Bremerhaven: „Un Ballo in Maschera“

Premiere am 29.04.2017

Oscars Totentanz

Der schwedische König Gustav III. ist die Hauptfigur in Giuseppe Verdis Oper „Un ballo in maschera“. Er wird am Ende ermordet. Welche Schwierigkeiten Verdi mit den italienischen Zensurbehörden hatte, ist bekannt Er wurde gezwungen, die Handlung nach Amerika zu verlegen. Aus Gustav wurde der Bostoner Gouverneur Riccardo. Inzwischen wird fast überall die Originalversion gespielt, so auch in der Bremerhavener Neuinszenierung von Roman Hovenbitzer. Der siedelt die Handlung allerdings auch nicht unbedingt in Schweden an, sondern eher in einem geheimnisvollen Land der Phantasie. Aber es ist ein Land mit doppeltem Boden…

„König Gustav ist ein Mensch, der für den Posten nicht geschaffen ist“, meint der Regisseur. Denn Gustavs Interessen liegen eher bei Kunst und Theater. Als „Theaterkönig“ ging er denn auch in die Geschichte ein.

Diesen Aspekt stellt Hovenbitzer in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Der Page Oscar wird zu einer Art Spielleiter, ähnlich dem Conferencier in „Cabaret“. Er zieht den Vorhang auf und zu und präsentiert mit eleganten Gesten die Handlung. Im Glitzeranzug und mit Zylinder ist er pausenlos auf der Bühne – ein diabolischer Hexenmeister, der mit allen sein Spiel treibt. Und auch Gustav ist dabei mit von der Partie und beteiligt sich an diesem Spiel von Schein und Sein. Das nimmt mitunter auch bösartige Züge an, etwa wenn die Wahrsagerin Ulrica hier schon im 1. Bild vorgeführt und gedemütigt wird. Oscar und der König: Man könnte sie fast mit Rigoletto und dem Herzog vergleichen.

Hovenbitzer und sein Ausstatter Roy Spahn arbeiten viel mit Videos, die auf einen Gazevorhang projiziert werden. Das erzeugt mitunter die Wirkung eines Film noir, ist aber auch oft zuviel des Guten. Als düstere Gruselszene präsentiert Hovenbitzer den 2. Akt. Nebelschwaden, graue Todesengel mit Totenschädeln und ein Grabstein erzeugen die Stimmung eines Horrorfilms. „Nacht des Schreckens“ steht als Überschrift zur Inhaltsangabe im Programmheft.

Gustav und Amelia haben jeweils einen Engelsflügel, sodass sie sich erst in der Umarmung ergänzen. Aber auch das Brautkleid und der Brautkranz täuschen nicht darüber hinweg, dass die Geschichte ein böses Ende nimmt. Einen völligen Kontrast gibt es dann im 3. Akt. Die Bühne wird hochgefahren und gibt den Blick auf ein spießiges Wohnzimmer mit Couch, Fernseher und Schrankwand frei. Das ist die bürgerliche, wohlgeordnete Welt von Renato Anckarström, dem Vertrauten und späteren Mörder des Königs. Sie ist völlig konträr zur Phantasiewelt Gustavs und erklärt zum Teil, warum sich Renatos Gattin Amelia zu Gustav hingezogen fühlt.

Wenn Gustav von den tödlichen Schüssen getroffen wird, steht er wieder auf, als wäre nichts geschehen. Erst im Bühnenhintergrund bricht er zusammen. Hovenbitzer hebt mit diesem Ende die Grenze zwischen Traum und Realität nicht auf. Die Frage, was Illusion und was irdische Wahrheit ist bleibt offen. Ist alles nur ein Spiel oder hat Gustav bewusst seinen eigenen Tod inszeniert? Oscars Totentanz – ein faszinierendes Spiel mit der Phantasie.

Sängerisch steht Katja Bördner als Amelia im Mittelpunkt. Sie führt ihren schönen Sopran mühelos und strahlend durch alle Lagen. Die emotionale Intensität, mit der sie ihre Partie gestaltet, berührt tief. Ihre Arien „Ecco l’orido campo“ und „Morrò, ma prima in grazia“ vereinen gesanglichen Feinschliff und Expressivität. Der albanische Tenor Adrian Xhema war Ensemblemitglied des Staatstheaters am Gärtnerplatz und des Opernhauses Münster. Er singt als Gast den Gustav mit großer Sicherheit und sehr präsentem Tenor. Um seine Höhe braucht man sich nicht zu sorgen. Im großen Duett des 2. Aktes vereinen sich seine und die Stimme von Katja Bördner zu veritablem Wohlklang. Der zweite Gast ist Alexandru Aghenie aus Moldawien. Er singt den Grafen Renato Anckarström mit seinem schlanken und wohltimbrierten Bariton sehr kultiviert und ganz auf Linie. „Eri tu“, die Glanzarie dieser Partie, lässt keine Wünsche offen. Darstellerisch kann er die seelische Verletzung der Figur gut vermitteln. Der Oscar ist in dieser Inszenierung zu einer Hauptpartie geworden. Regine Sturm gibt der Rolle auch im stummen Spiel bezwingende Präsenz. Ihre koloraturgespickten Arien bewältigt sie souverän. Das kann man von Svetlana Smolentseva als Ulrica leider nicht durchgehend behaupten. In der Höhe spricht ihre Stimme zwar gut an, aber bei der Ulrica ist eben doch das tiefe Register besonders gefragt. Durch Persönlichkeit kann sie aber vieles ausgleichen Besonders hervorzuheben ist die satte Bassstimme von Leo Yeun-Ku Chu, der der leider kleinen Partie des Verschwörers Graf Horn besonderes Gewicht verleiht. In weiteren Rollen sind Daniel Dimitrov als Graf Ribbing, Vikrant Subramanian als Matrose Cristiano und Kiyong Lee als Richter zu erleben. Felix Niemann mimt den Sohn von Amelia und Renato. Der Chor (in der Einstudierung von Anna Milukova) präsentiert sich von seiner besten Seite.

Marc Niemann und das Philharmonische Orchester geben diesem ungewöhnlichen Regiekonzept eine spannende Wiedergabe an die Seite. Er setzt die düstere Welt der Ulrica mit wuchtigen Orchesterschlägen ebenso überzeugend in Klang um, wie das leidenschaftliche Liebesduett oder die markanten Szenen der Verschwörer – eine durchweg spannende Wiedergabe, die der Leidenschaftlichkeit und dem Impetus der Musik nichts schuldig bleibt.

Wolfgang Denker, 01.05.2017

Fotos von Heiko Sandelmann