Premiere am 1. Dezember 2018
Riesen-Erfolg
Kwonsoo Jeon/Vincenso Neri/JulianYounjin Kim/Jisang Ryu
Elf Jahre nach der spektakulären Inszenierung des damaligen Generalintendanten Wolfgang Gropper gibt es im Staatstheater nun erneut mit Puccinis „La Bohème“ eine der beliebtesten Opern überhaupt. Die im Ganzen stimmige Neuinszenierung von Ben Baur hatte im ausverkauften Haus einen Riesen-Erfolg, der sicher auch darauf beruhte, dass der ebenso für die Bühnenbilder verantwortliche junge Regisseur die traurige Geschichte erfreulicherweise so erzählte, wie sie von den Librettisten und dem Komponisten konzipiert ist. Etwas irritierend war allerdings das ansonsten durchaus stimmungsvolle erste Bild, wo sich anders als sonst alles auf der Dachterrasse und nicht in der Mansarde der Künstlerfreunde abspielte. Da wirkte es schon ulkig, als vor dem Hintergrund der Dächer von Paris in einem Eimer ein Feuerchen zum Wärmen entfacht wurde. Ebenso passte nicht zum Libretto, dass die jungen Leute und Musetta im letzten Bild in schwarzem, feinen Zwirn auftraten, als ob sie geahnt hätten, dass Mimi kommen und in der kargen Mansarde sterben würde. Da sie aber Schmuck und Collines Mantel versetzen, zeigt, dass sie das Bohème-hafte Leben noch nicht hinter sich gelassen haben. Das ist aber auch schon alles, was befremdete.
Anat Edri/Steffen Doberauer/Michael Eder/Chor
Das Inszenierungsteam hatte die Story von der Mitte ans Ende des 19. Jahrhunderts verschoben, „eine Zeit, in der bereits die Moderne und der Aufbruch dämmern. Besonders die Mode dieser Zeit bietet sich für die Bühne an.“ (so die Kostümbildnerin Julia K. Berndt im Programmheft). Im 2. Bild, eher Zirkus und Varieté als das Pariser Café Momus, gab es nun eine wahre Kostüm-Orgie, als Jongleure, Clowns, Zirkus-Bedienstete, Can-Can-Tänzerinnen, Transvestiten und am Schluss die Banda auftraten (Choreografie: Liliana Barros). Sie alle verbreiteten zusammen mit den Solisten einen derartigen Wirbel, dass man gar nicht alles mitbekommen konnte, was da geschah. Im Gegensatz dazu war das 3. Bild deutlich auf das Wesentliche reduziert: Man sah durch einen Torbogen auf eine kahle, allmählich vom Schnee bedeckte Fläche – da traten die Musik und das Geschick des Liebespaars Mimi/Rodolfo angemessen in den Mittelpunkt.
Ivi Karnezi/Kwonsoo Jeon
Was weiter am Premierenabend besonders beeindruckte, waren die kluge, die Beziehungen der Akteure gut nachvollziehbare Personenführung und die Gestaltung der unterschiedlichen Charaktere durch das weitgehend junge Sängerensemble, das auch den stimmlichen Herausforderungen mehr als nur gerecht wurde. Mit der Mimi hat sich Ivi Karnezi eine weitere Partie erarbeitet, mit der sie in jeder Beziehung zu glänzen wusste. Glaubwürdig zeichnete sie die auch zu Beginn keineswegs schüchterne Näherin nach und ließ ihren in allen Lagen abgerundeten Sopran schön aufblühen. Ihr um sie besorgter Rodolfo war Kwonsoo Jeon, der seinen kräftigen Tenor sicher einsetzte, keine Probleme mit den Höhen der Partie hatte, aber weiterhin darauf achten sollte, nicht ins Forcieren zu geraten. Mit temperamentvollem Spiel und tragfähigem, kernigem Bariton gab Vincenzo Neri ausdruckskräftig den nicht grundlos eifersüchtigen Marcello. Als passend extrovertierte Musetta trat Anat Edri auf, deren höhensicherer, intonationsreiner Sopran positiven Eindruck hinterließ. Der prägnante Bariton von Julian Younjin Kim als Schaunard passte gut zum jungen Ensemble, was in gleichem Maße für Jisang Ryu als Colline gilt, der mit seinem charakteristischen Bass seine kurze „Mantel-Arie“ treffend gestaltete. Eine gute Idee war es, den fremdgehenden Vermieter Benoit (bewährt: Michael Eder) später als geprellten Begleiter Musettas auftreten zu lassen; Steffen Doberauer (Parpignol) und Ross Coughanour (Sergeant/Zöllner) ergänzten.
Anat Edri/Jisang Ryu/JulianYounjin Kim/Ivi Karnezi/Vincenzo Neri/Kwonsoo Jeon
Trotz viel Bewegung sangen Chor (Georg Menskes/Johanna Motter) und Belcanto-Kinderchor (Mike Garling) ausgewogen und klangprächtig. Alles stand unter der souveränen, präzisen Leitung von Braunschweigs 1. Kapellmeister Iván López Reynoso, der das am Premierenabend ausgezeichnete Staatsorchester und die Akteure auf der Bühne zu schwungvollem, aber auch lyrisch zurückhaltenerem Musizieren animierte.
Stürmischer, lang anhaltender Beifall, versetzt mit Bravo-Rufen und standing ovations für alle Mitwirkenden, beendete einen insgesamt tief beeindruckenden Opernabend.
Fotos: © Björn Hickmann
Gerhard Eckels 2. Dezember 2018