Braunschweig: „Der fliegende Holländer“

Premiere am 13. Oktober 2018

Ohne Erlösung

Matthias Stier/Jaco Venter/Michael Eder

Bereits vor dem Beginn gab es im Zuschauerraum Lichtgeflacker und Donnergrollen, zu denen auch noch Regenprasseln kam, nachdem der Dirigent seinen Auftrittsapplaus erhalten hatte. Das ging eine Weile so weiter, ohne dass die Ouvertüre mit der tonmalerischen Beschreibung von „Gewitter und Sturm“ beginnen durfte. Aus dem Off hörte man noch einen kurzen, akustisch selbst in den vorderen Parkettreihen kaum verständlichen Ausschnitt aus Heinrich Heines Novelle über die Holländer-Legende, bis dann endlich die Ouvertüre bei abgedunkeltem Saal und ohne Nebengeräusche erklang. All das vorher war überhaupt nicht nötig, ja im Grunde überflüssig, weil die Musik im Folgenden alles aussagt.

Als am Schluss der etwas behäbig daher kommenden Ouvertüre der Vorhang aufging, sah man in einen größeren Raum, offenbar ein Aufenthaltsraum für Seeleute, vielleicht in einem Clubhaus des Fischereihafens. In diesem Raum spielte sich nun alles Weitere ab, die Kleidung war zeitgenössisch und berufstypisch (Ausstattung: Stephan von Wedel, Julia Burkhardt). Ca. 20 Männer stellten sich zu einer Chorprobe auf, während rechts – von allen anderen offensichtlich unbemerkt – an einem Tisch ein alter Mann saß, der in die Betrachtung eines Modells eines historischen Schiffs versunken war. Das war natürlich der Holländer, der dann bei seinem großen Monolog das Schiffsmodell in die Mitte des Raumes rückte. Die „Wer da?“-Rufe des Steuermanns und auch später das Ansingen des Chors gegen das alte Schiffsmodell als Adressat der Spötteleien gegenüber der Holländer-Mannschaft hatten geradezu komische Züge. So wurde im Laufe des Abends immer wieder deutlich, wie schwierig es ist, einen realistischen Innenraum für alle Schauplätze zu wählen; hier passte vieles nicht zum Libretto und zu den gesungenen Texten, die – wenn auch manchmal verspätet – als Übertitel mitzulesen waren. Statt an Spinnrädern waren die Frauen in groben Fischerhosen mit dem Zerlegen der gerade eingetroffenen Fische beschäftigt, was in solch einem Haus nun wirklich nichts zu suchen hat. Das Gleiche gilt für das vom Gärtner (!) Erik mit Blumenkübeln arrangierte Picknick.

Jaco Venter/Inga-Britt Andersson

In der Neuinszenierung der Operndirektorin Isabel Ostermann gab es einige weitere Unklarheiten, wie z.B. die Wendung ins Religiöse durch die Fußwaschung des Holländers durch Senta. Überhaupt blieb deren Beziehung doch reichlich unglaubwürdig: Dass Senta derart schwärmerisch veranlagt ist, dass sie diesem Holländer verfällt, blieb unklar, weil sie ausgesprochen mädchenhaft, ja sogar etwas burschikos dargestellt wurde. Auf der anderen Seite fehlte dem Holländer manches an dämonischer Faszination – er war im Grunde „nur“ ein teilweise verwirrter, alter Mann. Dagegen wurde einleuchtend verdeutlicht, wie nahe sich Senta und Erik waren, die sich offensichtlich schon lange kannten und dementsprechend vertraut miteinander umgingen. Atmosphärisch gut gelungen war im 3. Aufzug auch der Holländer-Chor aus dem Off mit Nebelschwaden und ansprechenden Lichteffekten (Katharina Möller). Zum Ende hatte sich das Inszenierungsteam eindeutig gegen Richard Wagner gewandt: Es gab keine „Erlösung“ oder „Verklärung“; die Erklärung Sentas, sie sei dem Holländer „treu bis zum Tod“, wirkte wie eine empathische Gefälligkeit der jungen Frau, damit der alte Mann endlich sterben darf. Am Schluss blickten sie aneinander gelehnt zum Erlösungsmotiv aus dem Graben in eine ungewisse Zukunft.

Von fast durchweg herausragendem Niveau war die Sängerbesetzung der erfolgreichen Premiere: Da ist zunächst die Deutsch-Schwedin Inga-Britt Andersson zu nennen, die eine ausgesprochen muntere Senta ohne die sonst so oft zu erlebende schwärmerische Melancholie war. Mit sauberer, in allen Lagen abgerundeter Stimmführung wusste sie ebenso zu begeistern wie mit ihren meist souveränen Höhen. Jaco Venter gab den Holländer entsprechend den Regie-Vorgaben als alternden, lebensmüden Mann und überzeugte in dieser Darstellung durchgehend. Der Südafrikaner verfügt über einen volltimbrierten Bariton, der trotz etwas mulmiger Tongebung in den Tiefen besonders in der Mittellage und den Höhen durch prägnante, geradezu dahin strömende Melodiebögen und der nötigen dramatischen Attacke zu gefallen wusste.

Inga-Britt Andersson/Zhenyi Hou

Neu im Braunschweiger Ensemble ist Kwonsoo Jeon, der nach einem beeindruckenden Don José open air auf dem Burgplatz nun als Erik nach anfangs etwas zu starkem Forcieren (Premierennervosität?) stimmlich differenziert zu gestalten wusste und so dann doch mit Durchschlagskraft und sehr guter Diktion überzeugte. Ein solider Daland war Michael Eder, der seinen Bass routiniert einsetzte. Wieder einmal gefiel in besonderem Maße Matthias Stier, dessen lyrischer Tenor als Steuermann (hier Hausmeister des Clubs mit vielen Um- und Aufräum-Funktionen) mit weiter entwickelter Strahlkraft aufwartete. Ebenfalls neu im Ensemble ist Zhenyi Hou, die als Mary mit frischem, charaktervollem Mezzo positiv auffiel.

Inga-Britt Andersson/Kwonsoo Jeon

Chor und Extrachor waren von Georg Menskes und Johanna Motter hörbar gut vorbereitet und entwickelten durchweg ausgewogenen und machtvollen Chorklang.

Dass die Premiere so gut gelang, lag ganz wesentlich an der musikalischen Leitung von Srba Dinić, der mit seinem präzisen, temperamentvollen Dirigat für sicheren Zusammenhalt und angemessenen Ausdruck sorgte. Das Staatsorchester war abgesehen vom etwas wackligen Anfang, als alle erst einige Zeit brauchten, zusammen zu kommen und einheitliche An- und Einsätze zu schaffen, im Ganzen dann doch von hoher Qualität in allen Gruppen. Da war der jubelnde Beifall, den das Orchester auf Betreiben des GMD auf der Bühne entgegen nehmen durfte, durchaus berechtigt und mehr als nur verdient.

Auch sonst erhielten alle Mitwirkenden und das Inszenierungsteam starken, lang anhaltenden Applaus des enthusiasmierten Premierenpublikums.

Fotos: © Bjoern Hickmann

Gerhard Eckels 14. Oktober 2018

Weitere Vorstellungen: 13.,18.25.10.+16.,25.11.+7.,20.12.2018