Premiere am 17. Januar 2020
Karge Sparsamkeit
Joska Lehtinen/Maximilian Krummen/Milda Tubelyte/Ivi Karnezi/Edna Prochnik
Um deutlich zu machen, dass „Eugen Onegin“ keine herkömmliche Oper ist, nannte Tschaikowsky seine Vertonung des Versromans von Alexander Puschkin „Lyrische Szenen“. Er wollte „…vor allen Dingen keine Könige, keine Volkstumulte, keine Götter, keine Märsche, kurz nichts von alledem, was zu den Attributen der ‚grande opéra‘ gehört. Ich suche ein intimes, aber erschütterndes Drama, welches auf dem Konflikt solcher Situationen basiert, die ich selbst durchgemacht oder gesehen habe, und welche mein Herz zu rühren imstande sind.“ Diese in einem Brief an seinen Schüler Serge Tanejew ausgeführten Gedanken scheint die Regisseurin Isabel Ostermann geradezu wörtlich genommen zu haben. Denn Kulissen, die den Namen verdienen, und opernhafte Ausstattung gibt es in ihrer Neuinszenierung überhaupt nicht. Man wurde den Eindruck nicht los, dass die Braunschweiger Operndirektorin vormachen wollte, dass man Opernaufführungen auch sparsam angehen kann. So hatte Bühnenbildner Stephan von Wedel vor einem hellen, kahlen Rundhorizont im 1. Bild, auf dem Landgut Larinas, lediglich Andeutungen aufgestellt: Ein Grabstein (Larinas Ehemann?), ein paar Klappstühle, ein kleines Zelt und dazwischen aufgehäuftes Herbstlaub, mit dem sich später Tatjana und Olga neckisch bewarfen. Und das ging so weiter mit der kargen Ausstattung, wenn in Tatjanas Namenstagsfest vom Schnürboden herabgelassene bläuliche Lampions die Szene beleuchteten; die Duellszene fand auf gänzlich leerer Bühne statt; irgendwie inkonsequent war die letzte Szene, in der sich Tatjana und Onegin vor einem golden umrahmten Eingang auseinandersetzten. Lediglich bei den historisierenden, farbenfreudigen Kostümen (Julia K. Berndt) erlaubte sich das Regieteam etwas mehr Ausstattung, wenn man auch Tatjana und Olga beim Fest im 2. Akt jeweils ein anderes Kleid als das, in dem sie im Laub gespielt haben, gewünscht hätte.
Valentin Anikin/Edna Prochnik/Ivi Karnezi/Milda Tubelyte
Die Choristen, durchweg in festliches Schwarz gekleidet, wurden meist nebeneinander hinten am Rundhorizont aufgestellt, wenn sie nicht bei besagtem Fest Walzer tanzten oder beim Fürsten Gremin mit lächerlichen Karnevalshütchen auf dem Kopf herumalberten. Nicht erkennen konnte man, dass es eigentlich Bauern nach eingebrachter Ernte oder Beeren pflückende Mädchen sind. Opernhafte Effekte gab es trotz der Bühnenkargheit dann doch, und zwar Alpträume, die Tatjana und Onegin jeweils heimsuchten, Tatjana am Morgen nach der Briefszene, wenn sie zum Chor der Mädchen anknüpfend an Filipjewnas Erzählung aus ihrer Jugend eine Trauung von Kindern ansehen musste, sowie Onegin, der zur vom Orchester gespielten Polonaise nach dem Duell den getöteten Lenski „zum Leben erweckte“ und mit ihm über die Bühne tanzte; die homoerotische Andeutung findet im Libretto keinen Anhaltspunkt.
Durch die äußerliche Kargheit kommt die Regisseurin dem angestrebten Ziel Tschaikowskys entgegen, die Beziehungen der handelnden Personen und deren Konflikte in den Vordergrund zu stellen. Auch dadurch, dass die Protagonisten oft an der Bühnenrampe standen und ihre Gedanken ins Publikum sangen, wurden die inneren Vorgänge der handelnden Personen sinnfällig verdeutlicht. Manches erschloss sich allerdings nicht so recht: Fürst Gremin hatte bereits in den ersten beiden Akten stumme Auftritte, offenbar als Larinas Verehrer; in der Duellszene stand am Anfang nicht etwa Olga, von der ja Lenski so herzzerreißend innerlich Abschied nimmt, sondern Tatjana links vorn am Bühnenrand.
Ivi Karnezi/Zhenyi Hou
Über die oft trostlose Optik half wieder einmal die Musik hinweg, und das lag auch am energiegeladenen, präzisen Dirigat von GMD Srba Dinić, der mit dem weitgehend aufmerksamen, am Premierenabend nur solide musizierenden Staatsorchester alle Facetten der vielschichtigen Partitur angemessen ausdeutete. Vom Sängerensemble ist Erfreuliches zu berichten: An erster Stelle ist Ivi Karnezi als Tatjana zu nennen, die die zurückhaltende, schwärmerische Jugendliche und später die gereifte, treue Ehefrau glaubhaft gestaltete. Sie führte ihren ausdrucksvollen Sopran sicher von den ruhigen, lyrischen Passagen bis in leidenschaftliches Forte. Maximilian Krummen gab den Onegin anfangs weniger als arroganten Schnösel, wie man es oft erlebt, sondern eher als netten harmlosen Mann aus der Nachbarschaft. Der junge Sänger mit in allen Lagen abgerundetem Bariton kam erst ganz am Ende der Oper an seine stimmlichen Grenzen, als es doch sehr dramatisch wurde. Ihm nicht anzulasten war, dass er in der Solo-Szene nach der Polonaise zeitweise wegen des zu stark aufspielenden Orchesters kaum zu hören war.
Valentin Anikin/Ivi Karnezi/Maximilian Krummen
Mit engagiertem Spiel gefiel als Lenskij Joska Lehtinen, der mit klarem, prägnantem Tenor beeindruckte. Olga war Milda Tubelytė, die einmal mehr durch munteres Spiel und kultiviertes Singen für sich einnahm. Mit starkem, an hochdramatische Partien gewohntem Mezzo füllte Edna Prochnik Larina aus. Zhenyi Hou hatte die Amme Filipjewna als gebrechliche alte Frau zu geben, was zu ihrem jungen, charaktervollen Mezzo nicht so recht passen wollte. Mit mulmiger, nicht immer intonationsreiner Führung seines voluminösen, etwas hohlen Bass wartete Valentin Anikin als Fürst Gremin auf, der im letzten Akt wegen seiner im Libretto genannten Kriegsverletzung auf den Rollstuhl angewiesen war. Die kleineren Partien waren mit Rainer Mesecke (Saretzki), Sungmin Kang (als stimmschöner Triquet) und Peter Hamon (Hauptmann) rollengerecht besetzt. Wie gewohnt entwickelte der von Georg Menskes und Johanna Motter einstudierte Chor prächtigen, ausgewogenen Klang; allerdings klapperte es ein wenig im Bauernchor des 1. Bildes.
Das Publikum im für eine Premiere nur mäßig besetzten Haus bedankte sich bei allen Mitwirkenden der Produktion mit starkem Beifall, der beim Regieteam, dass sich einige Buh-Rufe gefallen lassen musste, deutlich verhaltener war.
Fotos: © Björn Hickmann
Gerhard Eckels 18. Januar 2020
Weitere Vorstellungen: 24.1.+2.,9.,21.2.+22.,27.,29.3.+21.4.+9.,22.5.2020