Klagenfurt: „Tannhäuser“

Premiere am 19. September 2019

Erfolgreiche Rollendebuts

Es ist fast zwei Jahre her, dass ich das letzte Mal eine Aufführung im Stadttheater Klagenfurt besucht hatte. Seither ist vieles im Haus neu. Seit dem Vorjahr ist Nicholas Carter der neue Chefdirigent. Der seit 2012/13 im Amt befindliche Intendant Florian Scholz beendet seinen Vertrag ein Jahr früher als vorgesehen und wechselt nach Bern – über die Hintergründe kann man Aufschlussreiches in der Berner-Zeitung nachlesen. Die Ausschreibung der Intendanz in Klagenfurt ist erfolgt – die Frist läuft in diesen Tagen aus und wie man in einem Bericht lesen kann, wird eine renommierte Expertenkommission dem zuständigen Theaterausschuss bereits bis Ende Oktober einen Besetzungsvorschlag machen.

Auch bei der Eröffnungspremiere der letzten Saison von Florian Scholz ist vieles, ja eigentlich alles neu!

Soweit ich das recherchieren konnte, war der Tannhäuser im heutigen Klagenfurter Stadttheater, einem Hellmer&Fellner-Bau aus 1910, nie aufgeführt worden. Allerdings ist es für Klagenfurt keine Erstaufführung des Tannhäuser, denn im Österreichischen Musiklexikon liest man: 1887–99 wurden an 483 Abenden 50 verschiedene Opern gegeben, darunter: Cavalleria rusticana, Bajazzo, Hänsel und Gretel, Carmen, Tannhäuser.

Neu waren auch alle Protagonisten der Produktion – sowohl für Klagenfurt als auch in ihren Rollen. Man hatte nach dem Stagione-Prinzip eine vielversprechende Besetzung zusammengestellt – alle kommen von größeren Häusern als es Klagenfurt ist, fast alle haben schon Wagner-Erfahrung, aber für alle waren es Rollendebüts. Mit diesen Debüts will ich meinen Bericht beginnen, weil da Leistungen auf durchwegs erfreulich hohem Niveau geboten wurden.

Marco Jentzsch ist schon ein erfahrener Wagner-Tenor (Froh an der Scala, Parsifal in Köln, Erik in Zürich und Stolzing in Wiesbaden) und erprobt nun in Klagenfurt seinen ersten Tannhäuser. Sein erster Einsatz Zuviel, zuviel! O dass ich nun erwachte klang noch recht dünn und unsicher. Aber sehr rasch fasste er sich und bot dann mit seinem sehr hell-timbrierten, technisch absolut sicher geführten Tenor bereits im Venusberg eine gute Leistung. Er steigerte sich im weiteren Verlauf des Abends zu einer ganz ausgezeichneten Gestaltung dieser schwierigen Partie. Er forcierte nie, führte dennoch mit seinen Erbarm dich mein-Rufen souverän das große Ensemble im 2.Akt an und überzeugte vollends mit einer intensiven Romerzählung. Eindrucksvoll ist auch seine klare sprachliche Artikulation. Diese exzellente Artikulation in bester deutscher Operntradition zeichnet auch den erst 30-jährigen Sebastian Wartig von der Semper-Oper Dresden aus. Sein erster Wolfram ist vielversprechend – mit seinem schön-timbrierten, noch ein wenig schmalen Bariton steigerte er sich von Akt zu Akt, bot im 3.Akt mit langem und ruhigem Atem eine wunderschöne Abendstern-Szene und hatte auch die nötige stimmliche und darstellerische Autorität für des dramatische Finale.

Über Joo-Anne Bitter ist auf ihrer Homepage zu lesen: … gilt heute vor allem im jugendlichen Wagnerfach als Idealbesetzung. Ihren von Presse und Publikum gefeierten Rollendebüts der Elsa im Lohengrin und Eva in Die Meistersinger von Nürnberg (Dirigat Gustav Kuhn) bei den Tiroler Festspielen Erl in Österreich und Tourneen nach China folgt nun in der kommenden Saison die Elisabeth in Tannhäuser am Stadttheater Klagenfurt. Ihr ist zu einem sehr erfolgreichen Rollendebut zu gratulieren! Sie überzeugt nicht nur mit ihrer klaren und in allen Lagen ausgeglichenen Stimme und mit makelloser Artikulation – sie überzeugt durch ruhige Ausstrahlung auch als Darstellerin. Ihren Widerpart Venus gestaltet die seit 2015 in Berlin engagierte Amerikanerin Irene Roberts. Sie verfügt über eine Mezzostimme mit sicheren Höhen und dem adäquaten Timbre. An der sprachlichen Präzision wird noch zu arbeiten sein. Das Volumen ist völlig ausreichend, sodass fallweises Forcieren unnötig und wohl auf eine gewisse Premierennervosität zurückzuführen ist. Die Ritterwelt führt Landgraf Hermann in der Person des erfahrenen kroatischen Basses Luciano Batinic an. Er hat im Wagnerfach schon Gurnemanz, Daland und König Heinrich international verkörpert, der Landgraf war allerdings auch für ihn ein Debüt. Man erlebte eine sicher-ausgewogene Leistung mit leicht gutturaler, aber in allen Lagen sicheren Stimme und gebührender Autorität. Samuel Levine war ein ungewohnt heldenhafter Walther von der Vogelweide. Andrew Henle als Heinrich der Schreiber und Evert Sooster als Reinmar waren sichere Ensemblestützen, nur Leonrad Bernad fiel als recht ungehobelter Biterolf ein wenig aus dem Rahmen. Lisa Marie Lebitschnig sang frisch den Hirten. Chor und Extrachor des Stadttheaters Klagenfurt (Leitung: Günter Wallner) boten geradezu erstaunlich-runde Klangfülle und durchaus auch sehr schöne Pianophrasen.

Gerade für die Ensembles ist die Dimension des Hauses eine Herausforderung:

Richard Wagners Tannhäuser wurde 1845 in Dresden im Vorgängerbau der heutigen Semperoper Dresden, dem damaligen Königlichen Hoftheater, uraufgeführt. Über diesen Prachtbau kann man in einem damaligen Zeitungsbericht nachlesen: Der Zuschauerraum des neuen Hoftheaters enthält ein Parkett und Parterre, ein Amphitheater nach einer neuern ansprechenden Construction und 5 Reihen Logen, und kann außer den reservirten Räumen für den Hof mehr als 1600 Personen in sehr bequemen Plätzen, fassen.

Nun: Das Klagenfurter Stadttheater hat nicht 1600, sondern nur 750 Plätze und einen recht kleinen Orchestergraben, in dem die von Wagner erwartete Orchesterbesetzung gar keinen Platz hat, auch wenn die beiden Proszenium-Logen für die beiden Harfen und das Schlagwerk einbezogen werden. Richard Wagner hatte für seinen Tannhäuser explizit mit einem vom Üblichen abweichenden größeren Streicher-Corps gerechnet – das belegt der Musikhistoriker Klaus Aringer in seinem sehr interessanten Beitrag Streicherbesetzungen von Wagner-Aufführungen im 19. und 20. Jahrhundert. Minimalforderung Wagners waren 36 bis 37 Streicher – das kann das Kärntner Sinfonieorchester trotz des offensichtlichen Einsatzes von Substituten nicht bieten.

Man hat sich mit einer besonderen und klugen Lösung beholfen: der Orchestergraben wurde ganz tief hinuntergefahren und mit einem wohl Bayreuth nachempfundenen Schalldeckel teilweise so abgedeckt, dass das ganz unten und hinten sitzende Blech nicht das akustische Übergewicht gegenüber den Streichern gewann. Die hohen Streicher klingen durch diese Aufstellung strahlend-forsch und die Violin- und Cellosoli kommen gut zur Geltung. Nicholas Carter (auch er ein Tannhäuser-Debütant) wählte in der Ouvertüre straffe Tempi und gestaltete viele Passagen sehr schön differenziert – ich denke da beispielsweise an die wunderschön gestalteten lyrischen Phrasen in der großen Szene von Elisabeth und Tannhäuser im 2.Akt sowie im 3. Akt an Elisabeths Gebet und Wolframs Abendstern-Szene.

Tannhäuser-, ja fast Operdebütanten waren auch alle Mitglieder des szenischen Teams: Der 41-jährige Franzose David Bobée arbeitet seit Ende der 1990er Jahre als Regisseur. Dabei arbeitete er mit SchauspielerInnen, TänzerInnen, AkrobatInnen, Laien sowie Menschen mit Behinderung aus verschiedensten Nationen und Kulturen zusammen. Die Grenzüberschreitung des Theaters sieht er nicht nur in den Nationalitäten, sondern auch in den unterschiedlichen Disziplinen darstellender Künste, weshalb er in seinen Inszenierungen mit Video, Licht, Tanz, Zirkuskunst und Musik arbeitet… 2016 debütierte er als Opernregisseur mit Stravinskys The Rake’s Progress am Théâtre de Caen, 2018 inszenierte er Gounods selten gespielte Oper La nonne sanglante an der Opéra Comique in Paris. (Zitat: Website des Stadttheaters Klagenfurt). Der Tannhäuser ist also erst seine dritte Opernproduktion, in der er Regie und Bühne verantwortet. Ihn unterstützen als künstlerische Mitarbeiterin Corinne Meyniel , als Ko-Bühnenbildnerin Aurélie Lemaignen, und als Lichtdesigner Stéphane Babi Aubert, die alle auch nur jene Opern-Erfahrungen haben, die sie mit David Bobée gemeinsam in Caen und Paris gemacht hatten.

Unmittelbar nach der Premiere erschien in einem lokalen Medium eine Nachtkritik, die eine sensible und vielschichtige Inszenierung attestiert. Dem kann ich mich nicht bzw. nur bedingt anschließen.

Ich zeige den Venusberg als flirrende Wasserwelt, deren fließende Ästhetik Assoziationen mit der Ursuppe hervorrufen soll, ein Fruchtwasserbad, das sowohl Lebenskraft als auch sinnlichen Genuss verspricht – das schreibt der Regisseur im Programmheft. Nun – die flirrende Wasserwelt beginnt natürlich schon während des Vorspiels. So wie es heute offenbar unvermeidbar ist: Opernvorspiele dürfen nicht mehr musikalisch für sich stehen, sie müssen bebildert werden. Und so blickt man 15 Minuten lang auf wabernde farbige Projektionen – manchmal wie Magnetfeldlinien mit Eisenspännen, manchmal abstrakte Farbmuster. Tannhäuser und Venus treten auf, später werddenscherenschnittartig zahlreiche mythologische Figuren der griechischen Antike vor die Projektionen geschoben, BewohnerInnen des Venusbergs – alle mit schwarzen Augenbinden – umgeben Venus und Tannhäuser. Der Bühnenboden ist mit Wasser bedeckt – offenbar mit der vom Regisseur versprochenenen Ursuppe. Dieser Bebilderung fehlt allerdings vollkommen das, was musikalisch das Vorspiel ausmacht: der Kontrast zwischen der frommen Pilgerwelt und den sündigen Wonnen des Venusberges. Wozu also das Ganze?

Dann beginnt die 1.Szene – der Damenchor singt stimmschön aus dem Off (die Übertitel setzten irrtümlich schon während des Vorspiels ein), Venus scheint Tannhäuser in eine Art Muttermund hineinziehen zu wollen. Die Farbe Rot dominiert..

Die Venus-Hymne des Tannhäuser und der Fluch der Venus sind konventionell und mit opernstereotypem Händeringen inszeniert. Dann der Ausbruch von Tannhäuser Mein Heil ruht in Maria und es geschieht das, was Wagner so beschrieben hat: Mit Blitzesschnelle verändert sich die Bühne. Das geht heute mit der modernen Projektionstechnik wirklich wunderbar und schnell. Allerdings wird nicht das sichtbar, was sich Wagner so vorgestellt hat: Tannhäuser, der seine Stellung nicht verlassen, befindet sich plötzlich in ein schönes Tal versetzt.

Eine überdimensional-bedrohliche Marienstatue richtet sich auf und das sinnlichen Genuss verheißende Fruchtwasserbad ist noch immer da – ist aber nun wohl eher ein einsamer Waldtümpel, den der Hirte zum Steineblattln nutzt, wie wir Österreicher sagen würden – für meinen deutschen Leserkreis: Steinehüpfen. Durch diesen Tümpel watet auch der Chor der Pilger. Ich unterstelle dem Regieteam, dass das dem Venusberg zugeordnete Wasser nur deshalb noch da ist, weil die Beseitigung bühnentechnisch nicht geschafft wurde. Aus diesem Grund gibt es auch im 2. Akt noch ein Wasserbecken (in dem sich die Edelknaben ihre Füße waschen, bevor sie die Auslosung vornehmen). Und natürlich ist das Wasser auch im 3.Akt da – um genau zu sein: auch schon im – natürlich auch – bebilderten Vorspiel dazu. All diese Wasserszenen können in der vom Stadttheater Klagenfurt angebotenen Bildergalerie angeschaut werden – damit niemand glaubt, dass ich übertreibe.

Aber ich möchte nicht bei diesem Wasser-Thema stecken bleiben und räume gerne ein, dass dem Regieteam im 2. Akt manch praktikable Szenenarrangements gelungen sind und dass im 3. Akt die Einsamkeit von Elisabeth, Wolfram und Tannhäuser in einprägsamen und sehr schön ausgeleuchteten ruhigen Bildern dargestellt waren. Abgesehen vom ständig präsenten und nicht bewältigten Wasserelement war es eine brauchbare, eher konventionelle Inszenierung. Der Beifall für alle Ausführenden war groß und ich stehe nicht an, dem Klagenfurter Stadttheater – vor allem in musikalischer Hinsicht – zu einem großen, für ein Haus dieser Größenordnung geradezu beachtlichen Wagner-Abend zu gratulieren.

Hermann Becke, 20. 9. 2019

Szenenfotos: Stadttheater Klagenfurt, (c) Karlheinz Fessl

Hinweise:

Video-Trailer der Produktion (2:40 Min)

– noch sieben weitere Aufführungen bis 15.Oktober