Premiere: 31. 10. 2013
Packendes Musiktheater!
Intendant Florian Scholz, der das Dreispartenhaus in Klagenfurt in der vorigen Saison übernommen hatte, engagierte für die Oper bisher überwiegend junge und auf dem Gebiet des Musiktheaters unerfahrene Regisseure – oft mit zumindest zwiespältigem Erfolg (man denke vor allem an den Freischütz, aber auch an Das schlaue Füchslein und Idomeneo).
Ganz anders nun bei Klagenfurts Beitrag zum Verdi-Jahr: Den Macbeth übertrug man Cesare Lievi – einem international erfahrene Theatermann. Der 1952 in Gargnano am Gardasee geborene Regisseur und Autor promovierte in Philosophie mit einer Arbeit über Trotzki und den Surrealismus. Erste Erfolge feierte er durch seine Schauspielinszenierungen (u. a. am Schauspiel Frankfurt, an der Schaubühne Berlin, dem Burgtheater Wien oder dem Thalia Theater Hamburg) bevor auch die Oper zu seiner zweiten Heimat wurde. So inszenierte er u. a. an der Metropolitan Opera New York und regelmäßig an der Mailänder Scala und der Oper Zürich. Bis zum Jänner dieses Jahres war er Schauspielchef in Udine. Cesare Lievi hat auf die Frage, wie er bei Macbeth den Bezug zu heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen sehe, eine sehr kluge Antwort gegeben, die geradezu das Grundproblem so mancher Inszenierung des sogenannten „Regietheaters“ trifft:
„Diese Frage ist schwierig. Sie suggeriert Übereinstimmungen zwischen der Vergangenheit, die Verdis Oper Macbeth umgibt, und unserer heutigen Gegenwart. Mich interessieren mehr die Unterschiede als die Ähnlichkeiten, mehr die Distanz, die uns trennt, als der Raum, der uns verbindet. Und warum? Weil wir aus der Entfernung besser erkennen, wer wir sind ……… Theater, wie ich es verstehe, bedeutet über die Distanz und nicht mit Hilfe einer banalen und oft mystifizierenden Aktualisierung den Stoff zu begreifen.“
Und so hat Cesare Lievi gemeinsam mit einem Team, mit dem er schon oft erfolgreich zusammengearbeitet hat ( Josef Frommwieser – Bühne, Marina Luxardo– Kostüme, Luigi Saccomandi – Lichtdesign) eine überaus stringente und packende Inszenierung ausgearbeitet – fern jeder banalen Aktualisierung, aber mit klugen zeitgemäßen Akzenten.
Die mysteriöse Sphäre der Hexen wird erweitert durch die Traumvorstellungen und unerfüllten Kinderwünsche von Macbeth und seiner Frau. Geschickt nutzt Lievi die konkreten Vorgaben des Librettos, um durch sie diese Traumvorstellungen sichtbar zu machen. So gibt es neben dem Hexenchor auch noch kindliche Hexen, die im zweiten Akt beim Festbankett präsent sind und die sich im dritten Akt in die Luftgeister und Sylphiden verwandeln. Und auch die von Hexen provozierten Erscheinungen der acht Könige sind Knaben. Es gelingt, die szenischen Anweisungen des Originals genau zu beachten und sie gleichzeitig mit heutigen Augen zu sehen. Es stimmt, was der Insel-Verlag auf seiner Homepage über den Autor Cesare Lievi schreibt: „Er gilt als einer der großen Poeten des Theaters“. Großartig und wahrhaft poetisch, aber gleichzeitig bühnenwirksam sind die Übergänge der einzelnen Bilder gelöst – ohne großen bühnentechnischen Aufwand gleitet man gleichsam durch die Bilderwelt des schottischen Königsdramas. Die Handlung wird klar und einfach erzählt und gleichzeitig mit einfachen bildhaften Mitteln überhöht. Das ist zeitgemäßes Musiktheater, das der genialen Partitur Verdis genügend Raum lässt!
Und auch in musikalischer Hinsicht ist das Klagenfurter Landestheater mit dieser Produktion geradezu über sich hinausgewachsen. Das beginnt schon im Preludio, das vom Kärntner Sinfonieorchester unter seinem jungen britischen Chef Alexander Soddy transparent, aber nie dünn klingend musiziert wird. Schon da fiel ein Detail auf, das im Laufe des Abends noch mehrfach zu registrieren war: Soddy versteht es, spannungsvoll Generalpausen geschickt vorzubereiten – auch das Publikum hält geradezu den Atem an. Aber auch die großen Melodiebögen und die attackierenden Orchesterpassagen gelingen sehr gut und vor allem weiß Soddy die Solisten ausgezeichnet zu begleiten. Das war an diesem Premierenabend von besonderer Bedeutung, hatte doch der Macbeth des Russen Maksim Aniskin mit einer Indisposition zu kämpfen. Er hatte die Generalprobe nicht singen können und man suchte schon fieberhaft einen Ersatz, um die Premiere zu retten. Aber Aniskin konnte auftreten und wurde auch nicht als indisponiert „angesagt“. Maksim Aniskin ist derzeit an der Oper von Novosibirsk engagiert und singt alle großen Rollen seines Fachs. (Wer von uns westeuropäischen Opernfreunden wusste übrigens, dass Nowosibirsk mit rund 1,5 Millionen Einwohnern die drittgrößte russische Stadt ist, mit dem größten russischen Opernhaus??) Aniskin steht zweifellos am Beginn einer internationalen Karriere – nicht umsonst ist schon derzeit Cover-Besetzung an der Met. Aniskin hat den Macbeth an diesem Abend (wohl auch im Hinblick auf seine aktuelle Disposition) besonders lyrisch und verhalten angelegt, was aber ideal den Anweisungen von Verdi entspricht und den schwachen Menschen großartig charakterisiert. Erst im letzten Akt ist dann Aniskin aus sich herausgegangen und hat auch mit metallisch-dunklen Spitzentönen aufhorchen lassen.
Seine Lady – die Ukrainerin Tatiana Melnychenko – hat schon international Karriere gemacht. In der Arena von Verona war sie als Abigaille zu hören und die Lady Macbeth sang sind bereits an der Scala, sie wird sie auch demnächst in Athen singen. Melnychenko ist ein Heroinnentyp alten Zuschnitts mit einer kräftigen, leicht gutturalen Stimme. Sie bewältigt die schwierige Partie sehr gut, wenn auch leichte Schwierigkeiten bei den Koloraturen in der Bankettszene im 2.Akt nicht zu überhören waren. Wunderbar verhalten und lyrisch gelang ihr die Wahnsinnsszene im vierten Akt (leider mit missglücktem Schlusston). Gerade in dieser Wahnsinnsszene sind zwei junge Ensemblemitglieder des Hauses durch prägnant-intensive Leistungen sehr positiv aufgefallen: Golda Schultz als Kammerfrau und David Steffens als Arzt (in Sigmund-Freud-Maske). (Auch von diesen beiden ist wohl noch einiges zu erwarten: Golda Schultz wird nach ihrem uneingeschränkten Erfolg in Klagenfurt die Rosenkavalier-Sophie im nächsten Jahr bei den Münchner Opernfestspielen singen, und David Steffens hat gerade erfolgreich das Bravourstück hinter sich, durch seine ganz kurzfristige Übernahme des Ochs eine Rosenkavalier-Aufführung in Klagenfurt gerettet zu haben.)
Der Moskauer Evgeny Stavinskiy war ein ausgezeichneter Banco – sowohl im Duett mit Macbeth im 1.Akt als auch mit breit strömendem und in allen Lagen ausgeglichenem Bass in seiner großen Arie „Come dal ciel precipita“ im 2.Akt. Die Regie hat übrigens den Übergang von Bancos Ermordung zu seiner Geisterscheinung beim Festbankett großartig und bühnenwirksam gelöst. Den Macduff sang der Litauer Merunas Vitulskis mit heldischem Glanz, aber etwas unruhigen, allzu sehr tremolierenden Legato-Phrasen. Ilker Arcayürek schien als Malcolm (gegenüber seinem Sänger im Rosenkavalier) etwas konsolidierter.
Chor und Extrachor (Leitung: Günter Wallner) haben Erstaunliches geleistet. Vor allem die Damen der drei Gruppen des Hexenchors sangen und agierten mit gut charakterisierender Klangfarbe und prägnanter Präzision. Hingegen klang der Mörderchor etwas unausgewogen. Wunderbar wiederum das große Chorensemble „Patria oppressa!“ im 4.Akt – auch optisch sehr bildhaft und schön gelöst.
Schon in den Pausengesprächen konnte man große Zustimmung des Publikums hören – der Schlussapplaus war einhellig. Klagenfurt ist mit dieser Produktion wahrlich Großes gelungen, das überregionale Beachtung verdient. Also: hinfahren, anschauen – es gibt noch 12 Termine!
Hermann Becke, 1.11.2013
Alle Fotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Arnold Pöschl
Links:
Interview mit dem Regisseur Cesare Lievi:
Video mit Probenausschnitten und Interview:
Es lohnt sich, den Macbeth-Darsteller Maksim Aniskin akustisch kennenzulernen – er wird seinen internationalen Weg machen:
Weitere Termine und Karten:
http://www.stadttheater-klagenfurt.at/de/produktionen/macbeth/