Braunschweig: „Die Zauberflöte“

Besuchte Vorstellung am 8. Januar 2022

Premiere am 4. Dezember 2021

Viele Fragezeichen

Nach wie vor führt Mozarts „Zauberflöte“ jede Liste der beliebtesten und meist gespielten Opern weltweit an, was neben der genialen Musik Mozarts trotz überkommener Frauenfeindlichkeit wohl an der Mischung humanistischer Ideale und tief empfundener menschlicher Gemütszustände mit den volkstümlichen Spielelementen der Hanswurst-Ebene liegt. So kann einen die Märchenoper in ihren Bann schlagen, selbst wenn man sie schon x-mal gesehen hat. Das gelingt allerdings nur, wenn die Inszenierung stimmt und auch sonst alles zusammen passt – und das war in Braunschweig leider nicht der Fall.

Zwar kann das Ende durchaus überzeugen, wenn die jungen Paare Pamina/Tamino und Papagena/Papageno die alten Systeme Sarastros und der Königin der Nacht hinter sich lassen und zuversichtlich Neues wagen. Aber der Weg dahin ist alles andere als einsichtig, weil in der Neuinszenierung der Generalintendantin Dagmar Schlingmann den vielen Rätseln im Libretto der „Zauberflöte“ noch weitere hinzugefügt werden: So sind die Anhänger Sarastros durchweg sehr alte, meist gebrechliche Männer; auch die Chordamen stecken in entsprechender Kleidung (Kostüme: Inge Medert). Die drei Knaben sind kleine Teufelchen, die die Zauber-Instrumente (die Querflöte als Leuchtschwert und das Glockenspiel als kleine Klaviatur) nur dann zureichen, wenn sie gebraucht werden. Die Drehbühne von Sabine Mader hat mit den großen, durch Treppen verbundenen Kästen, einer großen Blume und den herumliegenden überdimensionalen Pilzen so gar nichts Märchenhaftes. Auch sonst gibt es allerlei, das zum Teil witzig (Tamino fällt beim Anblick der ansehnlichen drei Damen erneut in Ohnmacht), teilweise auch nur albern (als wilde Tiere erscheinende kleine Flusskrebse und ein hässlicher Fantasievogel zur Tamino-Arie über den „Zauberton“ der Flöte, die Pizza für Pamina und Papageno) oder schlicht überflüssig ist, wie die Porträt-Videos von Sarastro und der Königin der Nacht. Warum zur zweiten Strophe der Hallen-Arie fünf Choristen der geduldig zuhörenden Pamina immer mehr auf die Pelle rückten, hat sich nicht erschlossen.

Jisang Ryu/Choristen/Ekaterina Kudryavtseva

Kommen wir zur musikalischen Seite der Repertoire-Vorstellung, die insgesamt nur als solide gewertet werden kann. Das im Ganzen zuverlässige, wie schon bei „Alcina“ allzu bläserlastige Staatsorchester brauchte unter der antreibenden und dabei präzisen Leitung von Christine Strubel einige Zeit, um sich zu finden; erst im zweiten Teil der flott musizierten Ouvertüre gelang der nötige Zusammenhalt. Woran es lag, dass der aus dem Off gesungene Schlusschor fast auseinander fiel und die beiden Solisten am Ende der Feuerprobe gesanglich reichlich ins Straucheln gerieten, konnte nicht festgestellt werden. Sonst gefielen die durchaus ausgewogenen Chöre; besonders klangschön gelang den Herren „O Isis und Osiris“ (Georg Menskes, Johanna Motter). Ob die Pamina – hier zunächst als Jugendliche in Jeans und weitem Pullover – das Richtige für die in Braunschweig beliebte Sopranistin Ekaterina Kudryavtseva ist, bezweifle ich. Die durchgehend lyrische Tessatura beherrscht sie natürlich, wie sie mit der ansprechend interpretierten g-Moll-Arie „Ach, ich fühl‘s“ bewies. Aber so manche unreinen Töne im Höhenbereich ließen zweifeln, ob sie nicht doch den rein lyrischen Partien allmählich entwachsen ist. Leider konnte sie im schönen Terzett mit Tamino und Sarastro „Soll ich dich, Teurer, nicht mehr sehn“ nicht glänzen, weil dies dem Strich zum Opfer gefallen war. Dadurch war übrigens Paminas zum Suizid-Versuch führende Verzweiflung zu wenig glaubwürdig. Der Gast aus Leipzig Patrick Vogel als Tamino hatte sich gut in die Inszenierung eingefunden, sang aber mit einer nicht immer angenehmen Lautstärke, lyrische Tongebung war seine Sache nicht.

Ekaterina Kudryavtseva/Alina Wunderlin

Jisang Ryu als Sarastro gefiel mit seinem sonoren Bass nur in den beiden Arien und den übrigen Gesangsteilen; die wie üblich stark gekürzten Sprechtexte waren für den Koreaner sehr problematisch. Als Königin der Nacht im Glitzergewand trat die junge Alina Wunderlin auf, die die extremen Spitzentöne bewundernswert sauber und wie gestochen ablieferte; im lyrischen Teil der ersten Arie „O zittre nicht, mein lieber Sohn“ blieb ihre eher kleine Stimme zu blass, was durch die schlechte Positionierung auf der Bühne noch unterstrichen wurde. Zachariah N. Kariithi machte zur berechtigten Freude des Publikums mit munterem Spiel und seinem prächtigen, flexiblen Bariton viel aus der Paraderolle des Papageno. Besonders schön erklang das Duett mit Pamina „Bei Männern, welche Liebe fühlen“, das hier die Liebe über „Mann und Weib“ hinaus verallgemeinerte. Seine Papagena war Anne Martha Schuitemaker als Gast, die wirbelig und klarstimmig positiven Eindruck hinterließ.

Milda Tubelyte/Nina-Maria Fischer/Zachariah N. Kariithi/Isabel Stüber Malagamba

Die drei ansehnlichen, heftig mit Tamino flirtenden Damen Nina-Maria Fischer, Milda Tubelytė und Isabel Stüber Malagamba, passten stimmlich recht gut zueinander, obwohl streckenweise die stimmstarke 1. Dame zu sehr dominierte. Als Sprecher und 2. Geharnischter bewährte sich Rainer Mesecke; dass er als Sprecher mathematische Formeln wie z.B. die von Pythagoras an die Tür schreiben musste, ist ihm nicht anzulasten – ein weiteres Beispiel für die Rätselhaftigkeit der Inszenierung. Fabian Christen gab sicher den Monostatos natürlich nicht als schwarzen, sondern als in der Altherrengesellschaft des Sarastro unterdrückten weißen Sklaven. Über das inakzeptable, unsaubere Singen der drei Knaben sei schnell der gnädige Mantel des Vergessens gebreitet. In kleineren Rollen bewährten sich die Chorsolisten Sungmin Kang (Erster Geharnischter), Steffen Doberauer als Priester und Peter Fontaine sowie Andreas Sebastian Mulik (zwei Sklaven).

Das Publikum spendete allen Mitwirkenden starken und lang anhaltenden Beifall.

Fotos: © Thomas M. Jauk

Gerhard Eckels 9. Januar 2022

Weitere Vorstellungen: 14.,29.1.+2.,13.,27.2.2022