Nürnberg: „Pimpinone“ / „Herzog Blaubarts Burg“

Premiere: 9.6. 2021

„Nun haben wir, wonach man brennt: das Happy, Happy, Happy, Happy Ende.“ So steht‘s geschrieben am Balkon des Nürnberger Opernhauses – das lieto fine, das wir am Ende des ersten Opernabends nach Schließung de Hauses erleben, ist ein doppeldeutiges. Paul Abrahams „Märchen im Grand Hotel“, dem Dramaturgie und Intendanz das Motto des Monats entnahmen (die schrecklichen präsenzopernlosen 7 Monate haben endlich ein Ende!), wird morgen seine öffentliche Nürnberger Premiere haben, am ersten Tag aber stehen zwei Stücke auf dem Programm, deren Glück in der Güte der Werke, weniger in dem der Protagonisten bestehen.

Telemanns dramaturgisch und musikalisch entzückend leichtfüßigen „Pimpinone“ mit Bartóks „Blaubart“ zu koppeln ist vermutlich nur dem ein Problem, der davon ausgeht, dass Bartók nur zusammen mit Bartók einen Sinn ergibt. Man kann seine einzige Oper also mit dem Konzert für Orchester verbinden (so geschehen in der letzten Münchner Inszenierung) oder mit den 4 Orchesterstücken op. 12 und der „Cantata profana“ (wir haben‘s 2008 in Salzburg erlebt). Man kann den Einakter jedoch auch mit scheinbar Fremdem zusammenhören; Calixto Bieito vermählte den Herzog an der Komischen Oper Berlin mit „Gianni Schicchi“. Ihn mit „Pimpinone“ zu vereinigen ist jedoch schon auf den ersten Blick sehr sinnvoll: auf die Komödie vom alten Deppen und der jungen Frau folgt die Tragödie des älteren Mannes mit der anderen jungen Frau. Doch ist „Pimpinone“ wirklich eine Komödie? Oder nicht auch eine Tragödie, weil in jeder guten Komödie – zumindest in deutschen Landen – ein Trauerspiel zu stecken pflegt? Der Regisseurin Ilaria Lanzino gelang es, aus dem heiteren Intermezzo um die kluge, ja verschlagene Magd und den reichen, dummen Mann ein Kapital zu schlagen, das vom blutigen Gold des „Blaubart“ nicht weit entfernt ist – nur, dass die Konstellation hier noch zugunsten der Frau ins Burleske umzuschlagen vermag. Vespetta, dieses schlaue „Wespchen“, summt und rollt buchstäblich ins Leben Pimpinones hinein. Der, angestachelt von der TV-Werbung, möchte sein frauenloses Leben durch eine Haushaltshilfe erleichtern, die, so die These, nur als Arbeitsmaschine, also als weiblicher und nicht widersprechender Roboter, die Interessen des Mannes zu befriedigen vermag.

So wird das barocke Maschinenwesen, ein Männertraum in Gold, ein „Weib“ mit leuchtenden Brustwarzen, ins Haus geliefert – und emanzipiert sich alsbald vom Mann, der Herr und Meister sein will, aber schon bald an den Tücken einer sich selbst entwickelnden KI scheitert. Pimpinones „realitätsferne Vorstellung von einer Beziehung“ rechnet nicht mit der Eigenständigkeit eines Wesens, das sich von der Puppe zur Autonomen entwickelt. Die „wilde Hummel“ entschnürt sich, schickt ihn dorthin zurück, wo sie einst herkam und lässt ihn verstummen. So nimmt sie Rache am jahrtausendealten Patriarchat. Das Lachen ist, auch wenn Pimpinone im Hummel-Duett zusammen mit der Widerspenstigen ein Lach-Duo anstimmt, auf ihrer Seite – doch nach dem Preis wird nicht gefragt. It‘s just a comedy – mit tiefem Sinn.

Am Ende des „Blaubart“ wird nach eben diesem Preis gefragt. Wenn Judith, nicht schnell, aber deutlich genug, den Mann verlässt, der sich als beziehungsunfähig erwies, weint auch sie die Tränen, die in der sechsten Kammer verschlossen sind. Die drei Frauen, schwer verletzte Opfer des Mannes, haben sich schon vorher befreit, indem sie einfach gingen. Die Tragödie beginnt nicht mit Béla Balász‘ Prolog, sondern mit einem Gedicht von Else Lasker-Schüler: „Du hast ein dunkles Lied mit meinem Blut geschrieben…“ Balász‘ Text hat viel mit jenem Blut zu tun, das im zweiten Teil des Abends nicht allein in der Musik fließt. Lanzino inszenierte den „Seelenmythos“ (so der Librettist über sein Werk), in dem die Burg und ihre Kammern pure Gebäude einer verschlossenen Innerlichkeit sind. Betreten Judith und der Herzog den Raum, so betreten sie – getrennt – zwei gleichgebaute Schlafzimmer: nur, dass bei Blaubart ein warmes Licht den Raum erhellt und bei Judith das kalte Licht die blutigen Flecken an den grauen Wänden offenbart. Man weiß schon, wie es ausgeht, wenn Blaubart alle persönlichen Gegenstände, die sie in die Ehe mitbringt, beseitigt. Räumlich getrennt, sind sie doch verbunden: v.a. durch die Gewalt; agiert Blaubart links, so reagiert Judith rechts, als stünde er im Raum. Folter- und Waffenkammer: es sind Schläge und ein brutaler Geschlechtsverkehr. Schatzkammer und Garten: es ist ein Schmuckstück und eine Schwangerschaft – aber das Blut klebt am Hals wie auf dem Bauch. Wird endlich die Trennwand zwischen Mann und Frau beseitigt, hören wir also die grandiose – und erschütternde – Musik von Blaubarts Land, erscheint für einen kurzen Moment die Utopie einer Öffnung. Der Rest ist eine Befreiung, die keine sein kann: Judith geht, auch dieser Preis ist hoch, der Mann bleibt in seiner Finsternis zurück: ein Opfer seiner Psyche, aber auch ein Gewalttäter an den Frauen, deren Liebe er verriet.

So findet die Regie eine gerechte Sicht auf das Blaubart-Problem, das weder im Sinne einer bloßen Anklage noch einer billigen Entschuldigung erledigt werden kann. So betrachtet, sind Pimpinone und Blaubart durchaus vergleichbare Typen in diesen beiden Ehekriegen – und die eigensinnige Vespetta und die fragende Judith Schwestern im Geist. Es ist schließlich kein Zufall, dass im alten Stück Thonet-Stühle von 1900 eingesetzt werden und im neuen Stück von 1900 Stühle im Rokoko-Stil zu sehen sind: eine schöne Idee der Kostüm- und Bühnenbildnerin Emine Güner, die zwei starke, aufs Wesentliche reduzierte Bühnenräume entwarf. Die Hauptsache aber sind die Sänger: Maria Ladurner und Hans Gröning bieten uns, schneidig begleitet vom Kammerorchester des Staatstheaters Nürnberg unter Andreas Paetzold, eine Menage á deux, die sich vokal und szenisch gewaschen hat. Sie ist lustig wie Offenbachs Olympia – und er ist ein dicker Depp, dessen Stimme weniger Fett als Kraft angesetzt hat. Je länger das Gebalge dauert, desto brillanter werden die beiden Protagonisten: auch stimmlich. Großer Beifall für eine kurzweilige Komödie – und ein längerer für den von Guido Johannes Rumdtadt dirigierten „Blaubart“ (in der Kammerfasssung des einstigen Nürnberger GMD Eberhard Kloke).

Denn Jochen Kupfer und Almerija Delic sind zusammen eine bewegende Idealbesetzung für die beiden Partien: sie, weil ihr dramatischer Sopran der Judith eine Eigenständigkeit verleiht, die noch in der Angst eine enorme Kraft enthüllt, und er, weil sein vornehmer Bariton die Verwundbarkeit dieses verwundenden (und blendenden) Mannes vollkommen zeigt. Kupfer hat mit dieser Partie sein Register – nach Onegin, Wolfram, Kurwenal, Orest, dem Beckmesser, Mandryka, Gunther, Wozzeck und Stolzius – um eine weitere bedeutende Rolle erweitert – und Delic von Neuem gezeigt, wie sehr sie ergreifende Figuren ergreifend und ganzheitlich zu gestalten vermag. Fassen wir zusammen: Vor der möglichen platten politischen Korrektheit der Interpretation des „Blaubart“-Finales rettet die Musik, so wie die Umwandlung der „an sich“ problematischen Deutung der Roboterin Vespetta in eine selbstbewusste Frau: und dies nicht zuletzt dank des exzellenten Sänger-und Schauspieler-Quartetts.

Vielleicht muss man sich also bei Corona auch dafür bedanken, dass es hervorragende Zwei-Personenstücke möglich machte, die vordem nicht einmal angedacht waren.

Frank Piontek, 10.6. 2021

Foto: ©Ludwig Olah