Stuttgart: „A Reid Anderson Celebration“ – Teil 2

Festwoche zum Abschied des langjährigen Intendanten (1996-2018) 13.-22.7.

Die nächsten beiden Abende der Festwoche repräsentierten das klassischere Repertoire der Compagnie. Zum einen mit der im Januar/Februar mehrfach gezeigten Koppelung von Jerome Robbins „DANCES AT A GATHERING“ und Crankos Vermächtnis an seine 4 Tänzer-Stars „INITIALEN R.B.M.E.“ und mit dem Gipfelwerk aller seiner Schöpfungen „ONEGIN“, das schon oft als Vehikel für Abschiede gestanden hat.

In den beiden musikalisch vom Klavier geprägten handlungslosen Meisterwerken gab es selbst in dieser die Compagnie zum Saison-Abschluss verstärkt fordernden Ballettwoche noch Chancen für zwei Tänzer in neuen Partien. David Moore erwies sich in der am nachdenklichst gezeichneten Partie in Braun als einfühlsamer, eher stiller Charakter mit einer sich beständig lockernden Technik in Haltung und Bewegungsfluss. Alessandro Giaquintos anspruchsvolles Debut als Initiale „E“, mit bestechend flinker und präziser Beinarbeit und in insgesamt erstaunlich gelöster Präsenz erfreulich gut bestanden, ist noch einmal ein Beispiel dafür, welche Chancen und welches Vertrauen Anderson auf Basis seiner scharfen Beobachtungsgabe auch den Corps de ballet-Tänzern so oft gegeben bzw. geschenkt hat.


Traumverloren vollendet: Alicia Amatriain und Friedemann Vogel in „Initialen“

Nicht nur von Giaquinto, auch von den Gruppen-Kollegen Matteo Miccini und Noan Alves, die neben all den Solisten mit Ausstrahlung und jenem erkennbaren Impetus der Cranko-Tradition überaus gute Figur machten, dürfte in den kommenden Jahren ein Karriere-Schub zu erwarten sein. Ein unbestreitbarer Höhepunkt offerierte sich noch einmal mit dem von Alicia Amatriain und Friedemann Vogel traumverloren schön und vollendet phrasierten Pas de deux des dritten Satzes der Initialen. Und Daniel Camargo zeigte sich im ersten Satz als hoch willkommener Gast in den Ketten langer Drehungen freier, antriebsvoller und damit auch effizienter als bei seinen letzten Auftritten im Februar.


Beglückender Spiegel-Pas deux: Hyo-Jung Kang (Tatjana) und Jason Reilly (Onegin).

Komplett in der Hand Erster Solisten lagen die Protagonisten im bei Tänzern wie vielen Besuchern meist geschätztesten Ballett nach Puschkins berühmtem Briefroman. Hyo-Jung Kang erinnert in ihrer gesamtheitlichen Rollen-Anlage der Tatjana, ihrer subtil sprechenden Mimik und ihrem vor Emotionen bebenden Körper immer mehr an ihre prominente, vor einem Jahr just in díeser Partie verabschiedete gleichnamige Landsmännin Sue Jin Kang. Die mädchenhafte Schwärmerei der jungen Tatjana und die gereifte Haltung der späteren Frau, nein Fürstin Gremin kommen bei ihr gleichermaßen glaubhaft, ohne Verkünstelungen zum Tragen. Hand in Hand mit dem von Jason Reilly immer noch mehr verfeinerten und bewegungstechnisch geschmeidiger und leichter gewordenen , weniger weltgewandten und noblen als einfach blind und leichtfertig hochnäsigen Onegin verdichteten sich ihre beiden großen Pas de deux zu zuerst beglückend strahlenden und zuletzt aufwühlend mitreißenden Begegnungen. Neben diesem Hauptpaar und der spieltechnisch entzückenden Olga der Elisa Badenes stand David Moores Lenski mit einem Manko an Charisma etwas im Schatten, ohne deshalb ganz die Gefühlswelt des eifersüchtigen Poeten und schon gar nicht seine choreographisch anspruchsvolle Formung schuldig zu bleiben. Eher dezent im Auftreten, aber mit ausreichend Würde und technischem Geschick trug Roman Novitzky als Fürst Gremin seine Frau auf Händen.

Dass das Corps de ballet bei diesem Riesenpensum an unterschiedlichsten Einsätzen am Ende einer Saison an beiden Abenden nicht optimal in Form war, ist ihm mehr als nachzusehen, zumal sein darstellerisches Engagement uneingeschränkt von jener Antriebskraft blieb, die Aufführungen des Stuttgarter Balletts so besonders lebendig macht. Beim Staatsorchester Stuttgart unter James Tuggle mussten einige Lautstärke-Ausritte und Grobschlächtigkeiten im der Euphorie des Ausdrucks in Kauf genommen werden, auch die beiden Pianisten Alexander Reitenbach und Andrej Jussow hatten schon mehr Genauigkeit bewiesen.

Im Rahmen des von viel Enthusiasmus und Blumenwürfen begleiteten Schlussapplauses nach „Onegin“ wurden u.a. noch die langjährigen Tänzer Katarzyna Kozielska, Daniela Lanzetti (die bemühte Amme in der Aufführung) und Ludovico Pace sowie der Ballettmeister Thierry Michel gebührend verabschiedet.

Copyright: Stuttgarter Ballett

Udo Klebes 22.7.2018

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