Besuchte Vorstellung am 29. April 2022
Premiere am 22. Januar 2022
Tief beeindruckend
Isabel Stüber Malagamba/Michael Mrosek
Mit der 2000 in San Francisco uraufgeführten Oper Dead Man Walking von Jake Heggie wird den Zuschauern einiges zugemutet. Es geht um die Todesstrafe allgemein und um die Problematik der Vollstreckung in den Vereinigten Staaten. Die Oper beruht auf dem Buch der Ordensschwester Helen Prejean, die bis heute eine der einflussreichsten Aktivistinnen gegen die Todesstrafe ist. Ihr Buch trägt ebenso wie der entsprechende Film von 1995 mit Sean Penn und Susan Sarandon den Titel „Dead Man Walking“; das wird in US-amerikanischen Gefängnissen gerufen, wenn ein zum Tode Verurteilter seinen letzten Weg zur Hinrichtung gehen muss.
Zum Inhalt der Oper: Joseph de Rocher ist wegen Vergewaltigung und Mord, zum Tode verurteilt. Als besonders harter Auftakt wird das Verbrechen gezeigt: Unbemerkt von einem jungen Liebespaar schleichen sich die Brüder Joseph und Anthony De Rocher heran und vergewaltigen das Mädchen. Anthony erschießt den Jungen mit einem einzigen Kopfschuss. Als das Mädchen zu schreien anfängt, greift Joseph nach einem Messer und erdolcht sie. Im Todestrakt hatte er bisher schon brieflichen Kontakt mit Sister Helen. Als der Tag seiner Hinrichtung näher rückt, bittet er sie um ein persönliches Treffen. Diese Bitte beschäftigt sie, während sie mit Kindern aus armen Familien das Kirchenlied „He will gather us around“ einstudiert. Gegen den Rat ihrer Mitschwester Rose und später des Gefängnis-Geistlichen Father Grenville (klarstimmig Fabian Christen) sowie des Direktors George Benton (prägnant Rainer Mesecke) sucht sie den Verurteilten auf. Im Todestrakt bittet Joseph sie um Unterstützung beim Begnadigungsausschuss, seiner letzten Chance. Als er seine Unschuld beteuert, erklärt ihm Helen, dass es nicht ihre Aufgabe sei, über seine Schuld zu urteilen. Während der Anhörung beim Begnadigungsausschuss in Gegenwart Helens sowie der Familien der Mordopfer fleht Josephs Mutter um Gnade für ihren Sohn. Im Gespräch mit Joseph über die Ablehnung seiner Gesuche beim Ausschuss und auch beim Gouverneur versucht Helen vergeblich, ihn davon zu überzeugen, seine Schuld zuzugeben, damit er Vergebung erlangen könne. Später gesteht Joseph gegenüber Helen doch seine Schuld ein. Unmittelbar vor der Hinrichtung bittet er die Eltern seiner Opfer um Vergebung; die Oper endet mit Josephs Tod und als versöhnliches Zeichen mit dem von Helen gesungenen „He will gather us around“, das in Braunschweig leider gestrichen ist.
Maximilian Krummen/Ekaterina Kudryavtseva
„Dead Man Walking“ ist inzwischen eine der meistgespielten neueren amerikanischen Opern; international wurde sie bis heute von mehr als 70 Opernhäusern aufgeführt. In Deutschland gab es sie nach der Dresdener Erstaufführung 2006 in Hagen, Schwerin, Bielefeld, Erfurt, Oldenburg und 2022 in Koblenz und Braunschweig. Das Orchestervorspiel besteht aus einem langsamen fugierten Motiv, das stetig an Intensität gewinnt und im weiteren Verlauf der Oper mehrfach wieder auftaucht. Typisch amerikanische Stilelemente wie Blues, Rock oder Gospel kennzeichnen die Komposition ebenso wie die differenzierte Charakterisierung der verschiedenen Personen in Ariosi und Ensembles. Auch nicht-musikalische Klänge wie das Öffnen und Schließen der Türen oder Josephs Herzschlag während der Hinrichtung verstärken die Dramatik des Stücks. Neben den sehr komplexen, teilweise allzu massigen, vielstimmigen Teilen wie beispielsweise im 1. Akt das wie ein großes Opern-Finale wirkende Sextett mit den beiden Protagonisten, den Eltern der Opfer und Chor sprechen die leiseren Szenen unmittelbar an. So tauschen Helen und Joseph in ihrem letzten Gespräch Erlebnisse mit Elvis Presley aus, wo dann natürlich auch entsprechende Zitate von dessen Songs erklingen.
Rowan Hellier/Kwonsoo Jeon
In Braunschweig gibt es kein naturalistisches Gefängnis mit Todes-Zellen, sondern die nur äußerst sparsam möblierte Bühne wird durch hohe, eher abstrakte und durch die Drehbühne veränderbare Gitter beherrscht (Ausstattung: Adriane Westerbarkey), in denen sich die à la Guantanamo gekleideten Gefangenen bewegen. Ein besonderes Licht auf die Eintönigkeit des Gefängnisalltags wirft der im Hintergrund sich fast ständig auf einem Laufband bewegende namenlose Gefangene. In der kargen Umgebung erwies sich die Kunst der Regisseurin Florentine Klepper, alle sehr glaubwürdig und nachvollziehbar agieren zu lassen. Gerade in den schon erwähnten leiseren Abschnitten zeigte sich das herausragende Vermögen des gesamten Ensembles. So fesselten die Gespräche von Sister Helen und dem Todeskandidaten Joe über die bevorstehende Hinrichtung und das von Helen immer wieder erbetene Geständnis in besonderer Weise. Mit ihrem großvolumigen, sicher durch alle Lagen geführten Mezzosopran und einer gut nachvollziehbaren Darstellung bewältigte Isabel Stüber Malagamba die große, ungemein fordernde Partie der in ihrer hoffenden Zuversicht auf Gottes allen vergebende Güte unermüdlichen Helen. Joseph war Michael Mrosek, der einen stets durchschlagskräftigen Bariton hören ließ und die Nachdenklichkeit des Todeskandidaten differenziert gestaltete.
Milda Tubelytė, eine der Braunschweiger Publikumslieblinge, zeichnete ein anrührendes Porträt von Josephs Mutter. Wie sie unerschütterlich an ihren Sohn und dessen Unschuld glaubte und dies mit ihrem schönstimmigen, kultivierten Mezzo verdeutlichte, das hatte ganz hohes Niveau. Als Sister Rose war für Jelena Bankovic die norwegische Sopranistin aus Kassel Margrethe Fredheim eingesprungen, die mit vollem, höhensicherem Sopran gefiel.
Milda Tubelyte
Jeweils ansprechend charakterisierend und sängerisch überzeugend waren Ekaterina Kudryavtseva und Maximilian Krummen sowie Rowan Hellier und Kwonsoo Jeon als die Eltern der Opfer. In weiteren kleineren Rollen ergänzten ohne Fehl neben einer ganzen Reihe von Chorsolisten Zachariah N. Kariithi als Polizist und 1. Gefängniswärter sowie Ross Coughanour als 2. Gefängniswärter.
Mit dem in allen Gruppen ausgezeichneten Staatsorchester war Braunschweigs 1. Kapellmeister Mino Marani am Pult den Sängerinnen und Sängern eine durchgehend zuverlässige Stütze. Klangvolles leisteten der Chor (Georg Menskes, Johanna Motter) und der von Mike Garling einstudierte Kinderchor.
Das tief beeindruckende Musiktheater-Erlebnis ließ auch im Publikum offenbar niemanden unberührt, was sich in begeistertem, lang anhaltendem Beifall mit Bravo-Rufen für alle Mitwirkenden zeigte.
Fotos: © Thomas M. Jauk
Gerhard Eckels 30. April 2022
Weitere Vorstellungen: 18.+25.5.2022