Wiesbaden: „Die Fledermaus“, Johann Strauß

Bericht von der Premiere am 16. September 2016

Wiener Operette als zotiger RTL-Comedy-Trash

Wenn sich zur Ouvertüre der Vorhang hebt, ist auf der Bühne ein großer, gerahmter Flachbildschirm zu sehen. Darauf läuft als Videoproduktion die Vorgeschichte der „Fledermaus“ ab, wie Regisseurin Gabriele Rech sie sieht. Ein dicklicher Kerl mit Schwabbelbauch erwacht im Batman-Kostüm im Wiesbadener Kurpark, ist offensichtlich verkatert und orientierungslos, schwankt durch Wiesbaden, kotzt in einen Brunnen, begegnet im Bus dem ZDF-Comedian Lutz van der Horst, um auch diesem vor die Schuhe zu kotzen. Daß dazu Wiener Walzer gespielt wird, ist egal. Bewegungen und Schnittrhythmus des Films scheren sich nicht um die Musik. So geht es den gesamten Abend weiter. Es handelt sich um eine unfaßbar unmusikalische Inszenierung auf dem Niveau eines RTL-Comedy-Programms. Wer Mario Barth zum Brüllen komisch findet, wird auf seine Kosten kommen.

Dabei hätte man aus der Grundidee der Regie durchaus Funken schlagen können: Aus der Wiener Vorstadt zur Zeit des späten 19. Jahrhunderts wird die Szene in die Gegenwart verlegt. Statt eines Gründerzeitsalons im ersten Akt sieht man ein modernes Wohnzimmer, bei dem man sich aber fragt, warum die angeblich wohlhabenden Besitzer es mit Billig-Möbeln vom Discounter eingerichtet haben. Die Party des Prinzen Orlofsky im zweiten Akt spielt in einer Art Club, wie man ihn sich in der Provinz als verrucht vorstellt. Männer tragen Stöckelschuhe und irgendeinen schwarzen Fummel, den man wohl günstig aus dem Fundus des DDR-Fernsehballets erstanden hat. Dazu gibt es eine Art permanentes Disco-Gehampel, dem der Rhythmus der Musik sonstwo vorbeigeht. Einen kleinen Lichtblick bietet immerhin eine Choreografie zur einmontierten Tritsch-Tratsch-Polka, die durchaus mit einem Männerballet der Mainzer Fernsehfastnacht mithalten kann. Es spricht Bände, daß man dieses harmlose, leidlich synchrone kollektive Hüpfen und rhythmische Schreiten zur Musik als Oase in einer unambitionierten Trashwüste empfindet. Der Schlußakt spielt dann wieder im Wohnzimmer vom Beginn, dessen Möbel aber übel zugerichtet wurden, an dessen hinterem Rand nun eine Kraterspalte klafft und in dem leergesoffene Sektflaschen herumstehen. Darin spielt sich dann die Gefängnisszene ab, warum auch immer.

Die Verlegung in die Gegenwart ist im Sprechtext mit wenigen Aktualisierungen mehr schlecht als recht nachvollzogen worden. Sie sind punktuell, mäßig originell, meist platt kalauernd und werden von den angestaubten Originaltexten, in die sie eher zufällig und ohne Linie hineingeworfen wurden, mühelos deklassiert. Der Wortwitz zündet vor allem im Original. Es bringt keinen Mehrwert, daß anstatt von einer „Uhr“ nun von einer „iWatch“ die Rede ist. Inkonsequent ist es auch, wenn im Sprechtext das Stubenmädchen Adele als „Putze“ bezeichnet wird, gleich anschließend im Gesang aber wieder von einer „Zofe“ die Rede ist.

Vor allem aber fehlt der Inszenierung eine Haltung. Ihr roter Faden scheint zu sein: Jeder macht irgendwie mit jedem rum. Es wird gegrapscht und gefummelt, was das Zeug hält. Von Erotik aber fehlt jede Spur. Selbst die omnipräsente, aufdringliche Zotigkeit ist mau. Die Bilder haben keine Atmosphäre, schon gar keine mondäne oder verruchte.

Und dann ist da noch Lutz van der Horst als Frosch. Erstaunlicher Weise wirkt er in diesem Laien-Stehgreiftheater wie der einzige Schauspielprofi. Seine Präsenz im zweiten Akt ist unaufdringlich, an der Tritsch-Tratsch-Choreografie wirkt er mit Schwimmflossen und stoischer Buster-Keaton-Miene mit. Den Frosch-Monolog zur Eröffnung des Schlußaktes hat er umgeschrieben. Nicht ungeschickt thematisiert er die Frosch-Klischees, um sie ausdrücklich zu unterlaufen. Dann aber folgt im Plauderton bloß ein wenig heitere Kulturkritik. Recht brav das Ganze.

Gesungen wird passabel bis gut, aber das kann den Abend auch nicht retten. Wenn eine Operette zünden soll, müssen Sprechtexte und Gesang organisch verknüpft werden. Hier aber erlebt man überwiegend eine Art Wiener Wunschkonzert mit dazwischengestreutem Rumgehampel. Schade ist es um Gloria Rehms Adele, die für diese koloraturgesättigte Soubrettenpartie die idealen stimmlichen Voraussetzungen mitbringt. Schade auch um die Rosalinde der Netta Or. Den heiklen Czardas bewältigt sie samt Spitzenton am Schluß sehr achtbar. Aaron Cawley läßt als Alfred eine starke Neigung zum Heldenfach erkennen. Romina Boscolo gibt dem Prinzen Orlofsky mit gutural-verrauchter Stimme einen interessanten, durchaus passend androgynen Touch. Peter Bording als Eisenstein, Stephanos Tsirakoglou als Gefängnisdirektor Frank und Benjamin Russell als Falke sind rollendeckende Besetzungen. Zusammen mit dem engagierten, durchaus differenzierten und flexiblen Dirigat von Michael Helmrath zeigen sie alle, was aus diesem Abend hätte werden können, wenn die Regie ihn nicht so konsequent in den Sand gesetzt hätte. Schade eigentlich.

Michael Demel, 25. September 2016

Bilder: Karl und Monika Forster