Uraufführung am 19.10.2019
Siegfried Matthus hat sich als Opern-Komponist zurückgemeldet, als nunmehr 85-Jähriger hat er nach dem Roman EFFI BRIEST von Theodor Fontane im Auftrage des Staatstheaters Cottbus eine abendfüllende Oper geschaffen, die durch die musikalische Sprache des heute leider zu selten aufgeführten Komponisten überzeugt. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass die Opern von Matthus heute unbekannt sind, Werke, die einst viel gespielt wurden und das Publikum in Ost und West beeindruckten. Ja, Matthus war der produktivste und wohl auch meistgespielte Komponist der ehemaligen DDR; gleichwohl bewies er mit der Vielseitigkeit seiner Tonsprache ebenso wie mit den Sujets, die er gestaltete, dass er ein weltläufiger, für viele künstlerische Facetten offener Musiker war und ist, der wohl in der DDR lebte und arbeitete, dessen Werke in ihrer Wirksamkeit jedoch weit über die Grenzen dieses Landes und dessen ideologische Barrieren hinausgingen. Weshalb so wirkungsstarke Werke wie DER LETZTE SCHUSS (1967 Berlin), DIE WEISE VON LIEBE UND TOD DES CORNETS CHRISTOPH RILKE (1985 Dresden), JUDITH (1985 Berlin) oder die hinreißende komische Kriminaloper(!) NOCH EINEN LÖFFEL GIFT, LIEBLING? (1972 Berlin) heute auf keinem Spielplan mehr stehen und infolgedessen nahezu unbekannt sind, ist mir völlig unverständlich und eigentlich ein echter Skandal! So reich ist die neuere und neueste deutsche Operngeschichte nicht an Werken, dass man aus Unwissenheit oder Ignoranz auf dieses Oeuvre meint verzichten zu müssen!
Nun also EFFI BRIEST – das Fontane-Jubiläum macht‘s möglich! Der Roman ist wenigstens durch zahlreiche Adaptionen auf der Leinewand bekannt – gelesen wird er heute wohl eher seltener, auch wenn Thomas Mann einst meinte, es sei das wichtigste Buch seit Goethes WAHLVERWANDTSCHAFTEN ! (Nun könnte man das Fragespiel fortsetzen: wer l i e s t heute noch Goethe oder Thomas Mann…?) Ein zu weites Feld, wie es wörtlich in Fontanes Romanvorlage heisst …!
Siegfried Matthus läßt sich den 36 Kapitel umfassenden Roman von seinem Sohn Frank in 46 Szenen aufbereiten, von denen 13 instrumentale Zwischenspiele sind, die das Geschehen nachklingen lassen oder künftiges vorbereiten. Das ist ein möglicher Weg, dem Roman sehr nahe zu kommen; ich meine, man könnte das Werk auch verstehen, wenn man den Roman nicht gelesen hat – und das ist gut so. Natürlich ist alles auf die Titelheldin konzentriert, es gibt neben ihr nur Episoden, auch das entspricht durchaus der Vorlage. Und die Musik spricht ihre eigene Sprache: Matthus beherrscht das volle Spektrum – er kann melodiös, schlicht und ergreifend, (quasi: zu Herzen gehend) schreiben ebenso, wie er mit Dissonanzen, grellen Farben und peitschenden Rhythmen aufrütteln kann.
Auch hier wieder: eine Oper, die durch ihre Musik überzeugt. Wollen wir immer noch mehr? Mir hat die Oper, ihre Musik, gefallen – übrigens auch in der Vielfalt der Instrumentation; der Einsatz der Holzbläser zum Beispiel, die dramaturgische Funktion von Englischhorn und Altflöte, die Brillanz der engen Blechsätze, die Soli der Streicher, der Harfe, nicht zuletzt der Orgel. Und ein großes, aber nie vordergründig effekt-haschendes Schlagwerk! Eine Vielfalt musikalischer Gestaltung, die einem sogar über offensichtliche „Längen“ (z. B. der Verführungsszenen mit Crampas) hinweg hilft. Bravo, Siegfried Matthus!
Die Umsetzung dieses Werkes am „auftraggebenden“ Staatstheater Cottbus war leider nicht so eindeutig, wie es die Partitur verdient gehabt hätte. Zunächst beeinträchtigte ein sehr ungünstiger Umstand das Ganze: ein wichtiger Episoden-Sänger fiel aus; sicher, es ist die „Liebeswerbung“ von Crampas nur eine Episode im Werk (übrigens auch schon bei Fontane!) – aber eben in diesem Falle eine der wichtigsten Episoden überhaupt. Wenn der Mann, der Effi zum Treuebruch überredet und damit ihre Tragödie heraufbeschwört, ausfällt, findet das Stück eigentlich nicht statt. Die mehr oder weniger charmante Umschreibung, mit der Intendant, Dr. René Serge Mund, vor Beginn der Vorstellung versuchte zu erklären, dass es ja nur eine kleine Ergänzung sei, wenn diese (wichtige!) Rolle vom indisponierten Sänger, der besetzt war nur gespielt, von einem eiligst zugezogenen anderen von der Seite gesungen werde, war in Wahrheit ein Offenbarungseid! Der dramaturgische Dreh- und Angelpunkt fand – jedenfalls für mich! – nicht statt. Das ist eine Art Improvisation, die – wenigstens bei einer UR-Aufführung! – nicht Schule machen sollte. Fairerweise sind die entsprechenden Szenen hier nicht zu beurteilen. Das ist schade.
Schade auch um die Inszenierung von Jakob Peters-Messer, die durch ihre ehrliche Grund-haltung, ihre betont auf theatralische Mittel reduzierte Erzählweise ohne jeglichen, heute meist üblichen, Show-Schnickschnack auskommt. Sie konzentriert sich auf die Menschen, die uns die Geschichte näher bringen, auf Mittel, die jeder Zuschauer versteht, sie gaukelt nichts vor – sie erzählt. Selten habe ich eine so schlüssige und sachlich überzeugende Inszenierung in den letzten Jahren gesehen. In diesen positiven Eindruck schließe ich auch ausdrücklich Guido Petzold (Bühne/Video/Licht) und Sven Bindseil (Kostüme) mit ein. Das gesamte szenische Erscheinungsbild war großartig. Bravo!
Das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus war den musikalischen Anforderungen, die Matthus an seine Musiker stellt, in hohem Maße gewachsen und wurde von Alexander Merzyn mit viel Gespür für die Feinheiten der Partitur souverän geleitet, immer getragen von dem Bemühen, das szenische Geschehen und die Deutlichkeit des Wortes zu bedienen.
Liudmila Lokaichuk, eine junge russische Sängerin, war mit der Titelpartie betraut; sie – eine der Entdeckungen, die aus Matthus‘ Gesangswettbewerb auf Schloß Rheinsberg hervor-gegangen ist – rührte dem Komponisten wohl auch die Saiten; soll heißen: für sie schrieb Matthus diese Figur in der gesamten Vielfalt und Kompliziertheit des Charakters. Die Partie erfordert eine große Souveränität und stimmliche Leichtigkeit in der Höhe, aber eben auch glaubhafte theatralische Dramatik, die kurz vor Ende in durchaus dramatische Ausbrüche mündet. Und sie erfordert die Vielseitigkeit einer Frau, die vom recht jungen Mädchen bis zur gebrochenen Mutter reicht – eine komplizierte darstellerische Aufgabe. Frau Lokaichuk meisterte die gesanglichen Anforderungen mit bewundernswertem Bemühen, blieb allerdings darstellerisch der Figur einiges schuldig. Sie vermochte, obwohl Sympathieträgerin beim Publikum, als Persönlichkeit den Abend leider nicht zu tragen. Neben ihr gibt es, siehe oben, nur Episoden.
Sehr überzeugend Andreas Jäpel als Effis Ehemann Innstetten, Carola Fischer als Effis Vertraute Roswitha, Ulrich Schneider (mit profundem Bass!) als Effis Vater Briest, etwas oberflächlich sekundiert von Gesine Forberger als dessen Frau Luise, einprägsam Nils Stäfe als Geheimrat Wüllersdorf und sympathisch in Spiel und Gesang die drei Freundinnen der jungen Effi – Debra Stanley und Rahel Brede (die Kantorentöchter Bertha und Hertha) sowie Zela Corina Calita (als Pfarrerstochter Hulda). Zahlreiche kleinere Rollen waren mit weiteren Solisten und mehrfach auch aus dem Chor besetzt. (Choreinstudierung: Christian Möbius).
Anmerken möchte ich wenigstens, dass der Dramaturg der Aufführung (Bernhard Lenort), wenn er schon die Übertitel ständig zu spät einblendete, dem Publikum bei einer instruktiveren Gestaltung des Personenzettels hätte helfen können. Die Figuren eines so reichhaltigen Romanes nur in Kurzform (Vor- oder Nachname, ohne Titel oder Figuren-Konstellation) auf dem Zettel aufzuführen, noch dazu in einer Reihenfolge, die sein Geheimnis bleibt, verwirrt mehr, als es hilft. Prompt hat auch der Rezensent einer anderen renommierten online-Zeitschrift dem Briest eine falsche Gattin unterschoben…!
Das Publikum im nahezu ausverkauftem Staatstheater nahm das Werk durchaus mit Sympathie und Interesse auf, spendete am Ende herzlichen, wenn auch nicht besonders lang anhaltenden Beifall (sieben Minuten!). Der Komponist wurde zu Recht stürmisch gefeiert.
(c) Marlies Kross
Werner P. Seiferth, 25.10.2019
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)