Besuchte Vorstellung 8. Juni 2014
Premiere 22.10.2000
Auch das Musical kann in Dresden gut bestehen
Beschwingte Besucher lassen sich durch das Blumenmädchen in „My Fair Lady“ bezaubern. Gut, ich gebe es zu, das Musical ist nicht so mein Metier, ich gehe nur selten in eines und wenn, dann in eines der Anfängerjahre, weil da doch noch Operettenähnlichkeit besteht. Und gut, ich gebe es zu, dass ich es noch weniger mag, wenn man mit angeklebten Mikrofonen auftreten muss (obwohl manche der Sänger auch gut ohne ausgekommen wären). Um die Tage in Dresden gut auszunutzen, ging ich aber nach der sehr gut gelaufenen „Verkauften Braut“ zwei Tage später in „My Fair Lady“. Und ich muss zugeben, dass ich es nicht bereut habe. Einmal weil es noch ein Musical mit sehr vielen, sehr schönen unterschiedlichen Melodien ist, was man von den neueren Musicals nicht sagen kann und vor allem auch deswegen, weil der von mir in „Die verkaufte Braut“ noch so gescholtene Frank Blees hier eine Supervorstellung gab. Doch dazu später mehr.
Der Inhalt von „My Fair Lady“ ist im Schnellverfahren mit ein paar Worten erzählt. Ein selbstverliebter, recht arroganter Professor wettet mit Oberst Pickering, dass es ihm als Sprachwissenschaftler gelingt, eine Bordsteinpflanze mit praktisch keinerlei Benehmen und einer vulgären Sprache, in kürzester Zeit so auszubilden, dass sie auf einer Einladung in höchste Kreise als „Fast-Prinzessin“ bestehen kann. Und tatsächlich, das einfache Blumenmädchen Eliza wird von ihm so gedrillt, dass sie alles schafft. Statt sie danach in höchsten Tönen zu loben, lobt er nur sich und seine tolle Leistung, zusammen mit Oberst Pickering. Eliza will von ihm fort, zutiefst gekränkt, aber dass möchte er eigentlich auch nicht so sehr, denn er hat sich „so gewöhnt an ihr Gesicht“. Und Eliza kehrt zu ihm zurück. Ob sie ein Liebespaar werden, ob sie ihn wieder verlässt, dass lässt das Musical offen. Um diese Hauptstory gibt es mit dem Vater von Eliza und dem unglücklich in sie verliebten Freddy sowie der Haushälterin Mrs. Pearce und Mrs. Higgens noch weitere Figuren, die zum Erfolg dies Musicals mit beigetragen haben.
Am 22. Dezember 2000 hat man das Musical erstmalig an der Staatsoperette Dresden herausgebracht und nach längerer Pause war dann am 15. März 2011 die Wiederaufnahme und auch beim heutigen Besuch waren nur wenige Plätze unbesetzt. Ein Erfolgsgarant eben. Die Inszenierung von Georg Immelmann und das Bühnenbild von Bernd Lanzke sowie die sehr schönen Kostüme von Silke Führich waren herrlich konventionell. Keine Experimente, sich auf die Musik und die Sänger bzw. Singschauspieler zu verlassen, dies ist ein Konzept was aufgeht und was die Besucher zufrieden nach Hause gehen lässt, jedenfalls zum größten Teil. Und was auch den Rezensenten erfreut, der sich die Selbstverliebtheit mancher Regisseure nicht mehr antun will und sich deswegen die Spielstätten, die er aufsucht, genau aussucht.
Bei den Sängern muss man beim Musical natürlich Abstriche machen, vielfach sind es Schauspieler mit nicht so großen Stimmen. Die Praxis beim Musical ausgebildete Opernsänger einzusetzen ist noch nicht weit fortgeschritten. Und auch die furchtbaren aufgeklebten Mikrofone muss man in diesem Fall mehr oder weniger akzeptieren. Und im Großen und Ganzen haben die Singschauspieler auch überwiegend Spaß gemacht. Tom Pauls legt den Professor Henry Higgins mit leisen Tönen an, geht auch des Öfteren in den Sprechgesang, ist mitunter auch etwas leise (trotz des Mikrofons), bringt die Gestalt des selbstverliebten Gockels, der auch noch stark am Rockzipfel der Mama hängt, jedoch charmant, nett und mit Überzeugungskraft über die Rampe. Eine rollendeckende Gestaltung von Tom Pauls. Als Eliza Doolittle weiß Olivia Delauré zu überzeugen. Und zwar überzeugt sie sowohl in der einfachen vulgären Sprache sprich Gesang, als dann auch in dem musikalischen Ausdruck der „feinen Dame von Welt“. Sie ist auch optisch nett anzusehen und erfüllt die Rolle der kleinen Blumenfrau mit viel Leben und erntet zu Recht großen Applaus des angetanen Publikums. Frank Blees als Alfred P. Doolittle, dem Vater von Eliza, gelingt die – aus meiner Sicht – mit Abstand beste Interpretation des Abends. Sein weicher und gepflegter Bass-Bariton, den er jedoch zum Beispiel in „Hei, heute Morgen mach´ ich Hochzeit“ auch in andere Töne zu bringen in der Lage ist, überzeugt ohne Einschränkungen. Wenn sich Frank Blees auf die Rollen beschränkt, die nicht unbedingt einen schwarzen Bass a la Kurt Böhme oder auch Gottlob Frick erfordern, wird er noch viele Beifallsstürme ergattern können. Heute also uneingeschränktes Lob. Dieses Lob auch für den von Hans-Jürgen Wiese überzeugend interpretierten Oberst Pickering, der das Schlimmste von Eliza fernhält, weil er menschlicher und einfühlsamer ist als der Sprachwissenschaftler.
Jutta Richter-Merz überzeugt als resolute Mrs. Higgins, die das Herz auf dem rechten Fleck hat, ebenso wie Silke Fröde als Mrs. Pearce, dem guten Geist im Hause von Henry Higgins. Frank Oberüber verkörperte den verliebten Freddy Eynsford-Hill, sein Tenor war aber wirklich zu klein und zu schwach um wirklich zu gefallen. Ihm würde ich mein Herz auch nicht schenken, aber vielleicht kann er sich in dieser Rolle noch steigern oder er hat einen pechschwarzen Tag gehabt. Alle anderen Mitwirkenden agierten vorzüglich, es gab keinen Ausfall, und das ist ja eigentlich schon sehr viel. Auch der Chor, einstudiert von Thomas Runge hinterließ einen guten und sicheren Eindruck. Das Orchester der Staatsoperette Dresden wurde an diesem Tag von Peter Christian Feigel geleitet und er machte seine Sache ausgezeichnet. Eigentlich machte das Orchester seine Sache ausgezeichnet, er aber führte es zielsicher und punktgenau, so dass keine Probleme auftauchten. Schmissig und einfühlsam gingen die Melodien in das Ohr der äußerst angetanen Zuhörer. So ist das Musical eine (fast) ebenbürtige Freundin der Mutter Operette. Und so habe ich wieder einmal einen schönen Tag in der Staatsoperette Dresden verleben dürfen.
Manfred Drescher 8.7.14
Bilder: 1-3 von Stephan Floß, Bild 4 Eigenaufnahme Drescher