Bremerhaven: „Der Graf von Monte Christo“

Premiere am 21.09.2019

Klassisches Abenteuer

Man könnte fast glauben, dass das Stadttheater Bremerhaven die heimliche Musical-Hauptstadt Deutschlands ist. Seit 2013 wird dort die Spielzeit mit einem Musical eröffnet, damals mit „Singin’ in the rain“. Es folgten „West Side Story“, „Anything goes“, „Dracula“, „Zorro“ und „Sunset Boulevard”. Aber auch bevor das Musical am Anfang der Saison stand, gab es dort maßstäbliche Produktionen. Ihnen allen war gemeinsam, dass die Inszenierungen aufwändig, sorgfältig und mitreißend gestaltet sowie erstrangig besetzt waren. Da gab es nie eine Enttäuschung – die Qualität der Musical-Aufführungen begeisterte und überzeugte. Das gilt auch uneingeschränkt für die diesjährige Produktion Der Graf von Monte Christo (nach Alexandre Dumas dem Älteren) aus der Feder von Frank Wildhorn. Die Uraufführung fand 2009 statt. Von Wildhorn stammen neben „Jekyll & Hyde“ auch die Musicals „The Scarlet Pimpernel“ und „Dracula“, die beide schon in Bremerhaven zu sehen waren.

Die Handlung ist bekannt: Der Seemann Edmond Dantès wird auf Grund eines Komplotts vierzehn Jahre auf einer Insel unschuldig eingesperrt. Seine Verlobte Mercédès heiratet inzwischen den Übeltäter Mondego, weil ihr gesagt wurde, Dantès sei tot. Der kann aber fliehen, findet einen Schatz und kehrt als reicher Graf von Monte Christo über Rom nach Paris zurück, um sich zu rächen.

Das ist eine ideale Vorlage für einen abwechslungsreichen Abenteuer-Bilderbogen. Regisseur Felix Seiler hat alle Chancen des Stoffes optimal genutzt. Seine Inszenierung ist temporeich und spannend. Die wechselnden Schauplätze der oft kurzen Szenen gehen Dank der Drehbühne nahtlos ineinander über. Die Bühnenbilder und die Kostüme (beides von Hartmut Schörghofer) sind von überwältigender Opulenz.

Auch der Einsatz von großflächigen Projektionen ist gelungen: Ein altes Segelschiff, das aufgewühlte Meer, die Sicht auf das römische Capitol oder die in Morgenrot getauchten kahlen Bäume bei der Duell-Szene – Bilder von pittoresker Schönheit. Hinzu kommen die vielen, von Andrea Danae Kingston choreographierten und bestens in die Aktionen integrierten Tanzeinlagen sowie die furiosen Kampf- und Fechtszenen, die Jean-Loup Fourure eingerichtet hat.

Zur Musik muss man sagen, dass Frank Wildhorn kein Frederick Loewe, Leonard Bernstein oder Cole Porter ist. Die musikalische Decke dieses Musicals ist vergleichsweise insgesamt etwas dünner, denn der Duktus der vielen Balladen ist doch oft ähnlich. Gleichwohl gibt es eine paar eindringliche Duette, einen hübschen Walzer und in den dramatischen Szenen durchaus Spannung. Und die fesselnde Inszenierung, der leidenschaftliche Totaleinsatz der Sängerinnen und Sänger sowie des machtvoll auftrumpfende Chor (Einstudierung von Mario Orlando El Fakih Hernández) machen dieses kleine Manko mühelos wett.

In der Titelrolle begeistert Vikrant Subramanian einmal mehr. Das Genre Musical scheint ihm besonders zu liegen, wie er schon mit seinen herausragenden Leistungen etwa in „Zorro“, „Sunset Boulevard“ oder „Maria de Buenos Aires“ bewiesen hat. Die Figur des Edmond Dantès verkörpert er perfekt. Seine Liebe zu Mercédès, seine Verzweiflung und sein unerbittlicher Entschluss zur Rache finden in ausdrucksvollem Gesang und in sehr präsenter Darstellung ihren Niederschlag. Wie er allein auf der in blutrotes Licht getauchten Bühne steht und seine Racheschwüre herausschleudert, ist grandios. Subramanians Identifikation mit der Figur des Edmond Dantès könnte nicht eindrucksvoller sein. Ihm zur Seite steht Anna Preckele r als Mercédès. Auch sie verfügt über eine starke Ausstrahlung und eine kraftvolle Stimme, mit der sie ihre Balladen und Duette ansprechend gestaltet. Was ihr an Lieblichkeit etwas abgeht, ersetzt sie durch emotionalen Ausdruck. Die Duette „Niemals allein“ und „Jeder Tag ein kleiner Tod“ zwischen ihr und Subramanian gelingen sehr anrührend und zählen zu den besten Nummern des Stücks.

Das Schurkentrio ist rollendeckend besetzt. Shin Yeo, der neue Bassist des Bremerhavener Theaters, gibt als Villefort mit profunder, runder Tiefe einen tollen Einstand. Marco Vassalli ist der schmierige Mondego und MacKenzie Gallinger der habgierige Baron Danglars. Er verkörpert auch den Abbé Faria, der Edmond während seiner Gefangenschaft unterrichtet und ihm den Weg zu dem Schatz weist. Victoria Kunze zieht bei der Episode auf dem Piratenschiff als Kapitänin Luisa Vampa alle Register der drastischen Komik. Sie singt auch die Valentine. Sie und Christopher Busietta als Albert geben ein schönstimmiges, jugendliches Liebespaar ab.

Für Drive und Tempo sorgt Davide Perniceni am Pult des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven. Nicht zuletzt auch ihm ist die enthusiastische Begeisterung zu danken, mit der das Publikum diese Premiere aufgenommen hat.

Wolfgang Denker, 22.09.2019

Fotos von Heiko Sandelmann