Premiere am 18. Oktober 2019
Musikalischer Volltreffer
Ekaterina Kudryavtseva/Kwonsoo Jeon/Valentin Anikin/Zhenyi Hou
Die Neuinszenierung von Gounods „Faust“ war jedenfalls musikalisch ein Volltreffer. Das lag entscheidend am umsichtigen, weitgehend sängerfreundlichen Dirigat von Christopher Lichtenstein. Wie der junge 1. Kapellmeister des Hauses das am Premierenabend in allen Gruppen bestens disponierte Staatsorchester zu fein ausdifferenzierendem Musizieren brachte, für den nötigen Schwung sorgte, die schwelgerischen Passagen auskosten ließ und in den vielen Chören den großen Apparat zusammenhielt, das hatte herausragendes Niveau.
Aber eins nach dem anderen und zunächst zur Inszenierung von Markus Bothe: Sie begann etwas befremdlich, nämlich nicht in Fausts Studierzimmer, sondern im Sterbezimmer eines Krankenhauses, wo Faust den Tod sucht. Statt in den „Pokal der Ahnen“, wie es in den Obertiteln stand, träufelte er eine tödliche Überdosis in einen blauen Plastikbecher. Nun drang Mephisto gleich mit fünf teuflischen Handlangern, wie er in schwarze Anzüge gekleidet, ins Krankenzimmer ein. Im Folgenden wurden die Handlungsorte mit fahrbaren Kulissenteilen angedeutet, so dass immer deutlich blieb, dass wir im Theater waren (Bühne: Robert Schweer): Kneipe, Gretchens sparsames Zimmer, später der karge Altarraum einer Kirche, und schließlich der Gipfel der Fantasielosigkeit: Zu einem nach der Walpurgisnacht furios vom Staatsorchester dargebotenen Stück aus der sonst kaum noch in den „Faust“-Inszenierungen vorkommenden Ballettmusik wurden die Kulissenteile von der Bühne gefahren, bis sich die übrig gebliebenen Akteure einsam auf der langsam kreisenden Drehbühne bewegten, auf die ein überdimensionaler Totenkopf mit Brustkorb-Skelett blickt („Rigoletto“ aus Bregenz lässt grüßen!) – letzteres nun doch ein durchaus beeindruckendes Bild.
Kwonsoo Jeon/Valentin Anikin/Ekaterina Kudryavtseva
Außerdem waren nach dem Konzept des Inszenierungsteams die Choristen durch irgendwie zeitlose, uniformierte Kleidung, Augenmasken und blonde Perücken (Kostüme: Justina Klimczyk) sowie gleichgeschaltete Bewegungen durchgehend eine anonyme Masse, die wie Marionetten den geheimen Anweisungen Mephistos zu folgen hatte. So mussten sie zu Mephistos „Lied vom goldenen Kalb“ in krampfartige Zuckungen verfallen und sich zur zweiten Strophe heftig prügeln. Einzig Valentin, Siebel und Marthe lösten sich aus dieser Masse, indem sie ihre Maske samt Perücke ablegen durften – so recht verständlich war das alles nicht.
Valentin Anikin/Statisterie
Zur Inszenierung ist allerdings positiv festzustellen, dass die Musik im Vordergrund stand. Nach Angaben der Generalintendantin bei der Premierenfeier konnten alle Partien aus dem Braunschweiger Ensemble besetzt werden. Da ist zunächst
Kwonsoo Jeon in der Titelrolle zu nennen, der höhensicher strahlenden Tenorglanz verbreitete; er forcierte diesmal erfreulicherweise nicht, wenn man von dem hohen C in der großen Arie „Salut! Demeure chaste et pure,“ einmal absieht, das allzu sehr aus der sonst schönen Gesangslinie heraus knallte. Ein agiler, alle Fäden souverän in der Hand haltender Mephisto war der junge Russe Valentin Anikin, der einen dunklen, klangmächtigen, aber höchst apart timbrierten Bass präsentierte. Eine der Braunschweiger Publikumslieblinge, Ekaterina Kudryavtseva, gab die Marguerite und überzeugte auf der ganzen Linie: Da gab es neben der durchweg glaubhaften, anrührenden Gestaltung wunderbar schlichtes Singen im „König von Thule“, lockere Koloraturen in der „Juwelen-Arie“, dramatisches Aufbegehren in den letzten Szenen und immer eine intonationsreine Stimmführung.
Maximilian Krummen/Valentin Anikin/Chor
Maximilian Krummen als Valentin gefiel einmal mehr durch seinen warmen, aber auch prägnanten Bariton, mit dem er stets auf Linie sang. Milda Tubelytė war der in Gretchen verliebte Siebel, den die litauische Sängerin jungenhaft darzustellen wusste und die erneut durch ihren kultivierten Mezzo gefiel. Mit ebenfalls klangvollem Mezzo fiel Zhenyi Hou als Marthe positiv auf; Jisang Ryu ergänzte sicher als Wagner. Der Chor in der Einstudierung von Georg Menskes und Johanna Motter machte guten Eindruck durch Ausgewogenheit und kraftvoll auftrumpfende Klangpracht.
Das begeisterte Premierenpublikum dankte allen Beteiligten durch starken, lang anhaltenden Beifall.
Fotos: © Bettina Stoess
Gerhard Eckels 19. Oktober 2019
Weitere Vorstellungen: 5.,10.,14.,24.,29.11.+6.,19.,28.12.2019