Nürnberg: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2022/23“

Nein, ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen. Heute blicken wir nach dem Stadttheater Bremerhaven auf das Staatstheater Nürnberg.


Beste Produktion:
Die Frau ohne Schatten“ : Ein gigantischer Leckerbissen für alle Musikfreunde, die gern analytisch hören und sich gleichzeitig vom Strom der Musik fortreißen lassen wollen – wozu nicht zuletzt die scheinbare Kargheit einer Bühne verhilft, die, unspektakulär und doch interessierend, aufs Wesentliche setzt: den singenden, die Probleme menschlich darstellenden Menschen.

Entdeckung des Jahres:
Corinna Scheurle mit ihrem schönen, im Dunklen betörenden und im Hellen erfreuenden Mezzo in der Titelpartie von „La Cenerentola“ und als quicklebendiger Cherubino in „Le nozze di Figaro

Beste Gesangsleistung (Hauptpartie, Ensemble):
Andromahi Raptis als Susanna in „Le nozze di Figaro

Beste Gesangsleistung (Hauptpartie, Gastsänger):
Melanie Hirsch, die als Einspringerin die Titelpartie in „Talestri, Königin der Amazonen“ mit Verve und Sicherheit sang und so mit voller Frauenpower die Vorstellung rettete.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Chloe Morgan als Nanetta in „Falstaff“: herzerfrischend, vokal sehr klar und in ihren Liebes-Encores mit Sergei Nikolaevs Fenton lyrisch ergreifend.
Nicolay Karnolskys echt karnolskyhafter Auftritt in „Turing“ als typisch rauhbeiniger Churchill.

Nachwuchssänger des Jahres:
Corinna Scheurle (siehe: Entdeckung des Jahres)

Bestes Dirigat:
Joana Mallwitz, welche die Wunderpartitur von „Die Frau ohne Schatten“ mit allem Glanz und allem Pomp, allem tief berührenden Sentiment und aller ausgepichten Moderne souverän und sehr durchhörbar zum Leben erweckte.

Beste Regie:
Andreas Kriegenburg, der mit „Die Großherzogin von Gerolstein“ eine pfiffige Neuinszenierung präsentierte, die sich nicht ernster nahm als Offenbach, Meilhac und Halévy ihre Figuren – und begreifbar machte, warum sie immer noch mit uns selbst zu tun haben könnten.

Bestes Bühnenbild:
Marie Roth für „Vendetta, Vendetta

Größtes Ärgernis:
Die Sichtachsen im Opernhaus.


Die Bilanz zog Frank Piontek (Redaktion: Michael Demel).