Wuppertal, Konzert: „Beethoven, Zemlinsky“, Patrick Hahn feat. Arabella Steinbacher

Das Violinkonzert von Beethoven aus dem Jahre 1806 wurde zunächst vom Publikum nicht enthusiastisch aufgenommen. Angeblich hatte der Geiger Franz Clement die Noten erst 48 Stunden vorher erhalten und es zur Uraufführung 1806 quasi prima vista vom Blatt gespielt. Trotz Überarbeitung Beethovens schätzte es das Publikum erst, nachdem der große Geiger Josef Joachim es 1844 als Zwölfjähriger unter Felix Mendelssohn-Bartholdy in London aufgeführt hatte. Heute ist es eines der großen Violinkonzerte der Musikliteratur. Mit vier leisen Paukenschlägen beginnt der 1. Satz bevor die Holzbläser das Thema blitzsauber erstmalig vortragen und die Fagotte hochmusikalisch die musikalische Bewegung eben akzentuierten. Arabella Steinbacher begann den Soloaufgang in Oktaven bis in höchste Höhen, zart, emotional, kultiviert gegen das stets aufmerksam begleitende Orchester unter der inspirierenden wie eleganten Stabführung von Patrick Hahn. Ein Höhepunkt der Saison, daß diese Solistin, die mit den großen Orchestern der Welt von New York Philharmonic bis zum Gewandhausorchester Leipzig auftritt, hier gastiert. In großen seelenvollen Bögen deutete die Violine die vom Orchester vorangetriebene musikalische Entwicklung aus. In der Reprise kam es zu überraschendem Zwiegespräch zwischen der Solovioline und dem Kontrabaß. Nachdenklich gestaltete die Solistin die eher lyrische, durchaus akkordisch doppelgriffige Kadenz, für die bei der Uraufführung 1806 der Geiger die Geige umgedreht hatte, um das Publikum zu beeindrucken und der Aufführung zum Erfolg zu verhelfen. Das war bei Arabella Steinbacher im Großen Saal nicht nötig. Das Publikum zeigte seine Begeisterung schon mit Applaus nach dem 1. Satz.

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Das Thema des Larghetto (2. Satz), von Klarinette und Bratschen über samtenem Streicherteppich vorgetragen, wird von der Solovioline variiert und mit subtilem, feinem Gefühl, gesanglich auf der Stradivari „ex Benno Walter“ von 1718, die ihr von einer Schweizer Stiftung zur Verfügung gestellt worden ist, dargeboten. Diese Violine wurde im 19. Jahrhundert vom Geiger Benno Walter gespielt, der selber Geigenvirtuose, Geigenlehrer und entfernterer Onkel von Richard Strauß war Nach dessen Oper „Arabella“ ist die Geigerin des heutigen Konzerts von ihren Eltern genannt worden. Deszö Szigeti spielte diese Stradivari später 29 Jahre lang in der Metropolitan Opera New York. Zurück zum Konzert: Nach Verdichtung der Harmonik brach das tänzerische Rondo des 3. Satzes aus Die Solistin, immer im Augenkontakt mit dem Dirigenten oder auch mit dem Orchester, verlieh jeder Passage, jedem Motiv glanzvoll wie sanglich in diesem konzertanten, hoch virtuosen Schlußsatz Sinn und Bedeutung. Das Publikum brach sofort in frenetischen Applaus aus, äußerte seine Begeisterung mit Pfiffen und Bravi. Als Zugabe spielte Arabella Steinbacher den 1. Satz aus Eugène Ysaÿes (1858-1931) Solosonate für Violine op. 27. Nr. 2 „Obsession -Prelude“, in der er aus der Partita Nr. 3 in E- Dur von J.S. Bach zitiert und diese sozusagen in die Harmonik des 20. Jahrhunderts transportiert. Hoch virtuos, polyphon mit Akkorden und Themen über alle vier Seiten, auf ganzem Bogen, atemberaubend stellte Arabella Steinbacher dieses Glanzstück der Violinliteratur vor! Und wieder kam es zu stehenden Ovationen.

Nach der Pause gab es dann die selten gespielte „Seejungfrau“ von Alexander von Zemlinsky. Diese sinfonische Phantasie für Orchester nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, wurde bei ihrer Uraufführung 1905 im Konzertsaal kaum akzeptiert. In dem Werk hat Zemlinsky an der Grenze zwischen Spätromantik und dem 20. Jahrhundert die unglückliche Liebe zu seiner Kompositionsschülerin Alma Schindler verarbeitet, der er mit einer Körpergröße von 159 cm nicht attraktiv genug war. Nach erfolgreicher Tätigkeit als Dirigent in Prag, Berlin, zuletzt wieder in Wien emigrierte er direkt nach dem Anschluß Österreichs in die USA. Die Partitur der „Seejungfrau“ erfuhr so ein seltenes Schicksal. Der erste Satz blieb in Wien, die restlichen Noten verschollen in den USA. Sie wurden erst 1976 wiederentdeckt, authentisch identifiziert u.a. vom ehemaligen Wuppertaler GMD Peter Gülke, der das Werk 1984 mit dem österreichischen Jugendsinfonieorchester erstmalig erneut uraufführte. Die Fantasie auf dem Meeresgrund beginnt ruhig mit sehr tiefen Posaunen und Tuba. Mit lyrischer Baßklarinette über sanftem Streicherteppich verbreitet die Solovioline (Nikolai Mintchev) zunehmend lyrisch-elegische Stimmung bis zu einem ersten dynamischen Höhepunkt. In wechselnder Melodik zwischen Solocello und Solovioline wird der ertrunkene Prinz gerettet. Kantilenen aller Celli spiegeln die Emotionen unter Wasser. Die Situation wird hoch dramatisch, entwickelt sich zu spätromantischem Chaos mit starken Quarten der Hörner und sich erneut mit der Kontratuba wälzenden Posaunen. Kein Wunder, daß Zemlinsky hier der Soloklarinette die Vortragsbezeichnung „wie hilferufend“ in die Stimme geschrieben hat.

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Beim Ball des Meerkönigs (2. Satz, „sehr bewegt“) begegnet die Seejungfrau der Meerhexe. Die Melancholie zwischen Solovioline und Saxophon endet gewaltig mit dem unter die Haut gehenden Aufschrei aller Holzbläser. Hart punktierte Orchesterschläge charakterisieren den Ernst der Lage, schmerzen die Seele. Der Satz endet dann versöhnlich mit einem wunderbar gespielten Liedthema des Horns (Haeree Yoo). Im 3. Satz leidet die Meerjungfrau, wird alles andere als glücklich mit ihrer unmöglichen Liebe, was aber in dem gewaltigen Orchesterklang, in dem von der Auflösung der Harmonik oder gar sich entwickelnder Atonalität nichts zu spüren ist. Gleichwohl entfacht dieses Werk mit riesigem Orchester und farbigen Klangflächen seinen Reiz und das Publikum der nahezu ausverkauften Stadthalle spendete auch jetzt großen Beifall.

Johannes Vesper, 12. März 2024

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7. Sinfoniekonzert
Historische Stadthalle Wuppertal
Großer Saal

13. März 2024

Ludwig van Beethoven Violinkonzert D-Dur
Alexander von Zemlinsky Die Seejungfrau

Arabella Steinbacher, Violine
Patrick Hahn, Dirigent
Sinfonieorchester Wuppertal