaal umfasst einen mit optimalen akustischen Bedingungen ausgestatteten Saal für 700 Besucher. Das ausgeklügelte Akustiksystem sucht seinesgleichen und ausfahrbare Stoffsegen, aufblasbare Schläuche und ähnliches wurden an der Zuschauerraumdecke installiert um optimale akustische Eindrücke zu erhalten. Der ansteigende Saal ermöglicht auf jedem Sitz optimale Sicht und dass er barrierefrei ist, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen. Eine Übertitelanlage ermöglicht, dass man die Texte in Deutsch und Englisch mitlesen kann und eine fast 400qm große Bühne sorgt für sorglose Spielmöglichkeiten. Der Orchestergraben ist geräumig und großzügig geschnitten, wie praktisch alles in diesem Haus. Ich muss zugeben, dass ich von den Möglichkeiten begeistert und beeindruckt bin und der Unterschied zur alten Theaterstätte in Leuben ist überhaupt nicht in Worte zu fassen. Einige haben sich hier im Kraftwerk Mitte ein Denkmal für die Ewigkeit gesetzt, an vorderster Stelle der unermüdlich kämpfende Intendant Wolfgang Schaller, dem nicht genug gedankt werden kann, ebenso wie allen Mitarbeitern des Hauses ohne deren Opferbereitschaft dieser Bau sicherlich kaum realisiert hätte werden können.

Andreas Sauerzapf-Ingeborg Schöpf

Auf dem Programm steht die Operette, oder soll man Singspiel oder soll man Revue sagen „Im weißen Rössl“. Ich glaube alle Bezeichnungen treffen auf dieses unverwüstliche Stück zu, wollen wir es einfach Revueoperette nennen, welches als Komponisten Ralph Benatzky verzeichnet, aber von etlichen weiteren Komponisten verfeinert, verbessert oder wie auch immer wurde. Dass Benatzky, von dessen Werk eigentlich nur die Rahmenhandlung verblieb, nicht gerade erfreut war über diese Bearbeitung ist sicherlich verständlich, er zog sich dann auch von der endgültigen Bearbeitung zurück und überlies die Instrumentierung Eduard Künneke. Aber wollen wir heute auf die Melodien eines Robert Stolz, eine Bruno Granichstaedten, eines Robert Gilberts verzichten? Gespielt wird in Dresden die Originalfassung der Uraufführung von 1930, die Erik Charell später in eine abgespeckte, um eine gute halbe Stunde verkürzte Version umwandelte, die auch an kleineren Bühnen aufführbar war und eigentlich praktisch zur normalen Aufführungsversion wurde. Die Staatsoperette Dresden beschloss erst in den letzten Jahren die Fassung der Uraufführung zu rekonstruieren und dies gelang vorzüglich. Trotz der Länge von fast drei Stunden kommt keine Sekunde Langeweile auf, die Handlung zieht spritzig, opulent und einprägsam an einem vorbei und ist schmissig aufbereitet, so dass das Publikum richtig mitgeht und mit den Füßen den Takt mitschlägt. Winfried Schneider zeichnet für die Inszenierung und die Choreografie verantwortlich und er hat dies alles sehr geschickt aufgebaut. Er verknüpft die Handlung gekonnt und beeindruckend mit den sehr guten Tanzeinlagen, die voll Lebensfreude und Humor nur so sprühen, selbst der als etwas gewagt bezeichnete „Tanz der Kühe“, der manchem sicher etwas erotisch erscheint, ist für mich stimmig und auf jeden Fall mehr als amüsant. Dazu passt auch das Bühnenbild von Daniel Gantz. Die Bühne wird von einem riesigen bunten nostalgischen Karussell eingenommen, auf und in dem sich fast alles abspielt. Es dreht sich und windet sich von und zu den einzelnen Schauplätzen hin und alles passt einwandfrei. Ob es der ankommende Reisebus mit den Touristen, die für die Sehenswürdigkeiten nur ein paar Minuten Zeit bekommen, ob es die Ankunft des großen Dampfers oder des großen Kaisers ist, alles überzeugt, alles ist etwas überzogen, aber macht unwahrscheinlich viel Spaß. Und so bunt und stimmig die Dekoration ist, so bunt, farbenreich, teilweise knallig aber immer überzeugend sind auch die Kostüme von Nina Reichmann. Alles passt, alles ist bunt und das macht den Reiz dieser Inszenierung aus, deshalb ist auch der Begriff Revueoperette der einzig richtige für dies Aufführung. Die neue Bühne wird weidlich ausgenutzt, gedreht, gesenkt dass es eine wahre Freude ist. Alles knallig, bunt, an der Grenze zum Klamauk, aber diese Grenze wird nie überschritten., Dieses Rössl macht einfach Spaß – und genau das ist es, was eine gute Aufführung ausmacht.

Marcus Günzel

Das Orchester der Staatsoperette Dresden wird von Christian Garbosnik geleitet, und er leitet es vorzüglich. Er hat seine Musiker fest im Griff, lässt sie temperamentvoll, lautstark aber auch zurückhaltend musizieren, wenn er sie sängerdienlich etwas zurücknimmt. Alles passt, keine Ausrutscher, ein verschmelzen mit den wunderschönen teilweise feurigen Weisen der Revueoperette. Hier können die Musiker aus dem Vollen schöpfen und das kosten sie weidlich aus. Es macht einfach Spaß ihnen zuzuhören, so voller Hingabe und Leidenschaft lassen sie die Töne strömen.

Eine solche Operette, die voller herrlicher Melodien ist, bei der aber auch der Humor nicht zu kurz kommt, braucht natürlich auch die entsprechenden Sänger, die Protagonisten, die alles erst zu einer Einheit werden lassen. Und auch hier kann Dresden aus dem Vollen schöpfen.

Die Rösslwirtin ist niemand anders als die Sopranistin Ingeborg Schöpf. Seit vielen Jahren ist sie eine unverzichtbare Stütze der Staatsoperette, die ihre Rolle voller Saft und Kraft ausfüllt und dies nicht nur stimmlich, sondern auch vom darstellerischen Vermögen her. Mit zartem, aber zugleich auch feurigem Sopran und dies widerspricht sich in diesem Fall in keinster Weise, bekommt sie die wohlverdienten Beifallsstürme. Ihr strahlendes, höhensicheres Organ dringt, auch im Pianissimo in jeden Bereich des Zuschauerraums. Sie verkörpert die Rösslwirtin äußerst glaubhaft, mit dem ihr eigenen Charme, den sie als geborene Österreicherin gekonnt versprüht. Ihr Zahlkellner Leopold ist der in Wien geborene Andreas Sauerzapf. Sein weicher schöner und in jedem Bereich ansprechender Spieltenor weiß sehr wohl zu gefallen und ergänzt sich auf das vortrefflichste mit Ingeborg Schöpf. Auch vom Darstellerischen bleibt er der Rolle nichts schuldig, eine ausgezeichnete Leistung.

Miriam Lotz-Henryk Wolf

Als Rechtsanwalt Dr. Siedler weiß der Bariton Bryan Rothfuss sehr wohl zu überzeugen, wobei ich in dieser Rolle lieber einen strahlenden schmetternden Tenor gehört hätte. Er macht mit seinem weichen vollen und runden Bariton seine Sache zwar ausgezeichnet, aber vor allem in den Duetten hätte ich mir ein bisschen mehr Feuer, Leidenschaft und Durchschlagskraft gewünscht. Dennoch eine überzeugende Darstellung, vor allem weiß er natürlich auch im darstellerischen Bereich voll zu punkten. Das Publikum ist sowieso auf seiner Seite. Als seine geliebte Ottilie, die Tochter des Berliner Fabrikanten Giesecke, weiß die gebürtige Slowenin Andreja Zidaric mit ansprechendem Sopran und gefälligem Spiel zu überzeugen. Marcus Günzel als der schöne Sigismund ist eine Klasse für sich und kann völlig zu Recht viel Beifall einheimsen. Der aus Dresden stammende Bariton weiß sein gepflegtes Organ völlig rollendeckend einzusetzen und kann durch seine schauspielerische Darstellung des glatzköpfigen Schönlings viel zusätzlichen Beifall erhalten. Er nimmt diese Rolle als seine an und füllt sie vollstens aus. Sein Klärchen ist die Berliner Mezzosopranistin Mandy Garbrecht, die ohne Fehl und Tadel das lispelnde, etwas verklemmte Mädchen darstellt und mit reiner und klarer Stimme zu punkten vermag. Der in Oschatz geborene Bariton Gerd Wiemer bringt den Berliner Fabrikanten rollendeckend auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Seine berlinerischen Einlagen erfreuen das Publikum und bringen es mehr als einmal zum Lachen, zum befreienden und ausgiebigen Lachen. Als Professor Hinzelmann weiß Dietrich Seydlitz seine Pointen zu setzen und den etwas weltfremden Gelehrten sehr gut darzustellen. Eine Leistung ohne Fehl und Tadel. Hans-Jürgen Wiese als Oberförster und Silke Fröde als Reiseleiterin fügen sich nahtlos in das ausnahmslos ausgezeichnete Ensemble ein. Als Kaiser bringt Alois Walchshofer wieder einmal ein Kabinettstückchen auf die Bühne. In seiner leider nur sehr kurzen Rolle zieht er das Publikum, sein Publikum ganz in seinen Bann. Er spielt den Kaiser nicht, er ist es in diesem Moment. Gütig, vornehm, zurückhaltend und altersweise beeindruckt er das Publikum und sein Lied „Es ist einmal im Leben so“ bringt er so auf die Bühne, dass man einfach mehr davon hören möchte. Nur in einigen Passagen des Liedes blitzt sein warmer, vollmundiger und stimmschöner Bariton durch. Eine ganz tolle Leistung des aus Linz stammenden Baritons. Eine Marke für sich ist auch der Piccolo Gustl, der von dem aus Radebeul stammenden Henryk Wolf verkörpert wird. Den Lausbub, der heranwachsend seinem großen Vorbild, dem Leopold nacheifern will, verkörpert er mit jeder Faser. Ob er tanzt, ob er sich Ohrfeigen einfängt, ob er über die Bühne wirbelt, immer ist er ein Hingucker und man möchte ihn gerne in einer größeren Rolle sehen wollen. Er füllt seinen Gustl bis in den letzten Zentimeter seiner Rolle aus, eine wirklich beeindruckende Leistung. Und zum Schluss noch die geborene Hamburgerin Miriam Lotz als Briefträgerin Kathi. Auch sie schöpft ihre Rolle bis ins letzte aus. Schon zu Beginn mit tollem beeindruckendem Jodeln, mit viel Tanz, Akrobatik, vor allem auch im Zusammenspiel mit Henryk Wolf, weiß sie einfach nur zu gefallen und dazu kommt noch eine tolle schauspielerische Präsenz. Bravo Miriam.

Andreas Sauerzapf

Diese Aufführung in der „neuen“ Staatsoperette Dresden hat einfach nur Spaß gemacht. Sie hat unterhalten, sie hat die Sorgen vergessen lassen, sie hat gezeigt, mit wieviel Herzblut die Akteure bei der Sache sind. Und man hat gemerkt, dass es ihnen genau so viel Spaß gemacht hat wie dem Publikum. Und was kann man schöneres über einen Operettenabend sagen, oder sagen wir über einen Abend mit einer Revueoperette vom Feinsten. Das Haus kann auf seine Leistung stolz sein, das werden auch die Besucher honorieren und so wünschen auch wir alles erdenklich Gute für die weitere Zukunft. Und eines kann ich jetzt schon versprechen, ich werde nicht das letzte Mail in der Staatsoperette Dresden gewesen sein.

Manfred Drescher 06. September 2018

Bilder (c) Stephan Floß