Hannover: „Tristan und Isolde“

Premiere am 16. September 2018

Musikalisch großartig

Robert Künzli / Kelly God

Nachdem vor einer Woche die Vorstellung wegen des Ausfalls beider Isolden abgesagt werden musste, konnte man jetzt einen musikalisch insgesamt großartigen Abend erleben. Das lag in erster Linie an der musikalischen Leitung von Will Humburg, der das Niedersächsische Staatsorchester mit seinem überaus temperamentvollen Dirigat zu Höchstleistungen in allen Gruppen animierte. Wie er eine Fülle von Einzelheiten herausarbeitete, die man sonst nicht immer hört, und dabei den typischen „Tristan“-Gesamtklang mit seiner streckenweise geradezu berauschenden Wirkung erzielte, das hatte herausragendes Format. Natürlich trug zu dem Erfolg auch das hannoversche Opernensemble bei, aus dem alle Partien ohne Zuhilfenahme von Gästen besetzt werden konnte. Eine im Auftritt oft hoheitsvolle Isolde war Kelly God, deren strahlkräftiger Sopran sich kontinuierlich zu einem echten dramatischen Sopran entwickelt hat. Mit technisch gut fundierter Stimmführung beherrschte sie die vielschichtige Partie – und es waren nicht nur die bombensicheren Höhen und die Intonationsreinheit, die imponierten, sondern auch die Zurücknahme in den zarteren, lyrischen Passagen (Beginn des „Liebestods“, „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ und „So stürben wir nun ungetrennt“). An den letzteren Stellen gab es eine schöne Übereinstimmung mit dem Heldentenor des Hauses Robert Künzli als Tristan, der die kräftezehrende Rolle sicher beherrschte. Auch im 3. Aufzug bei den mörderischen Ausbrüchen im Fieberwahn konnte man die nie nachlassende Kraft des Sängers bewundern, obwohl es dem sonst so aufmerksamen Dirigenten nicht durchweg gelang, das Orchester genügend zurückzunehmen.

Kelly God/Khutuna Mikaberidze

Eine Brangäne der Sonderklasse war Khatuna Mikaberidze, deren in allen Lagen abgerundeter, volltimbrierte Mezzo tief beeindruckte. Mit der nötigen Ruhe und dem erforderlichen „langen Atem“ präsentierte sie die Wachrufe im 2. Aufzug. Mit starkem Ausdruck und ebenfalls ruhig ausgesungenen Melodiebögen füllte Tobias Schabel die Partie des Königs Marke aus. Uneinheitlich geriet die Stimmführung von Stefan Adam, dessen heller Bariton allzu eindimensional klang und der Kurwenals empathische Hinwendung zu Tristan stimmlich nur ansatzweise auszudrücken vermochte. Mit kräftigem und klarem Tenor sang Simon Bode das Lied des jungen Seemanns; solide waren in den kleineren Rollen Byung Kweon Jun (Melot), Gihoon Kim (Steuermann) und Edward Mout (Hirt). Seine wenigen Aufgaben erfüllte der Herrenchor (Lorenzo Da Rio) ausgesprochen klangprächtig.

Robert Künzli/Tobias Schager

Und die Regie? Zunächst einmal ist positiv festzustellen, dass der erfahrene Regisseur Stephen Langridge nicht gegen die Musik inszeniert hat – und das ist heute leider nicht selbstverständlich. Conor Murphy, verantwortlich für Bühne und Kostüm, hatte als Umgebung für eines der berühmtesten Liebespaare der Kulturgeschichte eher abstrakte Installationen als Bühnenbilder erstellt, in denen meist eine kalte, sterile Atmosphäre vorherrschte. Da halfen auch die großen, den Bühnenraum nach hinten begrenzenden, farblich changierenden Lamellen wenig (Licht: Susanne Reinhardt). In allen Aufzügen waren drei unterschiedlich arrangierte Elemente zu sehen, ein kleines ovales Podest, eine große Röhre und eine Brücke. Zusätzlich hatte sich das Inszenierungsteam für die Verwendung des Butoh-Tanzes entschieden, als laut Programmheft „eine Art Dämmerebene, die asymmetrische Bilder von Sehnsucht und Leiden erzeugt“. Butoh-Tanz, laut Wikipedia eigentlich: Ankoku Butō („Tanz der Finsternis“), ist ein Tanztheater ohne feste Form, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan entstand. In der Choreografie von Tadashi Endo traten nun dieser und Nora Otte fast nackt und gänzlich weiß geschminkt im Verlauf des Abends immer wieder auf, auch während des Vorspiels und vor allem im 3. Aufzug, hier wohl als eine Art alter ego von Tristan und Isolde – richtig erkennbar war das nicht. Dabei bewegten sie sich in extrem verlangsamtem Zeitlupentempo und mit befremdlichen Verrenkungen; so liegt der männliche Tänzer zeitweise in Tristans Krankenbett, was diesem die Möglichkeit gibt, sich voll auf die schwierigen Passagen im Fieberwahn zu konzentrieren. Die Verbindung des handlungsarmen Geschehens mit Butoh-Tanz ist sicher Geschmacksache, ich fand sie überflüssig und manchmal sogar störend.

Stefan Adam/Kelly God/Robert Künzli/Tadashi Endo

Nun noch zur Personenführung, deren Qualität sehr unterschiedlich war: Im 1. Aufzug gestalteten sich die Gespräche zwischen Isolde und Brangäne wohl auch wegen der großen Ausdruckskraft der beiden Sängerinnen geradezu spannend; da waren außerdem die Übertitel hilfreich. Der 2. Aufzug begann damit, dass König Marke Isolde zu einem auf dem Podest stehenden Bett führte, das zum Glück vom Liebespaar nicht gemeinsam genutzt wurde, und sich mit Handkuss verabschiedete. Sonst war dem Regisseur nicht viel eingefallen, außer dass sich die beiden Protagonisten weiße Schminke auf Wangen und Unterarme schmierten und sich schließlich Mantel, bzw. Kleid der/des anderen überzogen. Im 3. Aufzug steht das Butoh-Tanzpaar auf der mit wahllos herum liegendem Krankenhaus-Mobiliar zugemüllten Bühne fast zu sehr im Vordergrund; der Schluss ist dann versöhnlich, indem alle zum Ende vom wunderbar gesungenen „Liebestod“ als Schattenrisse stehenbleiben und so das Weitere offen bleibt.

Das Publikum im höchstens zu 2/3 besetzten Haus bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit starkem Applaus und Bravo-Rufen.

Fotos: © Thomas M. Jauk

Gerhard Eckels 8. Oktober 2018

Nächste Vorstellungen: 21.,28.10.+2.,22.12.2018