Hannover: „Così fan tutte“

Premiere am 19. Juni 2021

Verwirrend und überfrachtet

Hubert Zapiór/Nina van Essen

Wie überall in den Opernhäusern geht es nun ebenso in Hannover wieder los mit Live-Aufführungen, wenn auch mit erheblicher Publikumsbegrenzung – aber besser als nichts oder als Streaming, das das Live-Erlebnis einfach nicht ersetzen kann.

Beim Lesen des Besetzungszettels wurde man in der Staatsoper gleich zu Beginn stutzig, als man las, dass Cosi fan tutte in einer Fassung des Regisseurs, des Dramaturgen und des Dirigenten gegeben werde. Das zugrunde liegende Konzept konnte man jedenfalls in den ersten Szenen nur verstehen, wenn man im Programmheft gelesen hatte, dass sich die bekannten Paare Ferrando/Dorabella, die übrigens bereits ein Kind haben, Guglielmo/Fiordiligi sowie Alfonso und Despina alle seit Kindertagen kennen, was zur Ouvertüre mit Kinderfotos der handelnden sechs Personen belegt wurde. Laut Inhaltsangabe im Programmheft haben Alfonso und Despina die anderen beiden Paare „auf ein Wochenende ins Retreat ihres paartherapeuthischen Zentrums eingeladen.“ Auf der Bühne steht dann auch ein Schild mit der Überschrift „Polyamorie“. Nun wird nicht jedem Opernbesucher geläufig sein, was das ist; die häusliche Recherche ergab, dass Polyamorie, eine Wortschöpfung aus dem Anfang der 1990er-Jahre, eine Form des Liebeslebens ist, bei der eine Person mehrere Partner liebt und zu jedem einzelnen eine Liebesbeziehung pflegt, wobei diese Tatsache allen Beteiligten bekannt ist und einvernehmlich gelebt wird. Nun wurde in der ersten Szene die Wette der Männer über die mögliche Treulosigkeit der Männer im Beisein der Partnerinnen geführt, wobei im Folgenden Da Pontes Text deutlich hinderlich war; auch deshalb hatte Dramaturg Martin Mutschler die Obertitel dem Konzept angepasst und außerdem im Sinne des „Sprechs“ der heute Dreißig- bis Vierzig-Jährigen modernisiert. Dazu gehörte ebenfalls, dass die Reihenfolge der einzelnen Musik-Nummern geändert wurde. So erklang beispielsweise ziemlich am Anfang schon das Duett der Frauen „Prenderò quel brunettino“ („Ich erwähle mir den Braunen“).

Nina van Essen/Richard Walshe/Hubert Zapiór/Nikki Treurniet/Kiandra Howarth/Marco Lee

Als sich die Paare bei einem therapeutischen Experiment unerwartet in den Armen der/des anderen Liebsten wiederfanden, konnte das weitere Geschehen weitgehend entsprechend dem Libretto ablaufen, wenn auch nicht alles konsequent erschien. Zusätzlich kam es beinahe zum Gruppensex, und es ging im Sinne der Polyamorie kreuz und quer zwischen Despina und Dorabella oder später auch angedeutet zwischen Männern fast zur Sache. Dadurch, dass die Bearbeiter im Grunde ein neues, anderes Stück geschaffen haben, haben sie auch die musikalischen Schätze der Oper nicht hinreichend zur Geltung gebracht: So wurde z.B. überhaupt nicht deutlich, warum die Frauen über die Abreise ihrer Ehemänner nach dem Soldatenchor – hier übrigens vom Kind (Maki Dominguez Muniz) mit einer Spielzeug-MP gesungen und gespielt – so entsetzt waren, wie es Mozarts Musik überdeutlich sagt. Sie hätten eigentlich genauso wie die Männer, die diesen großen Abschiedsschmerz nur spielen, darüber lachen müssen. Oder das wunderschöne Terzett beim Abschied der Männer („Soavesia il vento“) verpuffte geradezu, als es ohne Obertitel zu Beginn des zweiten Teils der Oper gesungen wurde, während sich die Frauen im Therapie-Zentrum ätherische Öle auf die Körper schmierten. Sicher, im Verlauf des Stückes kapiert man schon, dass sich offenbar auch die Frauen jedenfalls anfangs darauf eingelassen haben, ihre Überzeugungen von Treue und Monogamie zu überprüfen. Sie konnten dann auch die im Libretto vorgesehene Empörung ausdrücken, als ihre Männer die jeweilig andere Frau anbaggerten.

Nikki Treurniet/Marco Lee/Hubert Zapiór/Maki Dominguez Muniz/Kiandra Howarth/ Nina van Essen/Richard Walshe

Das Konzept wurde über die geschilderten Veränderungen hinaus noch mit Erinnerungen an die eigene Kindheit überfrachtet – siehe Videos von den Kinderbildern der Paare, wo es auch schon Zuneigung zum „falschen“ Partner gab (Video: Vincent Stefan). Der Schluss schließlich war völlig überdreht, wenn neben der riesigen, begehbaren Hochzeitstorte mehrere große Teddys wie die Fotos aus den Familienalben als Hinweis auf die Kindheit der Handelnden aufgebaut waren. Vor allem gab es nun eine große Verkleidung, indem Dorabella und Ferrando (!) je ein weißes Brautkleid und auf der anderen Seite Fiordiligi und Guglielmo festlichen Smoking trugen. Dass Despina in der Giftszene als Domina und jetzt am Schluss als Elvis-Verschnitt aufzutreten hatte und Alfonso eine Bischofsmithra aufsetzte, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Was besonders in der Neuinszenierung von Martin G. Berger neben dem doch eher verkorksten Konzept auffiel, war das temporeiche Agieren aller Protagonisten, die in allen Körperlagen auch noch zu singen hatten. Das Bühnenbild mit den vielfältigen, häufig sich ändernden Lichtstangen von Sarah-Katharina Karl passte zum Ganzen ebenso wie die fantasiereichen Kostüme von Esther Bialas.

Richard Walshe/Marco Lee/Kiandra Howarth/Nikki Treurniet/Hubert Zapiór/

Nina van Essen

Wieder einmal ist anders als die szenische Verwirklichung die musikalische Gestaltung zu loben: Der junge Chefdirigent des Mailänder Kammerorchesters Michele Spotti wählte vor allem in den Ensembles teilweise rasante Tempi, wobei das Niedersächsische Staatsorchester seiner deutlichen Zeichengebung sicher folgte und was zum Aktionismus auf der Bühne durchaus passte. Das auffallend junge, internationale Ensemble bot durchweg ansprechende Leistungen: Da ist zunächst als Dorabella die Niederländerin Nina van Essen zu nennen, die mit ihrem hellen, sehr flexiblen Mezzo begeisterte; in der Arie „Smanie implacabile“ („Unerbittliche Qual“) konnte sie geradezu dramatisch auftrumpfen. Ihre Bühnenschwester war die Australierin Kiandra Howarth, deren fülliger Sopran sich in der Bravour-Arie „Come Scoglio“ und auch später in den Szenen, in denen sich die gefühlsintensive Fiordiligi in großem Liebes-Widerstreit befindet, als besonders ausdrucksstark erwies. Der Koreaner Marco Lee ließ einen schön ausgeglichenen Mozart-Tenor hören, den er als Ferrando wirkungsvoll einzusetzen wusste. Der polnische Bariton Hubert Zapiór gab dem letztlich mit allem unzufriedenen, allerdings stets selbstverliebten Guglielmo angemessene Gestalt, wozu seine markante, sicher durch alle Lagen geführte Stimme verlässlich beitrug. Es bleiben als ausgesprochen lebhafte Despina Nikki Treurniet aus den Niederlanden, die mit blitzsauberen, gestochenen Koloraturen für sich einnahm, und als Organisator des turbulenten Liebesreigens Don Alfonso, den der Brite Richard Walshe mit manchmal etwas zurückhaltenden Bassbariton gab. Ausgewogen klangen die wenigen eingespielten Chorszenen (Einstudierung: Lorenzo Da Rio).

Das Publikum spendete allen Beteiligten freudigen Beifall, der beim Erscheinen des Regieteams deutlich verhaltener ausfiel.

Fotos: © Sandra Then

Gerhard Eckels 20. Juni 2021

Weitere Vorstellungen: 23.,27.,29.6.+3.,11.,14.,16.7.2021