Wuppertal, Konzert: „Sinfonische Tänze und Melton Tuba Quartett“

Es war kein Karnevalskonzert an diesem trüben Rosensonntag. Lepo Sumera (1950-2000) unterrichtete Komposition an der estnischen Musikakademie in Tallin, hat u.a. 6 Sinfonien ein Klavierkonzert, Kammermusik und Filmmusiken geschrieben. Seine 1. Sinfonie beginnt nach kurzem Paukencrescendo. mit schrillen, intensiven flächigen Akkorden, die urplötzlich ins PP abbrechen. Nur einzelne Kontrabaßsforzati bleiben übrig und mit Hilfe von Glockenspiel, Harfentönen oder sehr leisem Becken breitet sich Stille aus. Im schnellen 2. Satz, der wie ein Presto daherkam, entwickelten sich unter dem präzisen Dirigat des estnischen Dirigenten Olari Elts aus Xylophon-Reihen neue Klangbilder zu flotten Paukenkglissandi und wildem Blechsturm. Stehende Ostinati nahmen die Zuhörer immer wieder gefangen bis nach erneut unvermutetem Abbruch über kaum hörbarem tiefem Kontrabaßorgelpunkt sich dank Holzbläsern und Cello-Flageolett erneut neue Klangwelten auftaten. Die Sinfonie ist weniger durch musikalisch-thematische Entwicklungen gekennzeichnet als durch musikalische Räume sui generis. Hier erlebt der Zuhörer eine höchst präsente Wirklichkeit, die sich nur in der Musik abspielt und ihn gefangen nimmt. Nach letztem Aufflattern der Flöte, intim erzählendem Picken des Holzschlagwerks und sehr leisen Glocken erstirbt alles. Großer Applaus.

(c) Johannes Vesper

Konzerte für 4 Soloinstrumente gibt es schon – 4 Violinen (Vivaldi) – 4 Cembali (Bach) – 4 Hörner (Schumann) u.a.; aber vier Tuben? 2007 spielten in Schwaben sogar 286 Tubisten miteinander ein Konzert (Guinness Rekord). Heute waren es im Großen Saal der Historischen Stadthalle nur die vier des Melton Tuba Quartetts, welches hier nicht unbekannt ist. Das Grand Concert war unter Toshiyuki Kamioka 2012 hier schon zu hören und das Concerto grosso für vier Tuben und Streichorchester von Stefan Heucke unter Julia Jones 2017.

Das Grand concert von John Stevens, geb.1951, ist als Auftragswerk für das Ensemble entstanden und wurde 2011 in Duisburg unter Carl St. Clair uraufgeführt. Die vier Tubisten hatten den Komponisten auf dem Tuba Weltkongress in Riva del Garda kennen und schätzen gelernt. Als dann die Duisburger, Dresdner und Bamberger Philharmoniker die Kosten übernahmen, war man sich schnell einig über das weltweite erst Konzert für diese Besetzung. Das Melton Tuba Quartett hatte sich 1987 gegründet. Die vier orchestralen Einzelgänger – in jedem Orchester gibt in der Regel nur einen Tubisten – hatten sich als Konkurrenten bei Probespielen um eine Stelle immer wieder getroffen. Jetzt spielen sie seit 37 Jahren zusammen. Einer der ersten Auftritte des Ensembles fand im Rahmen des 125-jährigen Jubiläums der Konzertgesellschaft hier in Elberfeld statt. Inzwischen hat das Ensemble einem Namen in der Musikwelt, hat u.a. beim Kanzlerfest, in der Berliner Philharmonie, beim Rheingau Musikfestival gespielt, sechs CD produziert und ist in vielen Ländern Europas aufgetreten. In eigenem Musikverlag sind inzwischen mehr als 50 Werke erschienen. Die Freude an diesem Instrument, welches in den USA sehr populär ist – jede Schule hat dort ein Blasorchester – möchten sie auch in Deutschland und Europa verbreiten. Immerhin ist die Tuba ja schon das Instrument des Jahres 2024

(c) Frank Becker

Heute kamen die „Zauberer vom tiefen Blech“ Ulrich Haas, Heiko Triebener, Hartmut Müller, Jörg Wachsmuth mit insgesamt sieben Tuben (Tenor bis Kontrabaß) auf die Bühne und entfalteten den ganzen Reiz dieser mächtigen Instrumente. Kräftig, zart, weich und voll erklang die Intrada. Melodiefetzen über marschierenden Streichern wurden abgelöst von aberwitzigem, gleichwohl blitzsauberen Presto mit Fuge im Scherzo. Dann schmachtete über behäbigem Elefantenwalzer die wunderbare Sologeige des Konzertmeisters (Georg Sarkisjan). Aus einer kurzen Kadenz der Kontrabaßtuba entstand dann schnell der überschäumende, letzte Satz (Tango-Tarantella). Bei diesem Konzert, musikalisch ein Mix aus Gershwin, Bernstein und Copland mit Elementen aus Rock, Jazz, bietet John Stevens, selbst Tubist, alles, was dieses tiefe Instrument mit gleichwohl riesigem Tonumfang kann. Jubelnder Applaus, Blumen für die Solisten und Hartmut Müller, der mit dieser Saison in den Ruhestand tritt, griff zum Mikrofon und regte an, daß die stets einsame Tuba hinten rechts mit dem Konzertmeister direkt neben dem Dirigenten den Platz tauschen müsse, aus Gerechtigkeitsgründen. Das war nach diesem Konzert für jeden im Saal einleuchtend. Zwei Zugaben gab es: die hoch virtuos begeisternde Ouvertüre von Rossinis „Wilhelm Tell“ und das tief emotionale Lied „What a Wonderful World“ von Louis Armstrong.

Nach der Pause gab es Sergej Rachmaninows (1873-1943) „Sinfonische Tänze“, sein wie er selbst meinte „bestes“ und letztes Werk mit allen drei Sätzen in Moll, also dafür in der richtigen Stimmungslage. Dabei ging es ihm um 1940 in den USA sehr gut. Er konnte zur Aufführung dieser Tänze in der vierhändigen Fassung für Klavier in sein eigenes Haus auf Long Island einladen. Vladimir Horowitz war da sein Klavierpartner. Ob sie als Programmmusik autobiographisch zu verstehen sind? Auf die ursprünglichen Satz Bezeichnungen „Mittag“, „Abend“ und „Mitternacht“ hat der Komponist später, aber verzichtet.

Im Non-Allegro des 1. Satzes kraftvoll marschartige stampfende Repetitionen mit fallendem, starkem Dreiton-Motiv werden im eingeschobenen Lento abgelöst von nachdenklicher Oboe, vom lyrischen Saxophon, der Oboe d´Amore. Die Holzbläser führen hier musikalisch ein ernstes Gespräch, an welchem sich später Harfe, Klavier und Streicher liedartig, rezitativisch beteiligen, bevor sich dann geschwind und musikantisch expressiv der schnelle 1. Teil wiederholt, der musikalisch an den Zauberlehrling von Paul Dukas erinnert. Zitate aus der ersten Sinfonie, deren Erfolglosigkeit ihm psychisch stark zugesetzt, wird nicht jeder identifizieren.

(c) Johannes Vesper

Der „Mittag“ (Andante con moto) bringt immer wieder ansetzende bzw. stockende Walzerklänge (Solovioline) und die Oboen Melancholie ins Spiel. Das ist alles andere als banale heitere Walzerseligkeit. Hier spiegelt sich, allerdings verhaltener als bei La Valse von Ravel knapp 30 Jahre zuvor, in reichen Klangfarben das Unheil der Zeit.

In der „Abenddämmerung“ des 3. Satzes wechseln lento und allegro miteinander ab. Orchester-Glockenschläge eröffnen mit Ernst das Ende (des Lebens?). Das letzte Allegro entwickelt sich zu einer temperamentvollen, technisch das Orchester stark fordernde Tarantella, zu einem Totentanz durch den das alte „Dies irae“ musikalisch immer wieder durchscheint. Zuletzt verhallt der gewaltige Orchesterklang im brüchigen Beckenschlag. Großer Applaus für dieses eindrucksvolle Konzert.

Johannes Vesper, 20. Februar 2024

Besonderer Dank an unsere Freunde von den Musenblaettern (Wuppertal)


6. Sinfoniekonzert der 161. Saison
des Sinfonieorchesters Wuppertal

Historische Stadthalle Wuppertal

11. Februar 2024

Melton Tuba Quartett
Sinfonieorchester Wuppertal
Olari Elts, Dirigent