Dresden: „Die polnische Hochzeit“, Josef Beer

Während in der Dresdner Semperoper die Ballnacht der Ballnächte nach vierjähriger Pause wieder für Glanz und Gloria sorgte, mit Villazon, Hillebrand und der erstmaligen Vergabe der Choros Awards als Highlights, lief in der Staatsoperette Dresden Joseph Beers Operette „Die polnische Hochzeit.“ Als deutsche Erstaufführung in der Inszenierung von Julia Huebner war vor allem die musikalische Seite von Interesse. 

© Pawel Sosnowski

Zu berichten ist von einer schwungvollen, raffiniert die spätromantisch folkloristischen bis jazzigen Klangfarben auffächernden musikalischen Leitung von Johannes Pell, der auch mit einer schlankeren Instrumentierung als in der Partitur vorgesehen auf die Balance zur Bühne achtete. Dank des vor allem in den weiblichen Rollen großartigen Ensembles, das die Leichtigkeit des Tons in kunstvollen Vokallinien feierte, aber auch die vielen stratosphärischen Spitzentöne mit Bravour in den großen Saal des umgebauten Kraftwerks Mitte schleuderte, erfreute der Abend mit musikalischem Temperament. 

1937 am Stadttheater Zürich uraufgeführt, bietet das Spätwerk der Gattung des erst 28-jährigen Komponisten am Vorabend des Zweiten Weltkriegs insgesamt einen bunten Stilmix, spielt geschickt mit Versatzstücken aus bekannten Operetten. Auf für heutige Ohren vielfach fürchterliche Reime des berühmten Duos Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald komponiert, will „Die polnische Hochzeit“ (zu)viel zugleich sein:  Eine simple Herz-Schmerzkomödie in einem politisch heiklen Umfeld, in Stereotypen, polnischem Patriotismus und Alkoholseligkeit badend, Familien- und Generationendrama, glitzernde Tanz-Revue, Intrigenstück um alternde Patriarchen und junge selbstbewusste Frauen. Rein musikalisch ist eine Nähe zu Tchaikovsky, Puccini, Chopin, Paul Abraham und Gershwin spürbar.

© Pawel Sosnowski

In einem Moment klopft alleine schon der raffinierten Instrumentierung wegen der großen Oper an die Tür. Im nächsten scheinen die Texte je nach Standpunkt einem satirischen Dadaismus zu huldigen oder einfach ins unsäglich Peinliche abzugleiten. Beispiele gefällig? „Du riechst nach Milch und Butter, du bist die beste Mutter“ oder „Je blöder der Knecht, desto teurer der Hecht“. Auch wird kein noch so billiges Klischee im Zusammensein von Frau und Mann ausgelassen. Die Regie fügt unnötigerweise noch die Figur (Sprechrolle) des alten Boleslav Zagorsky (Herbert G. Adami) hinzu, der über Emigration, Vertreibung und das Leben im Nirgendland sinniert, um einen kleinen abstrakten Dreh hin zum aktuellen Krieg Russland-Ukraine auf die Reihe zu bekommen.

Daniel Pataki, Ensemblemitglied der Oper Chemnitz, verkörpert diesen zwischen der großen Liebe zu Jadja Oginsky, auf die auch der verlotterte Onkel Staschek Zagorsky ein Auge geworfen hat, und freiheitskämpfenden Revolutionsgelüsten (Polen wird im frühen 19. Jahrhundert von Russland kontrolliert) changierenden Draufgänger Boleslav mit tenoraler Bravour und hitziger Leidenschaft. Das hohe C sitzt mühelos. Seine Schlager verfehlen auch an diesem Abend ihre Wirkung nicht. Für seine angebetete Jugendliebe Jadja, Tochter des Gutsbesitzers Baron Mietek Oginsky (Markus Liske), hat die Soprandiva Steffi Lehmann lyrische Seide, sanft aufblühende Höhen und elegante Decrescendi parat.

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Die Liebesduette der beiden gehören mit zu den musikalischen Höhepunkten des Abends. Als alternder Schmock will Staschek (darstellerisch pointiert Gerd Wiemer) die Heirat mit der widerstrebenden Jadja durch Erpressung erzwingen. Wäre da nicht die kratzbürstige Wildkatze Suza (glutvoll bühnenfegend die Mezzosopranistin Jolana Slavikova), die nach Art einer flotten Verwechslungskomödie im letzten Moment vor dem Jawort in die Kleider der Braut schlüpft und wie Aminta in Richard Strauss‘ „Die schweigsame Frau“ so lange als launisch-migräneanfällige Teufelin im reichen Hause tobt, bis die bedingungsreiche Trennung mit der Moritat „Keine Ehe ist so viel wert, wie die Scheidung kostet“ vollzogen ist.  Die sechste Ehe des halbglatzig im Badeschaum besseren Zeiten nachhängenden Staschek ist hinüber, für die Zukunft schwört er den Frauen ab. Suza kriegt ihren Casimir (Andreas Sauerzapf), Boleslav seine Jadja und Mietek hat seine Schulden los. Aber so recht will man dem Happy End nicht trauen. Der Reim „In der Heimat blühn die Rosen, nicht für mich den Heimatlosen“, dürfte von ewiger Aktualität sein.

Was Dirigent, Orchester, Chor, (das durch Mikros verstärkte) Ensemble und Ballett an erstklassiger Performance liefern, wird durch das historisierende, in DDR-Plakativität dümpelnde Bühnenbild und eine kaum erkennbare Personenregie atmosphärisch wieder eingetrübt. Darstellerisch wirkt vieles an dem Abend beiläufig, bis hin zu Out rage und grobem Chargieren. Die flott schlüpfrige Komödie, der bissige Humor bleiben auf der Strecke.

© Pawel Sosnowski

Ein Mehr an Charakterisierung und Profilierung der Figuren hätte mit Sicherheit ein Mehr an Spannung und Stringenz bewirken können.

Der Applaus im nicht voll besetzten Haus hielt sich am Ende in überschaubaren Grenzen. Die Produktion (Premiere 22. April 2023) hinterlässt den eigentümlichen Eindruck, als ob sie einige Jährchen auf dem Buckel hätte. Schade. 

Ingobert Waltenberger

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Die polnische Hochzeit
Josef Beer

Staatsoperette Dresden

Premiere 22. April 2023
23. Februar 2024

Regie: Julia Huebner

Trailer