Bern: „Tosca“, Giacomo Puccini

Die Bühnen Bern brachten mit „TOSCA“ eines der bei den internationalen Häusern wohl am häufigsten produzierten Werke zur Aufführung. Für die Regisseure bedeutet es daher immer wieder eine Herausforderung, die den meisten Besuchern bestbekannte Handlung auf eine neue Weise nahezubringen. Dies ist Regisseur und Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt bestens gelungen. Er gestaltete die Handlung äußerst ästhetisch. Mittels Lichtes und Schatten arbeitet er wie in einem „Film noir“ und gestaltet so für jeden Akt einen eigenen Bühnenraum. Als Zuschauer wird man mit der ganzen Dramatik dieser Geschichte konfrontiert und erlebt, wie jede der drei Protagonisten, Tosca, Cavaradossi und Scarpia, ihrem tragischen Schicksal hilflos entgegengehen.

©Tanja Dorendorf

Bereits im ersten Akt, welcher üblicherweise den Rahmen für eine grandiose Bühnendekoration bietet, befindet man sich bei dieser Inszenierung in einem kahlen Kirchenraum. Da gibt es nicht, wie üblich, ein Gemälde auf einer Staffelei, an welchem Cavaradossi gerade am Arbeiten ist, sondern nur eine grell angeleuchtete hohe an die Wand angestellte Leiter, auf welcher der Maler steht und dabei ist, am für die Zuschauer unsichtbaren Gemälde zu arbeiten. Nur als Schatten erkennt man an der weißen Wand die Bewegungen des Malers. Im zweiten Akt befindet man sich vor dem Salon, in welchem sich die Handlung fortsetzt. Die raffinierte Konstruktion mit großen gläsernen Flügeltüren und halbtransparenten Gardinen ermöglicht es, ins Innere des spärlich ausgestatteten Raums zu schauen, wo sich die Ereignisse fortsetzen und zu eskalieren beginnen und man erlebt spannende Stimmungen. Dies verlangt von den Sängern auch eine überzeugende schauspielerische Leistung.

Es zeigt sich deutlich, wie die einzelnen Charaktere sehr individuell gezeichnet sind. So ist Scarpia von Anfang an einen zerrissenen Machtmenschen, welcher gnadenlos und fies lachend, jedoch auch selbstzweifelnd seinem Ziel, Tosca zu besitzen näher zu kommen versucht. Als kleines Detail sei erwähnt: das bekannte Hinstellen von zwei Kerzen neben den ermordeten Scarpia wird hier ersetzt durch das Hinwerfen der brennenden Kerze auf den Boden und verdeutlicht Tosca‘s Zerrissenheit in diesem schauerlichen Moment.

©Tanja Dorendorf

Im dritten Akt sehen wir eine große Treppe in der Engelsburg, an deren Geländer Cavaradossi angekettet ist. Die Dramatik wird kurz unterbrochen durch einen Hirtenjungen, der dem Geschundenen aus Mitleid eine Flasche Milch bringt. An dieser Stelle spielt auch die Lichtgestaltung eine prägende Rolle und als Zuschauer ist man ganz in die Handlung eingebunden. Das wohlbekannte Ende dieser Oper, die angeblich fingierte Erschießung von Cavaradossi, findet in einem Nebenraum statt. Tosca wird von Schergen verfolgt und versucht zu fliehen. Aber sich der Ausweglosigkeit bewusst geworden, stürzt sie sich aus einem der oberen Fenster in den Tod.

Man empfindet diese Aufführung wie einen Thriller, welcher neben der Brutalität auch intime Momente voller Emotionen zeigt. Die Kostüme von Klaus Bruns und das Licht von Bernhard Bieri runden diese gelungene Inszenierung ab.

Auf der musikalischen Seite gibt es viel Erfreuliches zu berichten. Mit der kubanischen Sopranistin Elizabeth Caballero erlebt man eine starke Frau, ohne übertriebenes Diven Gehabe. Hier leidet eine Frau unter dem Schicksal, welchem sie durch die Umstände ausgesetzt ist. Sei es als eifersüchtige, verzweifelte, oder um Gnade kämpfende Liebhaberin, auf der ganzen Linie überzeugt sie durch Ihre Darstellungskunst. Mit ihrem höhensicheren Sopran versteht sie es, mühelos alle Facetten nuanciert zu gestalten. Da darf man von einer Idealbesetzung sprechen.

Es mag an der Premierennervosität gelegen sein, dass an diesem Abend Mykhailo Malafii als Mario Cavaradossi nicht restlos überzeugen konnte. Die Stimme gefällt in den unteren Registern durchaus und gerade im dritten Akt gelingt es ihm, zu ergreifen. Einzig in den höheren Lagen wirkt die Stimme zu forciert und die Vittoria-Schreie klangen heiser. In den folgenden Vorstellungen wird wohl noch einiges an Sicherheit dazukommen.

Ganz hervorragend als Baron Scarpia ist der amerikanische Bassbariton Seth Carico. Ihm nimmt man den von seiner Macht besessenen, innerlich zerrissenen Polizeichef von Anfang bis Ende ab. Ein großartiges Rollenportrait, kombiniert mit seiner kraftvollen, nuancenreichen Stimme, wurde zurecht vom Publikum gefeiert.

Jonathan McGovern als Cesare Angelotti, Michael Prószyński als Spoletta, Christian Valle als Sagrestano, Andres Feliu als Sciaronne, und Iyad Dwaier als Schliesser bilden ein Ensemble, welches diese Aufführung aufs Beste ergänzt. Der Hirtenjunge wurde von Maël Stähler gesungen. Er stammt aus dem neu gegründeten Kinderchor und konnte bei dieser Aufführung seinen ersten Auftritt feiern. Abélia Nordmann, welche diesen Chor leitet, hat ganze Arbeit geleistet und man konnte sich über diesen Auftritt freuen. Der Chor der Bühnen Bern wurde von Zsolt Czetner einstudiert und konnte ebenfalls mit einer sehr soliden Leistung überzeugen.

©Tanja Dorendorf

Nicholas Carter leitete das Berner Symphonieorchester. Unter ihm wurde die herrliche Musik mit großer Genauigkeit und wunderbarem Klang zu einem perfekten Hörgenuss. Man konnte in dieser Musik wahrlich schwelgen. Es kommt nicht oft vor, dass sich das Berner Premierenpublikum zu solchem Jubel hinreißen lässt und man kann dieser Produktion volle Häuser voraussagen.

Marco Stücklin 26. Oktober 2023

Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN


Tosca
Giacomo Puccini
Bühnen Bern
Besuchte Premiere 15. Oktober 2023

Regisseur und Bühnenbildner: Raimund Orfeo Voigt
Nicholas Carter
Berner Symphonieorchester