Dresden: „Wonderful Town“

Leonard Bernsteins

Premiere am 22.12.2016 im Kraftwerk Mitte (Theater für Operette und Musical)

Bis 1945 hatte Dresden ein sehr beliebtes Operettentheater in der Innenstadt, das „Central-Theater“. Es ging unter im Bombenhagel am 13.2.1945, aber nicht die Operette. Sie zog in einen ehemaligen Gasthof am Rande der Stadt, nach Dresden-Leuben. Zahlreiche Teile der Bühnentechnik, Eisenträger, Rohre, Kabel und auch Ziegelsteine wurden per Hand aus den Trümmern gegraben und mit Handwagen über 10 km nach Leuben gekarrt, um dort wieder mit verbaut zu werden.

In Leuben blieb die Operette, an der das Herzblut mancher Dresdner hing, und erfreute sich Abend für Abend großer Beliebtheit, so dass das Foyer in den Pausen aus allen Nähten platzte. Nun wurde das Haus „baufällig“, was man ihm aber nicht ansah (und es hielt doch noch), aber das Operettenteam zog samt Musical, das bisher auch gespielt wurde, in ein neues Domizil, das umgebaute Kraftwerk Mitte, das es sich von nun an mit dem „tjg“ (Theater der Jungen Generation), bisher in einem anderen ehemaligen Gasthof am anderen Ende der Stadt untergebracht, teilt, und nennt sich jetzt „Theater für Operette und Musical“ (bisher: Staatsoperette).

Die Gegend, einst eine sehr belebte, zentrale Geschäftsgegend und einer der Mittelpunkte der Stadt, verkam in den vergangenen Jahrzehnten zu einer „toten Ecke“ mit flutendem Durchgansverkehr, aber (fast) „Gleisanschluss“ (S-Bahn, Straßenbahn mit einigen Wegen) und fast vis-à-vis der Hochschule für Musik. Vielleicht zieht durch die Theater wieder neues Leben in dieser Gegend ein.

Das Kraftwerk ist kein schöner Bau, ein reiner (liebloser) Zweckbau, nicht vergleichbar mit den Kraftwerken im maurischen Stil, wie z. B. in Schwerin und Potsdam. Der Eingangsbereich ist sehr gewöhnungsbedürftig, fernab von Glanz und Glamour. Rohe Ziegelwände, ein gegenwärtig bei Architekten beliebtes „Gestaltungselement“, das einst einer ihrer Kollegen sinnvoll einbezogen hat und jetzt alle nachmachen, ob passend oder nicht, „zieren“ den Weg zum sehr modern und funktional gestalteten Foyer ganz in (kühlem) Weiß und den Zuschauerraum in Rot und Schwarz und mit ausgezeichneten Sichtverhältnissen.

Sorgfältig gefügtes Mauerwerk kann als rohe Ziegelwand seinen Reiz haben. Dieses hier gehört nicht dazu wegen seiner besonders schlechten Qualität mit Löchern und Rest-Fetzen von Putz. Es stammt aus einer Zeit, wo Pfusch und Akkord angesagt waren, was schon damals durch den Putz verdeckt werden musste. So erweckt es höchstens den Eindruck des Unfertigen. In diesem Falle kann man bekanntlich über Geschmack streiten, oder besser auf einen baldigen Geschmackswechsel hoffen.

Nach dem heiß umstrittenen „Orpheus in der Unterwelt“ von J. Offenbach hatte nun das vergessene Musical „Wonderful town“ von Leonard Bernstein Premiere in Koproduktion mit der Volksoper Wien, die es in 2 Jahren übernehmen wird. Für Bernstein war es seine Hommage an seine Stadt New York, für das Operettenteam ist es seine Hommage an Dresden.

Darüber, ob uns das Stück nach einem Buch von Joseph Fields und Jerome Chodorov und ihrer Komödie „My Sister Eileen“ sowie den Kurzgeschichten von Ruth McKenney und mit Liedtexten von Betty Comden und Adolph Green (Deutsch von Roman Hinze) auch heute noch viel sagt, kann man geteilter Meinung. Die älteren Besucher erinnern sich vielleicht noch an ihre Jugendzeit, die jüngeren finden es vielleicht als Blick in die Vergangenheit interessant. Nicht umsonst ist es gelegentlich allgemein „in“, sich der 1950er bis 70er Jahre zu erinnern. Matthias Davids lässt die 1950er Jahre wieder erstehen, spiegelt das New York dieser Zeit wieder, kein Way Of Life, sondern einfach das veristische Leben seiner Bürger, bunt wie die Charaktere, Persönlichkeiten und Nationaltäten, die sich in der Musik und vielfältigen Tänzen wiederspiegeln, die anklingen und gut getanzt werden, hektisches Treiben auf den Straßen, bunt und vielfältig, gegenseitiges Austricksen und Übervorteilung, aber auch echte Freundschaften und – natürlich Liebe.

Unterstrichen werden diese typischen New Yorker Verhältnisse durch Bühnenbilder und Video-Animation von Matthias Fischer-Dieskau und die gut geschnittenen Kostüme im Stil der 50er Jahre von Judith Peter in ihrer abwechslungsreichen, farbenfrohen Vielfalt, Hingucker, die auch bei den zahlreichen Tanzeinlagen (Choreografie: Melissa King) gute Figur machen und die Bewegungen der Tanzenden bei Cha-Cha-Cha, Charleston, irisch und brasilianisch beeinflussten Tänzen usw. effektvoll umspielen und die perfekt einstudierten Gruppenszenen wirkungsvoll unterstreichen. Schnelle Auf- und Abbauten der Kulissen im „New Yorker Tempo“ für schnelle Bühnenverwandlungen, die für jede Situation ein typisches Bühnenbild zeigen, werden – wie in die Handlung einbezogen – durch die Personage erledigt.

Zurück zum ansprechenden Zuschauerraum. Die Bühne hat die richtige Größe. Die „Rampe“ ist wie ein „Laufsteg“ bis vor den Orchestergraben gezogen, was den Akteuren und vor allem den Regisseuren viele Möglichkeiten bietet, dem Publikum näher und entgegenzukommen – ohne unmittelbare Berührung. Dadurch sitzt das Orchester wie in einem großen „Loch“, pardon einem „Pool“, aber es „schwamm“ nicht, sondern ging unter der musikalischen Leitung von Peter Christian Feigel gleich mit der „Ouvertüre“ richtig los.

Feigel vermittelte viel Drive und hatte ein gutes Gespür für Rhythmus und Melodik der Musik Bernsteins zwischen viel Temperament, aber zuweilen auch Zartgefühl und lyrisch bewegenden Momenten, wie dem wehmütigen „Ohio“-Song, den die beiden Schwestern Ruth und Eileen, die ihr Glück in der Metropole versuchen, in ihrer wehmütigen Sehnsucht nach zu Hause im erfolglosen Getriebe der Weltstadt anstimmen. Bei manch anderem Song hätte man sich gern noch etwas mehr Temperament und durchreißende Stimmkraft gewünscht. In solchen Fällen nahm Feigel das Orchester sehr zurück und überließ den Sängerinnen und Sängern den Vorrang.

Im Allgemeinen erfüllten alle Beteiligten von den Solisten bis zum Chor ihre vielseitigen Aufgaben zwischen Sprechen, Gesang und Tanzen sehr gut. Das Orchester bildete dabei eine gute Grundlage, auch für die perfekt ausgeführten Tänze mit ihren beeindruckenden Gruppenszenen. Der Chor (Einstudierung: Thomas Runge) verfügt über gute Stimmen, die besonders beim irischem Volkstanz dem Ohr schmeichelten. In mancher Gruppenszene konnte jeder Chorsolist der Herren eine kleine Solo-Nummer präsentieren und überzeugte.

Unter den zahlreichen Mitwirkenden, die alle ihre größere oder kleinere Rolle möglichst realistisch und typisch für die amerikanischen Verhaltensweisen gestalteten, fielen vor allem die beiden Schwestern auf. Obwohl die blonde Eileen der Star des Musicals ist, dominierte mit ihren besonderen Leistungen die temperamentvolle Sarah Schütz als ihre ältere Schwester Ruth. Sie konnte einfach alles, was ihre Rolle verlangte. Sie hat echtes Musical-Talent, viel Temperament und Rhythmusgefühl, kann gut artikuliert sprechen, ohne aufdringliche Stimme singen und vor allem tanzen – alles präzise. Sie machte gute Figur und brachte als perfekte Musical-Künstlerin die Handlung voran, wobei ihre tänzerischen Leistungen, vor allem bei den Hebefiguren in den Gruppenszenen, den wohl stärksten Eindruck hinterließen.

Olivia Delauré stand ihr als zunächst naive, auf die Wirkung ihrer Schönheit und ihr Talent vertrauende blonde kleine Eileen „aus der Provinz“, die sich in New York schließlich zur Persönlichkeit mit fast Vamp-haften Allüren und zum „Star“ unter den Männern entfaltet, ihrer „großen Schwester“ szenisch und musikalisch nicht nach – ein gutes Rollenporträt.

Ein anderes gutes Rollenporträt lieferte auch vielseitige Bryan Rothfuss als Robert Baker, Redakteur, ab, der im Stück zum gesellschaftlichen Verlierer, aber Gewinner im Leben wird – insgesamt ein gutes Ensemble und eine gelungene Premiere, wozu man Intendant Wolfgang Schaller gratulieren kann.

Bilder (c) Staatsoperette

Ingrid Gerk, 26.12.2016

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