Braunschweig: „La clemenza di Tito“

Premiere am 17. Februar 2018

Hohes musikalisches Niveau

Khanyiso Gwenxane

In letzter Zeit kann man Mozarts „La clemenza di Tito“ wieder häufiger hören – und das, obwohl die Opera seria doch um einiges hinter den genialen Da-Ponte-Opern zurück bleibt. Nach 1781, als „Idomeneo“, seine letzte seria vor „Tito“, uraufgeführt wurde, war Mozart kompositorisch weit über die strengen Formen der Opera seria hinaus gekommen. Aber er hatte nun einmal zur Krönung Leopolds II. zum böhmischen König eine Seria zu komponieren. Für dieses Auftragswerk griff er auf ein Jahrzehnte altes Metastasio-Libretto zurück, das ihm Caterino Mazzola „zu einer wahren Oper“ reduzierte, wie der Komponist bewundernd anmerkte. Bei ihm hieß „wahre Oper“ Psychologisierung und Subjektivierung, so dass aus den Marionetten der Opera seria Menschen mit differenziertem Charakter wurden. Und damit sind wir bei der Braunschweiger Neuinszenierung des Regie-Altmeisters Jürgen Flimm, der die vielschichtigen Charaktere des jugendlichen Hofstaates um den römischen Kaiser sorgfältig herausgearbeitet hat – und das dürfte durchaus im Sinne Mozarts sein.

Den Rahmen für die nicht durchweg glaubwürdige Handlung, in der es um Macht und Liebe sowie ihre Beziehung zueinander geht, hatte Polina Liefers nach einer Idee von George Tsypin erstellen lassen. Hinten ragt eine schmutzig-graue Betonwand mit einigen Graffitis auf, vor der zu Beginn und wieder zum Schluss eine lange Bar-Theke aufgebaut ist. Vorn gibt es scheinbar zufällig arrangierte Bilderfolgen auf drei großen beweglichen „Patchwork-Wänden“, die Gemäldeteile zeigen, auch Bibliotheken-Regale und barock verzierte Türen, gut geeignet für Auftritte und Abgänge. Warum ein großes Bett, in dem sich anfangs Vitellia und Sesto vergnügen (der „Rosenkavalier“ lässt grüßen), durchgehend auf der sonst veränderten Bühne stehen muss, hat sich nicht so recht erschlossen. Hier nun sind die durchweg jungen Akteure in moderner Kleidung (Kostüme: Stephan von Wedel) am Werk, indem sie die unterschiedlichen Beziehungen zueinander sehr gut nachvollziehbar offenlegen, ein Ergebnis spürbar sorgfältiger Personenführung des erfahrenen Regisseurs.

Milda Tubelytė/Khanyiso Gwenxane/Jelena Kordić/Ernesto Morillo

Die musikalische Verwirklichung war insgesamt von hohem Niveau, was zunächst ganz wesentlich an der souveränen Leitung des Braunschweiger GMD Srba Dinić lag. Mit dem am Premierenabend besonders gut aufgelegten Staatsorchester (tolle Soli der Holzbläser, vor allem Klarinette und Bassetthorn) erklang Mozarts meisterhafte Musik mit all ihren wundervollen Kantilenen, aber auch mit den Schroffheiten, die gerade im „Tito“, z.B. im kurzen Terzett des 1.Aktes, auffällig sind. Dabei sorgte Dinic in jeder Phase dafür, dass die Sängerinnen und Sänger Unterstützung aus dem Orchestergraben erfuhren. Die die Handlung nach vorn treibenden Rezitative verbanden sich auch mit Hilfe des versierten Cembalisten Ricardo Magnus aufs Feinste miteinander.

Das junge Sänger-Ensemble schlug sich mehr als nur achtbar: Da ist zuerst Narine Yeghiyan als Vitellia zu nennen, die schon bei ihrer ersten Bravour-Arie („Deh, se piacer mi vuoi “) Szenenapplaus erhielt. Später in der großen Arie „Non piu di fiori“ schienen die gefürchteten Höhen, die lockeren Koloraturen und vor allem die für einen Sopran unangenehmen Tiefen für die armenische Sopranistin kein Problem zu sein, was sich auch in der durchgehend intonationsreinen Stimmführung zeigte.

Sesto war Jelena Kordić anvertraut, die die innere Zerrissenheit des jungen Mannes glaubwürdig gestaltete. Ihr kräftiger Mezzo gefiel durch bruchlose Registerübergänge und sichere Höhen. Einige Nachlässigkeiten in der Intonation in der bequemen Mittellage trübten den positiven Gesamteindruck nur unwesentlich. Milda Tubelytė, die schon länger zu einem der Braunschweiger Publikumslieblinge avanciert ist, war in der kleineren Partie des Annio zu erleben. Sie wusste erneut mit ihrem ausgesprochen kultiviert geführten Mezzosopran und ebenfalls gut nachvollziehbarer Darstellung zu gefallen.

Ernesto Morillo/Jelena Kordic/Narine Yeghiyan

Gegenüber den Damen hatte es Khanyiso Gwenxane in der Titelrolle schwer; man hatte den Eindruck, dass diese Partie für den jungen Südafrikaner um einiges zu früh kommt. Sein charakteristisch gefärbter Tenor wirkte stets etwas zurückhaltend und bemüht; ein paar strahlende Momente mit tenoralem Glanz hätte man sich schon gewünscht. Mit Matthias Stier gibt es ja einen ausgemachten Mozarttenor am Hause, sodass die Besetzung des Tito mit dem sicher noch Karriere machenden Sänger schon überrascht. Die unnötige Bekleidung mit roter Richterrobe und englischer Perücke während der kaiserlichen Entscheidungsfindung ist ihm allerdings nicht anzulasten.

Bleiben noch zu erwähnen Jelena Banković als muntere und angenehm klarstimmige Servilia und Ernesto Morillo, dessen aufgerauter Bass bestens zur Partie des Publio passte.

Khanyiso Gwenxane/Jelena Kordić/Ernesto Morillo

Der Chor treibt die Handlung nicht weiter voran, sondern lobt den Kaiser und huldigt ihm; deshalb wohl stellten sich die Choristen in schwarzer Kleidung (kleines Schwarzes und Anzug) konzertmäßig auf, was am Anfang und zum Finale durchaus passte. Als sie sich aber zum Finale des 1.Akts mit ihren Notenständern einen Weg durch die während des Attentatsversuchs Getöteten suchen mussten, die auf der Bühne herumlagen, wirkte dies einfach albern. Schön ausgewogener Klang versöhnte mit der läppischen Szenerie (Choreinstudierung: Georg Menskes).

Das Premierenpublikum im gut besetzten Haus war hellauf begeistert und spendete lang anhaltenden mit Bravos gespickten Beifall.

Fotos: © Thomas M. Jauk

Gerhard Eckels 18. Februar 2017

Weitere Vorstellungen: 20.2.+2.,11.,21.3.+13.,22.4.+6.,11.5.2018