Bremerhaven: „La Cenerentola“

Premiere am 25.12.2019

Märchen mit britischem Witz

Wenn am Ende Angelina im weißen Brautkleid dasteht und ihren Peinigern (dem Stiefvater und den Stiefschwestern) voller Güte und in kaum zu ertragendem Edelmut verzeiht, wenn die Hochzeitstorte vom Himmel schwebt und wenn es dann noch Konfetti regnet – dann ist es da, das unvermeidliche Happy End des klassischen Märchens „Aschenputtel“. Der Stoff hat viele Komponisten von Jules Massenet bis Sergej Prokofjew, von Johann Strauß bis Richard Rodgers inspiriert. Und natürlich Gioachino Rossini – die Oper La Cenerentola gehört zu seinen erfolgreichsten Werken.

In Bremerhaven inszenierte Max Hoehn La Cenerentola als höchst vergnügliche Weihnachtspremiere. Hoehn ist britischer Staatsbürger. Und in seinem Konzept reichert er das Märchen mit viel (britischem) Humor an. Allein die marionettenhaften Bewegungen der skurrilen Dienerschaft des Prinzen Don Ramiro sind eine Klasse für sich. Und wenn die Diener noch bei Sturm und Regen als „Ersatzpferde“ vor die Kutsche des Prinzen gespannt werden, schlägt der Witz wahre Funken. Eine tolle Szene, mit der Rossinis Gewittermusik da umgesetzt wird. Dieser feine Humor mit Elementen von Monty Python zieht sich durch den ganzen Abend. Da wird bei der Ankunft des Prinzen hektisch ein roter Teppich wie ein Rollrasen ausgebreitet, die zickigen Schwestern Clorinda und Tisbe versuchen, sich gegenseitig bis hin zur handfesten Prügelei auszustechen. Am Ende erscheinen sie mit opulenten Hüten, mit denen sie auch beim Ascot-Derby eine gute Figur gemacht hätten.

Der Kammerdiener Dandini, der zwecks Täuschung in die Rolle des Prinzen schlüpft, gibt sich als smarter Dandy. Und Don Magnifico, vom Prinzen zum Kellermeister ernannt, ist an Selbstgefälligkeit kaum zu übertreffen. Hoehn zeichnet alle Figuren in ihrer ganzen Absurdität punktgenau, ohne sich in die Klamotte zu verirren. Nur Angelina ist die einzig menschliche, empfindsame Figur. Bei allen Turbulenzen setzt Hoehn auch immer wieder ruhige Momente, in denen sich Rossinis Musik ungestört und prachtvoll entfalten kann. Hoehn hat da eine gute, ausgefeilte Balance gefunden.

Die Bühnenbilder und die Kostüme von Darko Petrovic unterstützen sehr gelungen das Regiekonzept. Die Schwestern und Don Magnifico haben eigene Zimmer, die wie Puppenstuben oder Schilderhäuschen über die Bühne gefahren werden. Angelina hat nur eine kleine Dachkammer, die an einen Taubenschlag erinnert. Im zweiten Bild ist eine stilisierter Schlosspark zu sehen, der wie ein kleiner Irrgarten wirkt. Wenn die Köpfe immer wieder hinter den Hecken auftauchen und dann wieder verschwinden, unterstreicht das den skurrilen Humor.

Für den Kapellmeister Davide Perniceni ist diese Cenerntola (nach dem „Grafen von Monte Christo“) die zweite eigenverantwortlich einstudierte Produktion in Bremerhaven. Und auch die ist ihm trefflich gelungen. Sein Rossini klingt rhythmisch federnd, funkelnd in den instrumentalen Details und einfach mitreißend, etwa im Finale des 1. Aktes oder bei dem herrlichen Sextett. Zudem ist er den Sängern ein hervorragender Begleiter.

In der Titelpartie kann Gastsängerin Anna Werle mit einem sehr sinnlichen, warm timbrierten Mezzo überzeugen. Ihre Stimme ist nicht riesengroß, aber sehr beweglich und zu feinsten Nuancen fähig. Mit dem finalen Rondo „Nacqui all’affanno“ setzt sie einen Glanzpunkt. Christian Tschelebiew ist der zweite Gast und schöpft die Komik des Don Magnifico in vollen Zügen und mit prachtvollem Bass genussvoll aus. Seine Arie „Sia qualunque delle figlie“ gerät zum Kabinettstückchen. Die bösen Töchter Clorinda und Tisbe werden von Victoria Kunze und Patrizia Häusermann sehr beweglich gespielt und gesungen. Zickenkrieg auf höchstem Niveau.

Auch Christopher Busietta bewältigt die anspruchsvolle Partie des Don Ramiro sehr ansprechend. In der Höhe klingt die Stimme zwar manchmal etwas grell, aber er singt alle Verzierungen sehr sauber. Vikrant Subramanian ist mit seinem wendigen Kavaliersbariton ein attraktiver Dandini. Shin Yeo kann als Philosoph Alidoro den guten Eindruck bestätigen, den er im „Grafen von Monte Christo“ hinterlassen hat. Ein Sonderlob gebührt dem herrlich agierenden, von Mario Orlando El Fakih Hernández einstudierten Herrenchor. Die unbedingt sehenswerte Aufführung sorgte für begeisterten Jubel des Premierenpublikums.

Wolfgang Denker, 26.12.2019

Fotos von Manja Hermann