Nürnberg, Konzert: „Eroica“, unter Joana Mallwitz

Die Dirigentin nennt es „eines der rätselhaftesten Werke, die Ludwig van Beethoven jemals komponiert hat“.

© Staatstheater Nürnberg

Kein Zweifel: Eine Symphonie, über die schon manch auch dickleibiges Buch erschien, ist ein Rätselwerk, doch in den zwei Stunden, die dem ersten Aussagesatz folgen, wird Joana Mallwitz zusammen mit der Nürnberger Staatsphilharmonie einige Geheimnisse lichten. Also die „Eroica“, ein Stück, das sich für die Gattung „Expeditionskonzert“ ideal eignet. Mit dem letzten dieser Art, das die noch gerade amtierende Nürnberger GMD im ausverkauften Opernhaus am Ostersonntagvormittag ins Haus bringt, kann sie verbal und zugleich musikalisch zeigen, was in der Dritten Symphonie so alles drinsteckt.

© Staatstheater Nürnberg

Die Rätsel fangen ja schon mit der Entstehungszeit an; ob das Werk schon 1798/99 in einer ersten Fassung oder erst 1802/03 vorlag, scheint so strittig wie die berühmte Frage, welchem „Helden“ er denn die „Heroische“ gewidmet habe. Joana Mallwitz erzählt die berühmte – und vermutlich teilweise erfundene und mystifizierte Widmungsgeschichte, sie erläutert die Zusammenhänge zwischen der Zeit, dem „Helden“ (hiesse er nun Buonaparte, Bernadotte oder Prinz Louis Ferdinand), sie bleibt nicht beim Biographischen stehen, wenn sie historische Vermutungen mit den besonderen Strukturen dieser sehr besonderen, die Musikgeschichte revolutionierenden Symphonie zusammenbringt. Sie schafft es, in nur einer Stunde noch dem von der Beethoven-Geschichte unbelecktesten – oder verwirrtesten – Konzertbesucher etwas von der Ideen- und Kompositionsgeschichte mitzuteilen, die diese Symphonie so wichtig und ergreifend macht. „Das Wesentliche“, sagt sie, „passiert zwischen den Themen, in den Überleitungen“; das Wesentliche, so lernen wir, passiert aber eigentlich immerzu: nicht allein zwischen dem jeweils ersten Erscheinen der drei (!) Hauptthemen des Kopfsatzes.

Sie sensibilisiert die Hörer für Tonartenwechsel und die Dialektik, die, vermittelt durch das g, zwischen dem scheinbar extrem entfernten e-Moll und Es-Dur herrscht, sie weist auf Wagners Verschlimmbesseung des berühmten, von den Zeitgenossen und Nachlebenden als falsch aufgefassten Dominantseptakkords im ersten Satz hin. All das macht sie mit einem pädagogischen Eros, der aus Formanylysen Erkundungstouren in Gebiete macht, die „man“ ja „kennt“ – und die einem nur eine Kennerin wie Joana Mallwitz nahebringen kann. Sie zitiert den Diruigenten Felix von Weingartner („Niemals wurde eine furchtbarere Katastrophe mit einfacheren Mitteln gespielt“) – und wenn wir dann die Stelle im Trauermarsch hören, sind wir noch erschütterter, als wir‘s eh schon wären.

So verbinden sich Didaktik und Musikalität auf eine Weise, die die Hörer weder über- noch unterfordert. Natürlich bringt die Dirigentin schliesslich auch die Prometheus-Thematik ins Spiel des Finales, entwirft eine Theorie zum „Gehalt“ der vier Sätze (der dritte könnte aufgrund seines initialen Strudels, dem sich erst im 92. Takt die Tonart Es-Dur enthüllt, die „Auferstehung“ des vorher gestorbenen und betrauerten Menschheitsbeglückers – hiesse er nun Napoleon oder Prometheus – ausmalen) – und kommt schliesslich darauf, dass im Parnass des unvergleichlichen Variationssatzes, der doch nicht ganz oder doch nicht allein Variationssatz ist, kein Heros, sondern die Ideen der Menschlichkeit gefeiert werden. Oder anders: „Die Symphonie selbst ist der Held.“

Das ist nun eine These, die zwar nicht beweisbar, aber angesichts der aussergewöhnlichen Güte und Modernität der Symphonie kaum abweisbar ist. Das Nürnberger Staatsorchester belegt sie spielend, indem die Symphonie in 45 Minuten, also genauso lang bzw. schnell wie unter Weingartner, als Drama vor uns abrollt: heftig bewegt, aber nicht über die Klippen hinweg musiziert. Mallwitz deutet sie mit einer artikulatorischen Klar- und Forschheit, die auch ohne historisch informierte Spielweise zwischen dem revolutionären Gestern des Ludwig van Beethoven und den Verwerfungen der Gegenwart bezwingend vermiiutelt. Hörbar wird zumal die Trauer über eine Zeit, die Helden nötig hat, wie Brecht gesagt hätte; im Finale stehen sich der bewegende Choral und die herzhaft musizierte Csárdás diametral und ergänzend entgegen. Am Ende feiert das Publikum das Ensemble wie die Solisten, die von Beethoven – wie kaum jemals zuvor in der Geschichte der Gattung Symphonie – anspruchsvolle Aufgaben geschenkt bekamen. Man höre nur auf die Solo-Oboe, die Solo-Flöte, die Klarinette (den Csárdás befeuernd!), die drei Hörner. Auch von ihnen werden die Rätsel, die das Werk zweifellos umgeben, so gebracht, dass letzte Fragen über den „Sinn“ dieser Musik erst gar nicht gestellt werden müssen. Der Rest ist (reizvolle) Historie – und jubelnder Beifall für eine packende Aufführung und Erläuterung der Eroica.

Frank Piontek, 10. April 2023


Nürnberg

Opernhaus

Beethoven  3. Sinfonie in Es Dur op. 55

„Eroica“

Dirigat: Joana Mallwitz

Staatsphilharmonie Nürnberg