Premiere am 9. 2. 2017
Der rumänisch-deutsche Künstler Miron Schmückle sagt zu seiner Opernausstattung (es ist erst seine zweite Bühnenarbeit seit der Zauberflöte hier in Klagenfurt im Jahre 2014):
„Patrick Schlösser und ich haben uns entschieden, die Architektur und den Ort des Geschehens über Textilien und Bühnenprospekte darzustellen. Wir haben bewusst auf gebaute Kulissen verzichtet und wollten etwas Leichtes, Intimes – keine Burg. Die Verletzlichkeit wird auf diese Weise anders präsent.“ Das ist gerade bei der relativ kleinen Klagenfurter Bühne ein durchaus praktikabler Ausgangspunkt für eine szenische Gestaltung, die so aussieht:
Im 1.Akt wird die Bühne im Hintergrund von wallenden Segeln beherrscht. Im 2. Akt dominieren florale Ornamente – Schmückle schreibt dazu im Programmheft: „Bei der Ornamentik bot es sich für mich an, florale Motive aufzugreifen, die erst einmal mit Venedig assoziiert werden. Über diese floralen Motive habe ich versucht, eine Brücke zu schlagen zu vegetabilen Motiven aus meiner eigenen Kunst“. Im 3. Akt sehen wir als Bühnenprospekt einen müden, schlafenden Löwen ohne Schwert und ohne Evangelium …. Eine wichtige Allegorie… Otello als geschlagene Figur….. – siehe dazu das Foto zu Beginn dieses Berichts. Und im 4. Akt dominieren zunächst zentral ein großes Bett, im Hintergrund Weidenblätter, Kerzen am Bühnenrand und eine überlebensgroße Mutter-Gottes-Figur, die sich bei Otellos Auftritt abwendet und zur Todesgöttin wird (ein etwas banal-plumper Bühneneffekt) – mich erinnerte dieses gekrönte Gerippe ein wenig an lateinamerikanische Santa-Muerte-Figuren.
Ich gestehe, die gesamte Ausstattung inklusiv der Kostüme wirkte auf mich eher bieder-ordentlich, bemüht und ohne speziell-bühnenwirksame Ausdruckskraft – die vielfältigen Assoziationen, die Miron Schmückle im Programmheft klug argumentierend evozieren will, erschließen sich nicht so recht dem Betrachter, aber die Szenerie hat einen großen und entscheidenden Vorteil: sie drängt sich optisch nicht ungebührlich in den Vordergrund und vor allem ermöglicht sie dem vom Schauspiel kommenden Regisseur Patrick Schlösser, ein spannendes Kammerspiel zwischen den drei Protagonisten zu entwickeln. Und das ist dem Regisseur nicht zuletzt deshalb so gut gelungen, weil Otello, Desdemona und Jago sehr gut, ja geradezu auf internationalem Niveau besetzt sind.
Der unbestrittene Mittelpunkt dieser Klagenfurt-Produktion war Antonello Palombi. Er singt den Otello seit 2005 auf vielen internationalen Bühnen (zuletzt etwa in Japan, in Australien, in Athen, in Genua) – und man gewann an diesem Abend den Eindruck, dass der 48-jährige Italiener mit dieser Rolle geradezu verwachsen ist. Er gestaltete die Partie mit einer derartigen Intensität, die ihn stimmlich und darstellerisch gelegentlich an die Grenze der Übertreibung brachte. Seine ehrliche Intensität war aber der Garant, dass er diese heikle Grenze nie überschritt und immer überzeugend,ja menschlich berührend blieb. Er artikulierte den Text exzellent und überaus plastisch – wenn auch mit so manchen völlig ungewohnten Akzenten. Dazu ein Beispiel: die große Otello-Szene im 3. Akt Dio! Mi potevi scagliar tutti i mali delle miseria beginnt in der Partitur im vierfachen Piano mit dem Vermerk voce soffocata (mit erstickter Stimme). Aus Palombi hingegen brechen die ersten Worte im verzweifelten Forte heraus, bevor er sich beruhigt und die Stimme ins Piano zurücknimmt. Das widerspricht zwar Verdis Vorgaben und der gewohnten Aufführungstradition, überzeugt und berührt aber dennoch. Palombi entwickelt seine Stimme ausgehend von einer breiten, baritonalen Tiefe und Mittellage – die Spitzentöne sind dann schlank und metallisch. Er kann aber seinem mächtigen Organ auch sehr schöne lyrische Phrasen abtrotzen. Das war eine große und gültige Otello-Interpretation! Auf Palombis Homepage gibt es mehrere Tonbeispiele seines Otellos. Zur Erinnerung für alle Opernfreunde: Antonello Palombi ist der Tenor, der 2006 an der Scala jene Aida-Aufführung rettete, in der Roberto Alagna wegen der Buhrufe nach der Celeste Aida abging und einfach nicht mehr erschien.
Übrigens: auch seine Desdemona hat als Einspringerin Schlagzeilen gemacht! Betsy Horne sprang im Vorjahr in Berlin erfolgreich für Anja Harteros als Marschallin im Rosenkavalier ein. Ihre erste Marschallin hatte Betsy Horne im Jahre schon 2013 in Klagenfurt gesungen – sehr erfolgreich und das war wohl ihr Durchbruch, inzwischen singt sie an großen Häusern, etwa die Ariadne in Leipzig. Betsy Horne ist eine wirklich gute und anrührende Desdemona. Sie spielt die Rolle mit hoheitsvoller Ruhe, überzeugt auch mit kleinen Hand- oder Kopfbewegungen – und sie singt die Partie mit hellem, warmem Sopran, der sowohl die großen Ensembles im 3. Akt zu führen als auch die lyrischen ruhigen Bögen im Lied von der Weide und im Ave Maria zu spannen weiß.
Ingeborg Bachmann schrieb in ihrer Hommage à Maria Callas, die auch ausführlich im Programmheft zitiert ist, unter anderem über Verdis Otello: Es gibt nur eine Figur, die überhaupt interessant ist, das Movens dieses Stücks, dieser Musik, und das ist Jago. Das konnte man in dieser Inszenierung allerdings so nicht erleben. Der 35-jährige Csaba Szegedi hat eine warme, schön timbrierte Baritonstimme – das hatte man schon vor drei Jahren in Klagenfurt bei seinem Alfio bzw. Tonio feststellen können. Er meistert auch die beträchtlichen stimmlichen Anforderungen der Jago-Partie sehr gut, aber es fehlen ihm (noch) die nötige Artikulationsschärfe und die schauspielerische Kraft, um den Drahtzieher überzeugend vermitteln zu können. Mir schien auch die dem jungen Csaba Szegedi verpasste Maske nicht optimal – alles in allem war er eine etwas künstliche Figur und blieb neben Otello und Desdemona eher blass und unprofiliert.
In den kleineren Rollen fiel die Emilia von Christiane Doecker positiv auf. Im letzten Akt konnte sie sich mit großem Anstand neben den Hauptfiguren behaupten und ließ eine schöntimbrierte und sicher geführte Mezzostimme hören. Mathias Frey war nicht optimal besetzt – ein guter Mozart-Pedrillo ist kein Verdi-Cassio. Der für Klagenfurt neue koreanische Bass Jisang Ryu verströmte als Lodovico hinreichenden Wohlklang. Michael Schober als Montano, Thomas Tischler als Roderigo und Jihoon Kwon als Herold kann man ordentliche Verlässlichkeit attestieren. Chor und Extrachor des Stadttheaters Klagenfurt (Leitung: Günter Wallner) und die Singschule machten stimmlich ihre Sache sehr gut. Gleichzeitig waren allerdings die Chorauftritte ein ärgerlicher Schwachpunkt der Regie. So gut auch die Personenführung der Protagonisten war, der Chor musste seine Auftritte in geradezu peinlich-konventioneller und nicht mehr zeitgemäßer Opernroutine absolvieren (Dazu ein signifikantes Detail: einer der historisch gewandeten Chorsänger trat mit Brille, Armbanduhr und Ehering auf….)
Ein den Erfolg des Abends entscheidend mitbestimmender Faktor war die Leistung des Kärntner Sinfonieorchesters. Der scheidende Chef Alexander Soddy – nun schon Generalmusikdirektor in Mannheim – sorgte für eine ungemein spannungsvolle Orchesterleistung. Von Beginn an herrschte Präzision und plastisch gestaltetes Musizieren – auch der Kontakt zwischen Bühne und Orchester war nie getrübt. Diese ausgezeichnete Dirigier- und Orchesterleistung war die Basis für einen spannenden Opernabend, der vom Publikum lebhaft akklamiert wurde. Am Ende war das Publikum merkbar bewegt – und es wartete das Ausklingen des letzten Akkords ab. Am Ende des Liebesduetts im 1.Akt hatte man noch ungeniert in die letzten Takt hineingeklatscht. Die intensive Gestaltung der Todesszene durch Betsy Horne und Antonello Palombi ließ das Publikum den Atem anhalten.
Hermann Becke, 10. 2. 2017
Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, © Arnold Pöschl
Hinweise:
– TV-Bericht vor der Premiere mit Szenenausschnitten und Interviews
– 11 weitere Aufführungen im Februar und März